"Jesus was a sailor." Das hatte ich noch nicht gehört. Dass Jesus auf einem hölzernen Turm Ausschau nach Ertrinkenden hält und sie erlöst, steht nicht in der Bibel. Und selbst wenn: Hätte mein Pastor darüber gepredigt, es hätte mich nicht interessiert. Nun aber sang Leonard Cohen mit berückend knarziger Stimme von Jesus, der ein "Sailor" gewesen sei und – wie mysteriös! – "broken" war: "gebrochen". Mein jugendliches Seelchen ahnte die Botschaft. Zumal diese Jesusgeschichte eingebunden war in eine betörende Liebesgeschichte um "Suzanne", die "Lumpen und Federn" aus der Kleiderkammer der Heilsarmee trug, Tee und Orangen aus China verteilte und offensichtlich ziemlich erotisch wirkte.
Der Song setzte mein pubertäres Kopfkino in Gang. Wie ist das mit der Liebe? Aber auch die Frage nach Gott trieb mich um. Antworten zum ersten Thema gab mir das Leben. Um Antworten auf die zweite Frage bemühte sich mein Pastor. Auf Freizeiten sangen wir von Gottes Liebe, die "wie Gras und Ufer" sei. Immerhin, das klang sympathischer als von der Orgel begleitete Gesangbuchlieder. Mein Herz erreichte es aber so wenig wie Predigten.
Leonard Cohens Lied "Suzanne" jedoch schaffte es. Ich kaufte mir die Platte – auf dem Cover ein irgendwie besorgt dreinschauendes Männergesicht. So sah er also aus, dieser Sänger, der von Suzanne und Jesus schwärmte. Seinen Song zupfte ich inzwischen auch auf meiner Gitarre. Er setzte den Soundtrack meines Lebens auf eine neue Spur – bisher waren da nur die Schlager der Hitparade gespeichert gewesen.
Lesen Sie hier: Wie Donald Trump den Song "Hallelujah" von Leonard Cohen verkitscht
Und "Suzanne" katapultierte meinen Glauben in ungeahnte Tiefen. Der Song fachte meine Neugierde nach der "Sache mit Gott" neu an. Was im Konfirmandenunterricht reine Theorie geblieben war, wollte ich nun auch mit dem Herzen verstehen. Ich merkte: Da gibt es etwas, das mein Leben sehr betrifft. Und es begann sich mir durch die Musik zu erschließen. Durch Musik, die meine Eltern und meine Pastoren nicht verstanden und die ihnen suspekt erschien. Musik, die mich zum Tanzen brachte. Körperlich, ja, aber auch im übertragenen Sinn. Sie setzte das in Bewegung, wofür ich später den Begriff "Spiritualität" kennenlernte. Meine spirituelle Neugier wurde durch Lieder aus der Rock- und Popmusik gleichzeitig befriedigt und immer wieder neu angefacht. In der Soundtrackliste meines Lebens haben sich seither unzählige Songs angesammelt, die vom Glauben handeln. Von einem Glauben oft jenseits der "theological Correctness" – dafür stets inspirierend und oft voll umwerfender Fantasie.
4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.