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Ich sitze schweigend im Wartezimmer einer ärztlichen Praxis und höre ein angeregtes Gespräch über Kalkschulter, Bluthochdruck und Rücken mit. Zum Glück habe man ja immer gesund gelebt, betont eine Frau, und sie sei ja auch immer regelmäßig zur Vorsorge gegangen. „Aber es ist trotzdem wirklich nicht schön, alt zu werden, nicht wahr“, will mich lächelnd eine muntere Frau ins Gespräch integrieren. Ich schüttele den Kopf und höre mich sagen: „Bei mir ist es anders, ich fände es gerade überaus wunderbar, alt werden zu können“. Lautes Schweigen folgt.
Eigentlich bin ich ja ganz anders und mag Menschen nicht erschrecken.
Aber wenn Menschen so mit ihrem Alter, den Zipperlein und den eigenen Leistungen für die Gesundheit kokettieren, dann bricht sich eben doch Bitterkeit und wohl auch etwas Neid einfach Bahn.
Wer sieht gar nicht so alt aus?
Wenn eine alte Frau erzählt, dass sie jeden Morgen Übungen am offenen Fenster macht und auch den ganzen Haushalt noch alleine, dann höre ich zu und verstehe die Zufriedenheit.
Wenn leise Klagen dazukommen, über Rücken, Knie und Cholesterinwerte, dann kann ich das verstehen.
Aber ich steige aus und werde bissig, wenn die Alterskonkurrenz der besonderen Art beginnt: Wer ist älter, wer sieht gar nicht so alt aus und wer kann trotz des hohen Alters noch Halbmarathon laufen. Und am Ende werden diese Leistungen dann auch noch mit den selbstgewissen Bemerkungen gekrönt nach dem Motto: Ich nehme ja auch nur ganz selten Medikamente und habe nie Schweineschwarte gegessen.
Der Umkehrschluss liegt natürlich unausgesprochen auf dem Präsentierteller: Wer früh lebenszeitbegrenzend erkrankt, hat wohl etwas falsch gemacht.
Zu dieser Idee, die eigene Gesundheit als persönliche Lebensleistung zu definieren, passen erstaunlich viele Ratgeber, die sich in den Buchhandlungen mittlerweile finden, von „Gesund 100 Jahre alt werden“ bis zu „Krankheit ist kein Zufall, Gesundheit ist planbar“.
Es ist unbestritten, dass man seine Gesundheit ruinieren kann. Wer pausenlos durch den Alltag hetzt, raucht und andere Drogen nimmt, sich nicht bewegt und am liebsten Pommes und Schokolade isst, wird eher nicht hochaltrig. Das ist weit verbreitetes Allgemeinwissen und gleichzeitig das Ergebnis wissenschaftlicher Studien.
Triumphgeheul der Gesünderen passt nirgendwo
Und wer sehr alt wird, hat sicherlich vieles richtig gemacht in seinem Leben. Aber es gibt anerkanntermaßen kein Geheimrezept dafür, einhundert Jahre alt zu werden. Da ist eben auch viel Glück dabei, Freundlichkeiten des Lebens, die man erfahren durfte. Wer einmal mit offenen Augen durch ein Krankenhaus gegangen ist, kann gar nicht übersehen, wie ungerecht Krankheit verteilt ist, wie viele Menschen einfach Pech hatten, von einer schweren Krankheit getroffen worden zu sein. Krankheit ist kein Versagen und Gesundheit keine siegreiche Leistung
Eine Ehrenamtliche in einem Pflegeheim, die Patient*innen mit dem Rollstuhl spazieren fuhr, begann Gespräche gerne mit dem Hinweis, dass sie ja eigentlich genauso alt sei.
Sie war wenig beliebt, obwohl sie sich auf holprigen Wegen mühte und die Anstrengung ihr oft ins Gesicht geschrieben war. Es bekümmerte sie, wie viel Ablehnung sie erfuhr.
Die Triumphhaltung der Gesünderen, das „Was habe ich mich aber auch gut gehalten“ passt eben so wenig in ein Seniorenzentrum wie ein Kakadu an den Nordpol. Und auch nicht in das Wartezimmer einer Arztpraxis, in der kranke Menschen sind. In solchen Situationen muss es für das eigene Wohlfühlen einfach reichen, einigermaßen gesund leben zu dürfen.