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Während meines Kunstgeschichtsstudiums habe ich viele Führungen im Museum gegeben und einige lustige Erfahrungen gemacht. Es war immer wieder unterhaltsam, mitanzusehen, wie sich erwachsene Busreisegruppen um die Audiosysteme geprügelt haben – ein knallharter Kopfhörerkampf, ein grandioses Grundschulgerangel. Dabei waren stets genügend Geräte vorhanden. Einmal hat eine Frau jemanden vor einem Gemälde, das ich in einer Führung besprechen wollte, weggeschubst, mit den Worten: "Aus dem Weg, das ist unser Bild! Wir haben dafür bezahlt." Am liebsten hätte sie vermutlich schon um 7 Uhr morgens ihr Handtuch über das Bild gelegt.
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Zum Glück musste ich nie Führungen im Pariser Louvre geben. Hier sind Massen an Touris unterwegs, Guides können in dem Gewusel schnell ihre Gruppen verlieren. Wie praktisch wäre da ein selbst gebasteltes Fähnchen an einem Selfiestick? Genau das dachte sich eine Frau im Louvre und verwandelte sich in ein menschliches Follow-me-Car. Und in exakt diesem Moment entstand das Foto, um das es heute geht: Paris, 2024, Louvre, Guide. Das Fähnchen und der Winkel, in dem es die Frau hält, haben enorme Ähnlichkeit zu den Speeren auf dem Bild hinter ihr. Auf dem Gemälde ist die mythologische Figur Ödipus dargestellt, der gerade das Rätsel der Sphinx löst. Diese belagerte laut Mythos die Stadt Theben und tötete alle, die ihrer Knobelaufgabe nicht gewachsen waren – quasi Sudoku um Leben und Tod. Gemalt wurde das Bild "Ödipus und die Sphinx" von dem berühmten Künstler Jean-Auguste-Dominique Ingres, der als einer der bedeutendsten französischen Maler des 19. Jahrhunderts gilt. Von diesem Meisterwerk geht eine andächtige Atmosphäre aus und genau damit bricht das Foto aus dem Louvre.
Das Fähnchen vor dem Bild muss man erst sehen und in der richtigen Sekunde den Auslöser drücken! Diese Fähigkeit besitzt Felix Krämer und er zeigt sie vielfach auf seinem Instagram-Kanal. Krämer ist Generaldirektor des Kunstpalastes in Düsseldorf und in Ausstellungshäusern auf der ganzen Welt unterwegs. Überall macht er Schnappschüsse von Menschen im Museum. Er entdeckt Frisuren, Kleidung und zufällige Posen, die perfekt zu Kunstwerken passen. Eine seiner Aufnahmen zeigt zum Beispiel eine Dame mit knallgelben Haaren, die gerade an einem gelben Bild vorbeiläuft. Hier ist mehr Gelb im Spiel als bei den Simpsons in Springfield. Auf einem anderen Foto steht eine Frau vor einem Schokoladenbild mit einer braunen Handtasche, die plötzlich wie ein tragbares Schokoladenstück wirkt. So viel Humor passt in eine Handykamera!
Das Museumspublikum zu fotografieren, ist nicht neu. Künstler wie Thomas Struth und Stefan Draschan machen das schon lange. Felix Krämer geht es auch nicht um Innovation oder technische Perfektion. Es geht um Spaß und den hat er definitiv. Seine Fotos verändern unseren Blick, jeder Museumsbesuch bekommt etwas Spielerisches, es ist wie eine Schnitzeljagd nach Schnappschüssen. Mit einem ähnlichen Blick gehe ich durch Museen, wenn ich neue Motive für meine Bühnenshows suche. Als Comedian, der sich thematisch mit Kunst beschäftigt, schaue ich ebenfalls auf das Abseitige, das Abstruse, die ungewöhnlichen Details auf Bildern.
Nun hat Felix Krämer seine erste Ausstellung und ich darf sie kuratieren. In der Kunstwelt gab es bereits ziemlich wilde Kooperationen: Salvador Dalí arbeitete mit Disney, Jeff Koons mit Louis Vuitton und das Van-Gogh-Museum entwickelte eine Ausstellung mit Pokémon. Hier ist nun die nächste schräge Zusammenarbeit: Ein Museumsdirektor trifft einen Kunstcomedian. Die Ausstellung "It’s a match!" läuft bis zum 1. März in der Galerie im Park in Viersen.
Jakob Schwerdtfeger ist Kunsthistoriker und Comedian. Alle Auftritte unter www.jakob-schwerdtfeger.com