Welch ein Missgeschick: Das geliebte Schmuckstück ist unwiederbringlich verloren
Anne Mair
Loslassen
Der letzte klirrende Applaus meines Eherings
Welch ein Missgeschick: Das geliebte Schmuckstück ist weg. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so?
privat
05.09.2025
3Min

Ich mag Schmuck, seit ich ­denken kann. Jedes Teil hat seine Bedeutung und seine Geschichte, geknüpft an Menschen, Orte, Begebenheiten. Manchen Zierrat habe ich mir als Erinnerung an eine schöne Reise geschenkt, manchen, weil ich mich damit belohnte, mir fünf Kilo abgehungert zu ­haben. Vieles wurde mir geschenkt, manches Teil vererbt oder sogar aufgedrängt, ja, auch das gibt es. Nicht immer ist ein intensives Verhältnis entstanden.

An meinem rechten Ringfinger trage ich gern 5 Ringe übereinander. In Worten: fünf. Seit Jahren finde ich das zu viel, aber sie passen so gut zusammen und sehen irgendwie aus wie ein großer. Mein Trio Glaube, Liebe, Hoffnung – das ich seit den frühen 90er Jahren besitze –, das Brillantkränzchen meiner Mutter, das sie mir zusteckte, als sie ins Pflegeheim kam – "Damit er nicht wegkommt!" –, und meinen schlichten, gelbgoldenen Ehering zuunterst. Ich bin seit 21 Jahren ehefrei (das Wort "verwitwet" will mir auch nach mehr als zwei Jahrzehnten nur schwer über die Lippen kommen), und dennoch trage ich diesen innerlich gravierten Ring immer noch! Die Macht der Gewohnheit, der Erinnerung und gefühlt manchmal auch eine Art Schutz. Ich trage die fünf täglich. Zur Gartenarbeit lege ich das Konvolut ab und auch zum Schlafen.

"Wenn die ­Finger dünn sind oder kalt, sitzen die fünf Ringe sehr locker"

Manchmal beim Wandern denke ich, das ist wirklich zu viel Bling-Bling an der Hand am Teleskopstock – gestern dachte ich das in grobem Gelände mit kalten Händen zum vorletzten Mal, und zum letzten Mal beim ­heftigen Applaudieren gestern Abend in einem großartigen Konzert. Wenn die ­Finger dünn sind oder kalt, sitzen die fünf sehr ­locker. Dann sind auch enge Hosentaschen gefährlich oder Handschuhe. Hier ­passe ich gut auf, manchmal verliere ich sie auch beim Füllen der Waschmaschine, aber das ­Geklimper höre ich dann (meistens) sofort, manchmal erst beim Schleudern! Jetzt gerade trage ich sie nicht, ich bin nämlich unter Schock.

Also eigentlich bin ich nach meinem samstäglichen Fitnessprogramm total glücklich erschöpft, aber statt mich auf die Couch zu legen und womöglich einzudösen, gehe ich in die Küche, koche, setze den Brotteig an. Draußen schüttet es wie aus Kübeln.

Der Ehering geht mit den verfaulten Äpfeln

Zwei angefaulte Äpfel ­liegen erdig müffelnd in meiner Obstschale neben den Orangen. Für den Hausmüll zu schade, ich könnte sie kompostieren, aber ich habe es mir zum Sport gemacht, sie in hohem Bogen in den Garten zu werfen. Gut für die Tiere! Da es aber heftig regnet, öffne ich nur die ­Balkontür vom Wohnzimmer, stelle mich sportlich auf und werfe erst den einen, dann den anderen weichen Apfel. Ich war nie gut im Werfen, bin es auch jetzt nicht, aber ich muss es mit Kraft über den Rasen bis ins ­Gebüsch schaffen, also strenge ich mich ­besonders an. Beim zweiten Apfel macht es "palim, palim" und – Atempause – meine Ringe sind weg. Alle fünf.

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Spontaner Herzschmerz. Tief Luft ­holen, nein, ich träume nicht, nein, ich bin so blöd, tausendmal befürchtet, ja, jetzt sind sie weg. . . . Als ich gerade laut Sch . . . brüllen will, den Tränen nahe und mit pochendem Puls am Hals, sehe ich das Trio noch auf ­einer Holzdiele meines Balkons gülden in Ruhe auf dem nassen Holzboden neben einer ­Ritze. Glaube, Liebe und Hoffnung sind gerettet. Puuuh. Aber der Ehering ist weg. Panik. Was für ein Zeichen!? Ich habe ihn tatsächlich mit einem weichen, faulen Apfel in hohem Bogen und mit aller Kraft in den Garten geschleudert.

Eine Stimme ruft mir zu: Man muss auch loslassen können! – Ja, aber der Ring von Mutter, wenigstens den Ring von Mutter, bitte, bitte. Auf nassen Strümpfen suche ich die Blumentöpfe im Regen ab und – noch ein Geschenk des Himmels – da liegt er, klein und fein. Danke, danke, danke – hat meine Mutter gern gesagt. Das sage ich jetzt auch! Das Wichtigste ist mir geblieben und der sinnentleerte Ehering liegt irgendwo graviert mit Namen und sommerlichem Datum in der Botanik im Garten oder in einer Dachrinne oder vielleicht doch unterm Holz.

Ich lasse ihn liegen. Jetzt schlage ich Blasen in meinen Brotteig, schreibe die Geschichte auf und mache eine Kerze an. Eine neue Zeit bricht an. JETZT!

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