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Ich bin in einem friedensbewegten Pfarrhaus aufgewachsen. Dort kam ich schon als Kind mit Wolf Biermanns Gedichten und Liedern in Berührung. In der Gemeinde meines Vaters gab es eine "Friedensgruppe" mit coolen jungen Leuten und die haben mir Kassetten mit Musik von Biermann, BAP, Degenhardt und Co aufgenommen. Ich durfte mit zu den Demos gegen Atomwaffen und Aufrüstung. Dort lief diese Musik auch. Für mich tat sich eine neue Welt auf und ich wollte mehr davon.
Moritz Puschke
Mit 15 Jahren gründete ich mit Freunden eine Band. Neben Klassikern der Beatles, der Kinks und der Stones stand der Biermann-Song "Ermutigung" von 1974 auf unserer Setlist. Wir probten im Keller des Gemeindehauses der evangelischen Auferstehungsgemeinde in Bremen. Eine klassische "Sachleistungskooperation", denn wir mussten dafür ab und an im Gottesdienst auftreten. Einmal brachten wir "Ermutigung" direkt nach der Predigt. Ab diesem Moment wusste ich, gerade 15-jährig, wie dieser Song, wie überhaupt Musik Menschen berührt und erreicht, wenn sie mit voller Leidenschaft, roh und direkt zu ihnen dringt. So unperfekt wir Jugendlichen den Song damals aufführten, er hatte Seele – Soul.
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Wir spielten ihn mit zwei E-Gitarren, Bass, Schlagzeug und Hammondorgel – laut, hungrig und punkig! Die existenziellen Fragen des Liedes berührten unmittelbar die Lebenswirklichkeit all derer, die da im Gottesdienst versammelt waren: "Du, lass dich nicht verhärten / In dieser harten Zeit / Die allzu hart sind, brechen / Die allzu spitz sind, stechen / Und brechen ab sogleich."
Mit meiner Mutter war ich im April 1990 in Buchholz (Nordheide) beim Konzert von Wolf Biermann. Und was soll ich sagen: Ich habe Biermann die Setlist von der Bühne geklaut und nachher um ein Autogramm auf eben jener Setlist gebeten. Halb ernst, halb belustigt, gespielt zornig schrieb er: "Für den Dieb Moritz." Wolf Biermann wurde zu einem Lebensbegleiter und "Ermutigung" zum Soundtrack.
Das letzte Buch, was mir mein Vater kurz vor seinem plötzlichen Tod vor drei Jahren geschenkt hatte, war ein Biermann-Band. Ermutigung ist mir im Laufe der Jahre so etwas wie ein Lebensmotto und ein Leitbegriff geworden. Leider hat es dieses Lied bisher in Deutschland noch nicht ins Gesangbuch geschafft. Aber genau dort gehört es hin.
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"Ermutigung" hat Biermann in einer Kirchentonart geschrieben und immer wieder den Wunsch geäußert, dass das Lied in einer Gruppe gesungen werden solle. In Schweden hat man die Bedeutsamkeit dieses Liedes längst erkannt und "Ermutigung" ins Gesangbuch aufgenommen. Im Jahr 2011 entwickelte ich den Branchentreff Chor.com in Dortmund, zu dem ich Wolf Biermann einlud und er zu meiner großen Freude zusagte, um in Workshops an Chorarrangements seiner Lieder zu arbeiten. Wolf Biermann war Teil der europäischen Chorszene geworden! Wann wird er Teil des Gesangbuchs in Deutschland?
Ich sage: Jetzt ist die Zeit! Am besten anlässlich eines Friedenskonzertes am 8. Mai 2025 in Nürnberg zum 80. Jahrestages des Kriegsendes. "You may say I’m a dreamer." Damit wäre ich dann beim nächsten Pflichtsong für das evangelische Kirchengesangbuch . . . Ich kann mich da durchaus in Rage reden. Wie kann es sein, dass das Gesangbuch die wichtigsten Songs der letzten 60 bis 70 Jahre ignoriert? Wo sind Bob Dylan, John Lennon, Joan Baez oder Aretha Franklin? Deren Friedenslieder und Protestsongs sind doch religiös! Oder gilt das nur, wenn explizit das Wort "Gott" drin vorkommt? Höchste Zeit, dass das evangelische Gesangbuch das "Real Book" des Glaubens im 21. Jahrhundert wird!
Wann hat es aufgehört, dass der "Sound der Straße" und das Gesangbuch zusammengedacht werden? Warum nicht heute Becker’scher Psalter, Bach, Biermann und Beatles . . . Das Gesangbuch ist doch das musikalische Kompendium für die großen Themen des Glaubens. Da müssen die besten Lieder drin sein. Und vor allem auch Lieder, die der Lebenswirklichkeit der Menschen entspringen.