An einem Mittwochmorgen im März bekam der Musiker Eric Clapton den wohl schlimmsten Anruf seines Lebens – so schildert er es in seiner Autobiografie. "Conor ist tot!", schrie Lory Del Santo ins Telefon. Conor war sein Sohn. Del Santo die Mutter des Kindes. Conor war an diesem Tag, dem 20. März 1991, aus dem 53. Stock eines Wohnhauses in New York gestürzt. Er wurde vier Jahre alt. Noch im gleichen Jahr erschien Eric Claptons vermutlich berühmtestes Stück "Tears in Heaven".
Welche Songs bei Trauerfeiern am häufigsten gespielt werden, wird nicht statistisch erfasst. Doch das Lied von Eric Clapton dürfte auf einem der vorderen Plätze stehen. Es handelt von einem möglichen Treffen im Himmel, und Clapton singt: "Beyond the door, there’s peace, I’m sure, and I know there’ll be no more tears in heaven." ("Hinter der Tür, dort wird Frieden sein, da bin ich sicher, und ich weiß, es wird im Himmel keine Tränen mehr geben.")
Diese Sätze erinnern nicht von ungefähr an eine Stelle ganz am Ende der Bibel: "Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen." (Offb 21,4) Der biblische Vers handelt vom "Neuen Jerusalem", einem idealen Ort, eine Art himmlisches Paradies, das am Ende aller Zeit ersehnt wird und an dem es nicht nur keine Tränen, sondern auch keinen Tod, kein Leid, kein Geschrei mehr geben soll.
Die religiöse Idee eines solchen Neuen Jerusalems als universalen Heilsortes am Ende der Zeiten mag vielen Menschen heute nicht mehr einleuchten. Aber Eric Claptons Song und die über alle religiösen Grenzen hinweggehende Beliebtheit von "Tears in Heaven" zeigen, dass die Sehnsucht nach so einem Ort "himmlischen Friedens" auch in einer vermeintlich säkularisierten Welt nicht einfach verschwindet.
Der Himmel ist eine Vorstellung der menschlichen Träume
Und so steht der Himmel, der biblisch auch als die Wohnstätte Gottes gilt (Gen 28; Ps 2 und 11), dafür, dass Religion nicht einfach "Opium fürs Volk" oder altertümlicher Irrglaube ist, sondern im Gegenteil fester Bestandteil des menschlichen Lebens. Ist es eine Lüge, wenn ich einem Kind erzähle, dass die verstorbene Oma im Himmel ist? Nein, es ist der menschliche Versuch, so etwas Unmenschliches wie den Tod zu verstehen. Die Vorstellung von den Toten im Himmel beschreibt die Situation, dass ein geliebter Mensch, der eben noch auf der Erde neben uns war, auf einmal weg ist und doch nicht einfach aufgehört hat zu sein.
Lesetipp: Wie bereitet man sich auf den Tod eines geliebten Menschen vor?
Der Himmel ist kein Ort – jedenfalls keiner, den es irgendwo "gibt". Der Himmel ist eine Vorstellung der menschlichen Träume, der menschlichen Hoffnungen. Wir Menschen sehnen uns nach dem Himmel. Auch wenn er kein Ort der materiellen Welt ist, "gibt" es den Himmel; in uns. Dieser Himmel in uns ist nicht nur eine Metapher. Das lässt sich spüren, wenn man in den anderen, den sichtbaren Himmel blickt: den Himmel über uns. Ein unendliches Himmelszelt und irgendwo darunter die kleinen Menschen, unbedeutend vielleicht, aber doch Teil dieser grenzenlosen Schöpfung, die niemand ganz erfassen kann. Davon weiß auch die Bibel. Psalm 19 beginnt mit dem Satz: "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes."
Wem würde nicht deutlich, dass es mehr gibt, als wir Menschen sehen und wissen, wenn er oder sie den Blick in den Himmel lenkt? Zumal, wenn es ein bestirnter Himmel über uns ist. Eric Clapton erzählte einmal, dass er nach der Veröffentlichung des Songs "Tears in Heaven" 150 Briefe pro Tag bekommen habe, in denen die Absender ihm von ihrer Trauer erzählten. Das hatte der Song in ihnen ausgelöst. Wer ihn hört, spürt die Sehnsucht danach, dass es mehr geben möge als das, was wir sehen und hören und mit dem Verstand begreifen können. Zum Beispiel die Sehnsucht danach, dass auch das Leben von Menschen, die mit vier Jahren gestorben sind, sinnvoll und richtig war.
Auch für einen religiösen Menschen ist der Tod eines Kindes etwas Unerträgliches. Aber die Vorstellung, dass der geliebte Mensch im Himmel, bei Gott, ist, verleiht vielen Trost.