Wenn ich mein eigenes Alter vor Augen habe - und so weit ist es nicht weg, ich bin 1963 geboren -, kann ich mich zwischen zwei Szenarien entscheiden: der Apokalypse, in der wir "ungebremst auf eine Pflegekatastrophe" zurasen. So sieht das Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates. Oder einer insgesamt alten Gesellschaft, in der wir Babyboomer nicht warten, bis ein Wunder passiert und 280.000 neue Pflegekräfte vom Himmel regnen. So viele braucht es laut Vogler nämlich mindestens, bis ich alt bin. Sondern in der wir uns auch gegenseitig helfen. Die alte Nachbarin zum Arzt begleiten, solange wir selbst noch gehen können. Und, ja, auch bei einem Notfall im Pflegeheim zur Stelle sind, bis die Profis kommen.
Ich entscheide mich für das zweite Szenario. Und finde gar nicht schlimm, dass bei akutem Personalengpass in einem Pflegeheim nicht nur das Rote Kreuz, sondern auch engagierte Nachbarn helfen. Natürlich darf das weder die Heimbetreiberin noch den Staat von seiner Pflicht befreien, den Laden am Laufen zu halten. Die Heimleitung wird schon allein wegen dieser negativen Schlagzeilen gucken, dass so was nicht gleich wieder passiert. Und der Staat hat längst verstanden, was dran ist: Pflegekräfte besser bezahlen – das passiert ja jetzt schon, die Gehälter wurden erhöht und auch der Mindestlohn hilft. Pflegekräfte aus dem Ausland holen - aber dann fehlen sie oft in ihren Heimatländern. Pflegekräfte besser ausbilden, damit noch viel mehr junge Männer und Frauen diesen Beruf ergreifen.
Wir brauchen Caring Communitys
Aber egal was gesetzlich passiert, ohne Einsatz von uns allen wird es nicht gehen. Und das ist doch eine ganz schöne Vorstellung. Es gibt so viele fitte Männer - ja, vor allem Männer! -, die schon mit Ende 50, Anfang 60 in die gut ausgestattete Frührente gehen. Als die Flutkatastrophe übers Ahrtal einbrach, packten viele an – und waren glücklich, dass sie helfen konnten. Natürlich können die auch anpacken, wenn plötzlich ein Pflegeheim ohne Betreuer da steht. Die Erfahrung lehrt: Wenn Bürger und Bürgerinnen mit anpacken, schweißt das eine Gemeinde enorm zusammen. Egal ob sie ein Freibad retten, einen Dorfladen wieder beleben oder eben bei einem Notfall helfen.
Lasst uns Caring Communitys bauen, bei denen alle sich um ihre Nächsten kümmern. Die Kirche kann viele Menschen zusammenbringen, digitale Plattformen wie "nebenan.de" und auch lokale Medien können helfen - so wie sie übrigens auch bei der Flüchtlingshilfe Nachbarn vernetzen.
Keine Angst, sie werden niemals die Pflegefachkräfte ersetzen - im Gegenteil. Dieser Beruf wird immer anspruchsvoller, denn auch Ärzte fehlen massenhaft. In Frankreich darf die Pflegefachkraft längst impfen, bestimmte Medikamente verschreiben und dosieren. Auf dem Land ersetzt sie dort längst die fehlende Landärztin – auch in Deutschland ist das ein Problem.
So kann ich mir mein Alter vorstellen. Profis aus aller Welt kümmern sich um die Gesundheit, um Blutverdünner, Wundverbände und Diabetesspritzen. Und wir Nachbarinnen und Freunde helfen uns gegenseitig, ein würdiges Leben zu führen.