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Gretchen-Frage 2.0: „Nun sag, wie hast’s mit dem Internet?“
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
26.06.2020

Zur Abwechslung ist dies ein Beitrag zum Mitmachen. Aber es soll keine Arbeit sein, sondern ein Gedankenspiel, das man allein oder mit anderen spielen kann.

Gemeinsam mit der Katholischen Akademie zu Berlin habe ich das kleine, feine Projekt #anstanddigital gestartet: Wir denken über gute Kommunikation im Internet nach, nicht als Manieren-Päpste, sondern als neugierige Menschen, die das Gespräch mit anderen über ein wichtiges Thema unserer Zeit suchen.

Jetzt haben wir einen Fragebogen entwickelt, der die dafür nötige Gehirnaktivität in Gang setzen soll. Die Grundidee haben wir bei Marcel Proust und Max Frisch gestohlen. Die beiden hatten Listen mit Fragen erstellt, über die man endlos nachdenken kann, die man aber möglichst spontan beantworten sollte. Einen solchen Bogen mit elf Fragen haben wir nun für unser Projekt entwickelt. Sie können ihn hier herunterladen, allein oder mit anderen ausfüllen, und das Ergebnis an uns zurückschicken. Es ist keine Meinungsumfrage, Abstimmung oder Petition, sondern nur ein ernsthaftes Spiel. Uns würde sehr interessieren, was Sie auf Fragen antworten wie „Wann haben Sie sich das letzte Mal beim Surfen geschämt?“ oder „Wen möchten Sie in der digitalen, aber nicht in der analogen Welt kennenlernen?“.

P.S.: Für meinen neuen Podcast habe ich ein Gespräch mit der wunderbaren japanisch-deutschen Künstlerin Leiko Ikemura geführt. Eine bemerkenswerte Ausstellung von ihr ist gerade in der Berliner Kunstkirche St. Matthäus zu sehen. Wer ihn hören will, kann auf die Website von reflab.ch oder zu Spotify gehen.

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Unsere Gesellschaftsform, unser politisches System, die Religionen sind zwingend auf die Bedeutung der Freiheit angewiesen. Eine Meinung, eine Behauptung ist wie an eine Tat, sie ist immer an eine Person gebunden. Wenn sie sonst niemand hört, ist eine Meinungsäußerung frei, aber ohne Bedeutung. Wie auch eine Tat ohne Ziel undenkbar ist. Ist eine Meinung auch frei, wenn sie anonym erfolgt? Darf es überhaupt eine Meinung geben, die ohne eine Identifizierbare Person (gleichbedeutend ohne Verantwortung bzw. Person) veröffentlicht wird? Wenn die Macht der Anonymität weiterhin ungebrochen bleibt, gefährdet sie die Freiheit. Die Bedeutung der freien Meinungsäußerung sollte abhängig davon sein, dass auch der Name genannt wird. Eine Meinung ohne einen nachprüfbaren Ursprung, nicht an eine Person gebunden, ist wertlos bis nicht geäußert. Sie dennoch zu veröffentlichen bedeutet, ihr einen Sinn, eine Bedeutung zu geben, die an keine Person gebunden ist. Ein Widerspruch in sich. Von diesem Widerspruch leben viele soziale Medien, die sich fadenscheinig der Verantwortung mit dem Hinweis auf die Anonymität entziehen. Das Schlechte, das Böse, der pure Egoismus und die Schädigung des Gemeinwesens ist durch bekannte Akteure schlimm genug. Jedes Verbrechen hat als Voraussetzung die Aussicht, unerkannt, anonym zu bleiben. Damit ist die Anonymität (mein Name ist der Redaktion bekannt) die Vorstufe für die Absicht des Verbrechens. Die Gesellschaft wird sich diesen Zustand in den sozialen Medien nicht mehr lange leisten können.

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur