Der König von Spanien erhielt 30 Minuten. Doch als Yossi Leshem und Mansour Abu Rashid vor Papst Franziskus treten, um ihr Projekt vorzustellen, setzt der Pontifex das Protokoll außer Kraft. 45 Minuten bleibt er bei ihnen, hört zu, lächelt, segnet. Zum Abschied sagt der Heilige Vater zum Juden und zum Moslem: "Heute Abend werde ich für Sie beten – und Sie beten für mich."
So erinnert sich Yossi Leshem, emeritierter Professor an der Fakultät für Zoologie der Universität Tel Aviv, noch Jahre später. Was also ist das für ein Projekt, das den Papst länger fesselt als der König von Spanien? Was vereint einen israelischen Naturschützer und einen jordanischen General, einst Gegner in einem langen Konflikt?
Marie Kröger
Schleiereulen sind ein Segen für die Landwirtschaft
Die Antwort findet sich in der staubigen Weite des Jordantals – bei der Schleiereule. Ein unscheinbarer Jäger der Nacht. Weißes Gesicht, lautloser Flug, unbestechliche Effizienz. Allein für die Aufzucht der Jungen fangen Schleiereulenpaare bis zu 3000 Mäuse in einer Brutsaison. Ein Segen für die Landwirtschaft – weniger Mäuse bedeuten: weniger Einsatz von Gift. Und: Sie überwindet Grenzen.
Lesetipp: Wie kann man Vögeln helfen?
Seit fünf Jahrzehnten kämpft der 78-jährige Yossi Leshem für den Naturschutz, er leitete die größte Umweltorganisation Israels. Schon Ende der 80er Jahre wurde ihm klar: Natur und Politik lassen sich nicht trennen. Damals wollten die USA eine gigantische Sendeanlage der "Voice of America" in Israel bauen – mitten im Zugkorridor für Millionen Vögel. Leshem organisierte Proteste, sprach in der Knesset, schrieb Briefe nach Washington. Das Projekt wurde gestoppt.
Er erkannte, dass er als Ornithologe mehr bewirken kann. Kurz darauf gründete die Society for the Protection of Nature in Israel, für die er tätig war, eine Vogelbeobachtungsstation – auf dem Gelände des israelischen Parlaments. Weltweit einmalig. "Wir wollten zeigen: Natur und Politik gehören zusammen." Tausende Besucher beobachten dort jedes Jahr Zugvögel. "Wer einmal einen Vogel in der Hand gehalten hat, denkt anders über Grenzen", sagt Leshem.
Sein "wichtigstes Projekt", wie er es nennt, dreht sich um die Schleiereule. Die Idee ist simpel: Statt Chemikalien gegen Mäuse zu sprühen, sollen Bauern in Israel, Jordanien und dem Westjordanland Nistkästen für Schleiereulen aufstellen. Aber dazu müsste es Seminare geben, Fortbildungen, Schulungen – gemeinsam! Wer sollte zwischen den Bauern und verfeindeten Ländern vermitteln? Und: In vielen arabischen Dörfern ist die Schleiereule verrufen. "Die Leute nennen sie Bumo, das heißt Unglück", sagt Yossi Leshem.
Leshem hatte eine Idee, wollte jordanische Militärs einbinden. 2002 sprach er israelische Generäle an, doch die hätten abgewunken – in Jordanien habe niemand Interesse daran. Da habe er gesagt: "Gebt mir eine Stunde." Bei einem Treffen israelischer und jordanischer Generäle schließlich habe er einen Nistkasten für Schleiereulen gezückt. General Abu Rashid sei, so Leshem, sofort begeistert gewesen, als er die Küken sah. Der Durchbruch.
Dabei könnten die Lebenswege der beiden kaum unterschiedlicher sein. Rashid war General, Geheimdienstchef, Chefunterhändler des Friedensvertrags von 1994. "Ich habe mein Leben in der Armee verbracht", sagt er. "Heute kämpfe ich für den Frieden – mit Eulen."
Früher habe auch er die Schleiereulen für Unglücksvögel gehalten, sagt Abu Rashid. "Aber diese Tiere haben mein Herz erobert." Abu Rashid half Leshem dabei, das Trackingsystem für die Vögel nach Jordanien zu erweitern und sie mithilfe leichter Radiotransmitter zu überwachen. "Wir starteten Aufklärungsprogramme an Schulen und Universitäten und bezogen die lokalen Gemeinschaften mit ein, etwa Frauenvereine, weil Frauen die Familien und Gemeinden beeinflussen", erklärt er. "Kinder malten Bilder von Schleiereulen aus." Abu Rashid fährt bis heute durch jordanische Dörfer, beginnt mit den Imamen, um am Ende die Bauern für die Eulen zu gewinnen.
Plötzlich sehen die Menschen, dass sie keine Feinde sind
Die ersten gemeinsamen Seminare waren heikel: Bauern aus Israel, Jordanien und dem Westjordanland in einem Raum. "Am Anfang war die Stimmung natürlich eisig", erinnert sich Leshem. "Doch dann haben wir zusammen gegessen, gelacht, getanzt. Da war keine Politik mehr, nur noch Menschen. Und wenn sie sehen, dass eine Eule Tausende Mäuse frisst, verstehen sie es."
"Plötzlich sehen die Menschen, dass sie keine Feinde sind, sondern zusammengehen können – wie ein Stein, den man ins Wasser wirft, der Wellen schlägt", erzählt Abu Rashid. "Als wir beim Papst standen, war ich stolz", beschreibt Abu Rashid seinen bewegenden Moment. "Wenn der Papst sich mit den Schleiereulen als Friedensboten zeigt, erreicht die Botschaft eine halbe Milliarde Katholiken." Besonders stolz ist er auf das Teamwork, das auch Kollegen aus der Westbank mit einschließt: "Stellen Sie sich doch einmal vor: Ein jordanischer General und ein israelischer Ornithologe stehen vor dem Papst – an Schabbat und während des Ramadans."
Inzwischen sind 5000 Nistkästen installiert, der Pestizideinsatz ist dramatisch gesunken. "Wir retten damit die Natur", sagt Leshem. "Aber eigentlich gewinnen wir etwas viel Wichtigeres: Vertrauen." Abu Rashid sagt: "Die Schleiereule hat mehr für den Frieden getan als so mancher Diplomat."
Im nächsten Jahr solle in Genf eine internationale Konferenz stattfinden – mit 50 Ländern, von Afrika bis Asien. Ziel: das Eulenprojekt global ausweiten.
Yossi Leshem winkt ab, wenn man ihn als Friedensstifter feiern will. "Ich bin kein Diplomat. Ich bin Biologe und erledige nur meine Arbeit. Aber wenn es vierzig Menschen wie mich gibt – für Wasser, Energie, Biodiversität –, dann kann sich die Welt verändern."