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"Brummer, du brauchst nicht glauben, dass du nur hier bist, weil hier im Winter geheizt wird." Die Sottisen unseres Englischlehrers Doktor Dittmann fanden damals eigentlich alle lustig außer dem Angesprochenen natürlich. Der Dittmann war ein gnadenloser und menschenverachtender Spötter, urteilten die einen aus unserer Klasse, als wir uns 25 Jahre nach dem Abitur wieder einmal trafen. Ein witziger, ein zutiefst humaner Pädagoge, widersprachen andere.
"Wenn ich eines von dem gelernt habe", meinte Constanze Kerler, inzwischen selbst Lehrerin, "dann das: Verarschung verletzt und hat deshalb im Unterricht nichts zu suchen!" "Wieso eigentlich?", fragte Tim Gebers, bevorzugtes Opfer Dittmann'scher Bemerkungen. "Ironie ist die Waffe der Ohnmächtigen. Wir waren doch ein grausames Volk damals. Der arme Mann hatte gegen uns nur eine Chance: Er musste die Lacher auf seine Seite bringen. Ich fand das in Ordnung."
Besonders berüchtigt waren Dittmanns als Lobreden getarnte Totalverrisse bei der Rückgabe von Klassenarbeiten. Das klang dann etwa so: "Einen Epoche machenden Beitrag zur Kulturtechnik des Übersetzens hat Uli Lehmann geleistet. Seine deutsche Version hat sich vom englischen Urtext vollständig emanzipiert. Ja, es ist ihm eine zu Herzen gehende freie Nachdichtung gelungen, bei der es sich genau genommen um eine quellenresistente Neuschöpfung des aus seiner Sicht wohl minderwertigen Basismaterials handelt. Meine ebenfalls banalen Bewertungsmaßstäbe sind an Lehmanns Hervorbringung gescheitert, weshalb ich nur die Wahl hatte, sie mit 'mangelhaft' zu quittieren."
Was ist, was will Ironie? Wo ist sie statthaft und wo wirkt sie ehrverletzend? Das Gespräch der Schulveteranen hatte sein Thema gefunden. Für Uli Lehmann, heute ein brillanter Jurist, was ihm zu Schulzeiten nur wenige zugetraut hätten, gilt die einfache Regel: "Wer austeilt, muss auch einstecken können. Und das konnte der Dittmann nicht. Wenn ihm jemand mit gleicher Münze heimzahlte, hörte der Spaß sofort auf." Tim Gebers, gelernter Philosoph und Unternehmensberater, fordert: "Ironie muss als solche erkennbar sein. Deshalb ist sie dem mündlichen Dialog vorbehalten. Ironisch schreiben ist gefährlich, weil das Geschriebene die Übertreibung in Ton und Mimik nicht mitliefert."
Dem muss ich aus journalistischer Erfahrung zustimmen. Für feinsinnige Glossen habe ich ein paarmal aus der Leserschaft Prügel und Lob von der jeweils falschen Seite bezogen. Meine Erkenntnis lautet: Ironie in Schriftform muss bis zur Kenntlichkeit übertreiben.
Michael Lessing, das Mathe-Ass unserer Klasse, resümierte: "Dass wir Deutsche uns wie heute Abend todernst über dieses Thema unterhalten, macht uns in der ganzen Welt so beliebt, besonders bei den Briten." "Das hast du natürlich ironisch gemeint", warf Constanze ein.
Helga Beermann, unsere Klassensprecherin, heute Medizinerin, sprang Michael zur Seite: "Am verträglichsten wirkt Ironie, wenn sie im Gewand der Selbstironie daherkommt. Wer sich selbst nicht tierisch ernst nimmt, läuft nicht Gefahr, andere zu demütigen."
In einem meiner Zeugnisse stand einmal zu lesen: "Brummer mangelt es am nötigen Ernst." Geschrieben hatte das Doktor Dittmann. Noch heute rätsele ich, ob diese Feststellung ironisch gemeint war. Ernsthaft.