Kontakte knüpfen
"Berührungen können wie Schmerzmittel wirken"
Zum Glücklichsein braucht der Mensch andere Menschen. Die Autorin Ronja von Wurmb-Seibel hat Tipps, wie wir mehr Kontakte knüpfen und Verbündete finden
So findet man echte Freunde und Verbündete
Drei junge Frauen blicken über die Dächer Berlins
Julia Otto/Westend61
Tim Wegner
19.10.2024
7Min

"Menschen, die sich einsam fühlen, sind empfänglicher für antidemokratische Einstellungen", heißt es in einer Studie der Berliner Denkfabrik Progressives Zentrum. Gerade rechtsextreme Organisationen wissen die Sogkraft sozialer Gruppen für sich zu nutzen und schaffen gezielt Angebote, die einsame Menschen ansprechen. Auch Donald Trump betont im US-Wahlkampf immer wieder "Wir sind eure Familie, wir sind für euch da".

Als Gegenrezept schreiben die Autor*innen der Studie: "Viele und gute Beziehungen zu anderen Menschen verringern europaweit die Wahrscheinlichkeit, ‚rechts‘ zu stehen". Die Autorin Ronja von Wurmb-Seibel hat sich dies zu Herzen genommen.

chrismon: Frau von Wurmb-Seibel, Ihr neues Buch heißt "Warum wir für ein gutes Leben Verbündete brauchen – und wie wir sie finden". Was meinen Sie mit "Verbündete"?

Ronja von Wurmb-Seibel: Verbündete sind Menschen, bei denen ich mich so zeigen kann, wie ich wirklich bin – das können Partner*innen sein, aber auch lose Bekannte oder Menschen, mit denen uns eine lange Freundschaft verbindet. Das Wort "Verbündete" beschreibt die Tiefe einer Beziehung, nicht ihre Form. Jemand kann verheiratet sein und einen großen Freundeskreis haben und sich trotzdem nicht verbunden fühlen. Genauso können wir allein leben und nur zwei bis drei Leute kennen, mit denen wir uns ganz stark verbunden fühlen. Entscheidend ist nicht, wie viele Menschen wir um uns haben, sondern wie wir uns in ihrer Anwesenheit fühlen.

Woher weiß ich, ob ich noch mehr Vertrauenspersonen brauche oder ob es genug sind?

Mein Tipp ist eine Art Inventur: Wie erfüllend sind die Beziehungen, die ich bereits führe? Gibt es Menschen, mit denen ich gern mehr Zeit oder anders Zeit verbringen würde? Gibt es Leerstellen in meinem Leben? Empfinde ich einen Mangel? Gegen das Gefühl von Einsamkeit können schon ein oder zwei echte Verbündete helfen. Wir müssen nicht unbedingt gleich einen ganzen Verein oder eine größere Gemeinschaft finden. Aber natürlich kann es auch helfen, sich als Teil eines größeren Ganzen zu verstehen. Gerade in schwierigen Zeiten fühlt sich eine Community vielleicht belastbarer an als einzelne Freundschaften.

Ich will mir etwas Gutes tun. Als Erstes empfehlen Sie "Schuhe anziehen, die Haustür öffnen und rausgehen". Was aber, wenn da nichts passiert oder keiner Kontakte knüpfen will?

Es muss nicht immer gleich eine tiefe, neue Verbindung entstehen. Gerade in Momenten, in denen wir uns besonders einsam fühlen, hilft es tatsächlich schon, eine andere Person anzulächeln, jemandem in die Augen zu schauen, vielleicht ein, zwei Sätze zu reden – zur Not an der Kasse im Supermarkt. Sogar in kleinen Momenten wie diesen schütten unsere Körper Hormone aus, die Stress reduzieren und uns stärken. Unsere Körper sind auf Verbindung gepolt. Wir Menschen brauchen andere Menschen.

Und wenn ich nach tieferen Verbindungen suche?

Mein Lieblingstipp ist relativ simpel: Überlege, was du gern machst und mach das dann möglichst oft. Kochen, Sport, Malen, Gartenarbeit, politisches Engagement – ganz egal. Und dann suche nach Gelegenheiten, andere Leute mit einzuladen. Das kann klein anfangen, mit ein oder zwei Personen, mit der Zeit kann so aber auch eine ganze Community entstehen. Wir müssen nicht immer eine Gemeinschaft finden, die es schon gibt und in die wir zufällig passen, wir können uns auch unsere eigene Community aufbauen.

Kurz nachdem ich mein Buch fertig geschrieben hatte, habe ich das selbst ausprobiert. Mein Schwager hatte den Traum, einmal wie in einem Restaurant zu kochen. Bei uns zu Hause gibt es eine große Scheune, die leer steht. Also kamen wir auf die Idee, dass wir zusammen einen Restaurant-Abend für einen guten Zweck veranstalten könnten. Wir haben in der Bäckerei im Ort Zettel ausgehängt. Am Ende kamen viele Leute, die wir noch nicht oder kaum kannten – es wurde sehr viel gelacht. Alle haben jeweils das gemacht, was ihnen Spaß macht: Mein Schwager kocht gern, ich lade gern Leute ein, unsere Gäste essen gern und sind gesellig. Ich war überrascht, wie viel aus so einem einzelnen Abend entstehen kann: Einige Gäste haben auch zurück eingeladen, und auch meinem Schwager fühle ich mich seither noch enger verbunden. Andere Leute, die von dem Abend gehört haben, wollen jetzt auch kochen. Das machen wir auf jeden Fall wieder, der nächste Termin steht schon.

In Ihrem Buch zitieren Sie Charles H. Vogl, laut dem wir unsere eigenen Communitys mit eigenen Werten, Ritualen und sogar mit einem eigenen Tempel bauen sollen. Es gibt aber ja schon zahlreiche Kirchen und Gemeinden.

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