Manchmal wache ich nachts auf und kann nicht mehr einschlafen. Dann setze ich mich an den Schreibtisch und gehe noch mal alle Unterlagen durch: Habe ich mich auch nicht verrechnet? Habe ich alle Ausgaben bedacht? Oder muss ich die Praxis am Ende wieder zumachen, weil ich mir zu viel Zeit für die Patienten nehme?
Als ich meine Stelle in der Klinik kündigte, fragte mein Chef besorgt, ob ich mir das auch gut überlegt hätte. Wo ich doch so schwer Nein sagen könne. „Sie werden versuchen, Heil über das ganze Dorf zu bringen, und sich dabei verlieren.“ Ganz unrecht hatte er nicht. Bei meiner Arbeit in der Fachklinik für Essstörungen ist mir das Leid der Patienten immer sehr nahegegangen. All die abgemagerten jungen Frauen mit ihren verletzten Seelen. Manchmal dachte ich, wie herrlich muss es sein, einmal nur Erkältungen oder Beinbrüche zu behandeln!
Der Verdienst? Keinesfalls super
Und dann ergab es sich, dass der Allgemeinarzt in unserem Dorf in Rente ging und mich fragte, ob ich seine Praxis übernehmen wolle. Erst dachte ich: Bloß nicht, das ist zu viel Verantwortung und Bürokram! Aber die Vorstellung, noch einmal etwas ganz Neues anzufangen, gefiel mir. Ich sah mir die Abrechnungen der letzten drei Jahre an. Da konnte ich schon sehen, dass ich als Hausärztin nicht super verdienen würde. Es gibt für jeden Patienten eine Fallpauschale, die liegt bei rund 30 Euro, bei chronisch Kranken sind es 17,30 Euro mehr. Das kann ich nur einmal im Quartal abrechnen, egal wie oft der Patient bei mir war.
Aber das Geld war für mich nicht ausschlaggebend. Hauptsache, ich kann unser Haus behalten, und es reicht für mich und meinen jüngsten Sohn. Ich habe sieben Kinder, sechs sind schon erwachsen. Als ich mit Anfang dreißig alleinerziehend mit zunächst fünf Kindern war, kümmerte ich mich tags um die Kinder, nachts arbeitete ich im Notdienst. Da habe ich viel gelernt. Vor allem einen klaren Blick zu behalten und schnell Entscheidungen zu treffen. Das hat mir auch Mut verliehen.
Also übernahm ich die Praxis. Da die Miete zu teuer war, zogen wir um, in eine ehemalige Hundefutterhandlung. Ich strich alles in Weiß und griechischem Hellblau, nahm die alten Arzneischränke meines Kollegen mit und stellte einen Holztisch aus dem Zimmer meiner Kinder dazu. Einer coolen Arztpraxis entspricht das sicher nicht, aber es passt zu mir.
Was, die Frau Doktor macht erst um acht Uhr auf?
Dann, Anfang dieses Jahres, der Tag der Eröffnung. Die Nacht davor konnte ich vor Angst nicht schlafen. Vielleicht kommt keiner! Aber als ich ankam, warteten schon die ersten Patienten vor der Tür. Es war Grippezeit und gleich viel los. Manche der älteren Patienten murrten anfangs, wie mir der Dorfapotheker erzählt hat. Viel zu groß und zu hell sei das bei der Frau Doktor! Und sie macht erst um acht Uhr auf statt wie der Kollege um 7:15 Uhr. Doch die meisten freuten sich, dass die Praxis im Dorf bleibt.
Ich habe mir die Arbeit jetzt so eingerichtet, dass ich mehr auf mich achte. Mittwochs versuche ich freizuhaben, dann vertritt mich der ältere Kollege. Und wenn ich an einem Vormittag viele Patienten habe und die Mittagspause ausfällt, weil ich Hausbesuche machen muss, dann versuche ich, wenigstens kleine Pausen zu machen: die Schuhe ausziehen, den Boden spüren, bewusst atmen. Entspannungstechniken, die ich auch manchen Patienten empfehle. Einige wollen aber nicht über Seelisches reden. Dann lasse ich es auch meistens. Aber es kommt auch vor, dass ein Manager mit Rückenschmerzen nach ein paar Wochen sagt: Vielleicht muss ich doch was im Leben ändern.
Schwierig: Patientengespräche beenden
Mit einem hat mein früherer Chef recht behalten: Es fällt mir immer noch schwer, Patientengespräche zu beenden. Vor allem mit Schwerkranken. Viele weinen bei mir. Hinterher geht es ihnen oft besser, einfach nur weil ich ihnen zugehört habe. Das nehme ich dann mit nach Hause. Aber es gibt jetzt auch leichte Tage. Wo es nur um Schnupfen oder Husten geht. Oder um gar nichts Besonderes. Wo ich merke, da möchte jemand einfach nur reden.
Protokoll: Ariane Heimbach
anfänge: Wagnis Dorfpraxis
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Lob für diesen mutigen Schritt!
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So eine Ärztin ...
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