Kolle Frankfurt Entwurf
KOLLE
"Das ist keine Förderung - sondern ein Nachteilsausgleich"
Gemeinwohlorientierte Wohnprojekte springen da ein, wo der Staat versagt: In der Daseinsvorsorge für bezahlbares Wohnen. Und deshalb reichen schöne Preise auch nicht aus. Ein Gespräch mit dem frisch prämierten Wohnprojekt "Kolle" in Frankfurt-Griesheim
Tim Wegner
04.04.2023

Die erste Reaktion?

"Natürlich Freude", berichtet Fabian Jellonek mir im Zoomgespräch. 10 000 Euro hat sein Wohnprojekt "Kolle" gerade gewonnen.
Verliehen wurde der Preis von der Stadt Frankfurt oder besser gesagt: dem "Großen Frankfurter Bogen", einem Landesprogramm mit dem Ziel, den Wohnungs- und Städtebau im Rhein-Main-Gebiet zu stärken. Besondere Projekte werden mit einem Zukunftspreis geehrt. "Kolle" (kommt von Kollektiv) in Frankfurt-Griesheim gehört dazu.

Seit 2018 trifft sich die Kerngruppe, seit 2019 haben sie ein Grundstück in Frankfurt-Griesheim zur Entwicklung bekommen. Sie haben eine GmbH gegründet und sind dem Mietshäuser Syndikat beigetreten. Es gibt einen Architekturentwurf, die Gruppe ist komplett.

42 Menschen werden dort Wohnraum, oder besser „Wohnplätze“, finden: Keine klassisch abgeschlossene Wohnungen sondern flexible Einheiten, die sich unterschiedlichen Lebensvorstellungen anpassen können, dank schlauer Grundrisse und sogenannter „zuschaltbarer Räume“. "Kolle kanns"  lautet ihr pfiffiges Motto.

Die Mieten werden später solidarisch berechnet, mehr dazu gibt es in einer „Bullet-Point-Broschüre“. Am 23. April ist der erste Spatenstich.

Das Kolle-Team im Hochhausviertel von Frankfurt. Anja mit Schal und Kind im Arm in der Mitte; Fabian mit weißem Woll-Rolli hinten

Neben Fabian ist auch Anja Engelhorn mit im Zoom. Sie wird zusammen mit zwei anderen Erwachsenen und zwei Kindern einziehen, auf eine klassische Kleinfamilie hat sie keine Lust. Anja ist Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in Offenbach, sie weiß, was es heißt, gegen gesellschaftlich normierte Verhältnisse anzukämpfen und neue Denkmuster und -strukturen zu etablieren: 
„Was wir machen, ist öffentliche Daseinsvorsorge“, sagt sie.

Jahr für Jahr fallen bundesweit zahllose Wohnungen aus der Sozialbindung; private Investoren und sogar kommunale Wohnungsbauunternehmern bauen immer weniger Sozialwohnungen neu. Hier springen gemeinwohlorientierte Projekte wie Kolle ein. Doch können sie wirklich da Rettung bringen, wo der Staat versagt?

Es ist die totale Überforderung wissen Anja und Fabian: „Wir leisten mit unserem ehrenamtlichen Engagement das, was normalerweise Projekt-Investoren machen“, sagt Anja. Und das in den aktuell schwierigen Zeiten inklusive Zinssteigerungen. Anja und Fabian sind wütend, wenn sie von Investoren hören, dass sich Bauen nicht mehr lohnen würde: Was heißt lohnen? Maximale Gewinnmarge?

Projekte wie Kolle wären ja schon froh, wenn sie keine Verluste machen würden: "Für uns muss es sich nicht finanziell lohnen, wir wollen gar keinen Gewinn machen."

Die Arbeit von Projekten wie Kolle und Co wird in schönen Worten und bei Preisverleihungen (siehe Frankfurter Bogen) immer mal wieder gewürdigt, doch es fehlt an faktischer Unterstützung in der Verwaltung, an neuen Finanzierungskonzepten bei den Banken und vor allem an einer modernen staatlichen Förderkulisse.

Kolle beispielsweise schafft viel Gemeinschaftsfläche, im Gegenzug gibt es wenig Raum für Einzelne. Eine zeitgemäße staatliche Förderung müsste genau dies mit einschließen, denn eines der größten Probleme im Wohnungsbau ist der hohe durchschnittliche Quadratmeterverbrauch. 45 qm sind es in unserem Land, Tendenz steigend und sowieso ist das Einfamilienhaus entgegen aller politischen Notwendigkeiten immer noch ein Traum vieler Menschen in diesem Land.

Kolle plant 35 qm Privatfläche pro Kopf, als Ausgleich gibt es viele Gemeinschaftsflächen, doch genau für diese Gemeinschaftsflächen existiert keine Förderung, auch die Banken fremdeln: Neuland für alle. Und das gilt nicht nur für das Rhein-Main-Gebiet. Jedes Bundesland fördert anders, Förderalismus-Wahnsinn, der es guten Ideen so schwer beim großen Durchbruch macht: „Warum schaut da niemand mehr über den Tellerrand?“ fragt Anja und ärgert sich: „Wir müssen uns fünfmal so viel abstrampeln wie andere und das kostet eine unendliche Kraft.“

Doch die Gruppe lässt sich nicht unterkriegen. Was sie jetzt noch brauchen sind mehr Direktkredite von Menschen, die ihr Projekt unterstützen: „Gar nicht so einfach“, schließlich leben sie in „Frankfurt und nicht in Freiburg“, meint Anja. Dort herrsche eine lange Tradition in gemeinschaftlichen Bauen, Frankfurt sei eher bekannt für teure Wohntürme und Luxussuiten.

Noch mal zurück zum Preisgeld. Für beide war es eine tolle Bestätigung, dass ihre viele Arbeit auch mal ganz offiziell von der Politik gewürdigt wurde, denn: „Wir betreten formell oft Neuland aber wir wissen auch, dass nach uns noch viele weitere kommen werden.“, sagt Anja.

Sie sagt aber auch: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal über einen Geldbetrag von 10 000 denken würde: Das ist aber wenig.“ Doch genau das sei jetzt der Fall. So schön das Geld sei, wirklich angemessen wäre etwas ganz anderes: „Eine Million zinsloser Kredit von der Stadt Frankfurt." Zum einen würde die Stadt damit der Verantwortung nachkommen günstigen und geförderten Wohnraum zu bauen: "Und es wäre in der aktuellen Zeit mit Corona, Bausteigerung, Rohstoffknappheit und Lieferproblemen, sowie Krieg in Europa, Zinssteigerung und Inflation ein echter Nachteilsausgleich gegenüber profit-orientierten Projekten.“

PS 1: Gerade hat das Netzwerk Gemeinschaftliches Wohnen in Frankfurt eine Pressemeldung veröffentlicht. Nicht nur dass der Anteil von Sozialwohnungen in gemeinschaftsorientierten Projekten weit über dem Bestand an Sozialwohnungen in Frankfurt liegt (rund 18 Prozent zu 7 Prozent); Umfragen haben ergeben, dass rund 30 Prozent der Befragten „gemeinschaftlich“ wohnen wollen. Die Nachfrage ist also da.

PS 2: Thema staatliche Förderung von Gemeinschaftsflächen... In meinem Ehrenamtsprojekt dem Gröninger Hof eG in Hamburg haben wir zusammen mit klugen Leuten aus den entsprechenden Behörden genau das erreicht: Unsere Hybrid- oder Gemeinschaftsflächen werden gefördert, erstmalig in Hamburg. Liebe Hessen - daran könnt Ihr euch gern ein Beispiel nehmen.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.