Marco Wanderwitz im Interview
Wie stehen die Chancen für ein AfD-Verbot?
"Die AfD will die Demokratie sturmreif schießen", sagt der CDU-Politiker Marco Wanderwitz. Er will noch im Herbst ein Verbotsverfahren beantragen. Was das mit seinem christlichen Gewissen zu tun hat
Bürgerinnen und Bürger protestieren gegen Rechtsextremismus unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt"
Demo gegen die AfD in Lübeck im März 2024
picture alliance / Noah Wedel
Tim Wegner
10.10.2024
5Min

Sie haben unter Abgeordneten dafür geworben, dem Bundestag einen AfD-Verbotsantrag vorzulegen. Stimmt eine Mehrheit zu, muss das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden. Als Parlamentarier sind Sie nur Ihrem Gewissen unterworfen. Ist dieser Schritt eine Gewissensentscheidung für Sie, um noch etwas gegen die AfD zu unternehmen, ehe es zu spät ist?

Marco Wanderwitz: Mein Gewissen spielt eine Rolle, ja. Ich habe über Jahre in meiner sächsischen Heimat erleben müssen, dass die AfD eine hochgefährliche, sich immer weiter radikalisierende rechtsextreme Partei ist, die die demokratischen Regeln für unser Zusammenleben grundhaft infrage stellt. Und ich habe meine Lektion aus unserer Geschichte gelernt.

Laurence Chaperon

Marco Wanderwitz

Marco Wanderwitz, Jahrgang 1975, ist Rechtsanwalt und seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages, wo er den Wahlkreis Chemnitzer Umland – Erzgebirgskreis II in Sachsen vertritt. Wanderwitz ist Vater von vier Kindern und evangelisch.

Wie meinen Sie das?

In der Weimarer Republik ließen zu viele die Demokratiefeinde gewähren, bis es zu spät war. Deshalb sage ich: Wehret den Anfängen! Wobei wir über die Anfänge leider schon deutlich hinaus sind. Es gibt drei Verfassungsorgane in Deutschland, die ein Parteiverbotsverfahren anstrengen können: die Bundesregierung, der Bundesrat und der Bundestag. Ich bin Abgeordneter des Deutschen Bundestages, deshalb sehe ich mich hier in der Verantwortung.

Sie sind evangelischer Christ. Ein Verbotsverfahren könnte auch viele Kirchengemeinden spalten, in denen es neben vielen Gegnern auch Befürworter der AfD gibt. Ist das eine Gefahr?

Zunächst einmal bin ich dankbar, dass sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche Positionen zur AfD formuliert haben, die an Deutlichkeit nichts vermissen lassen. Es hat ein wenig gedauert, aber nun haben die Kirchen eine klare Haltung, die auch ganz konkrete Folgen für kirchliche Laienämter hat. Insofern geht durch die Kirche eben kein Riss. Aber ich bin nicht blauäugig. Kirchengemeinden sind ein Spiegel der Gesellschaft. In Sachsen gibt es Dörfer, in denen die AfD an die 50 Prozent der Stimmen holt. Darunter sind auch Wähler, die Gemeindemitglieder sind. Diese Leute sind sicher nicht begeistert von dem, was ich tue. Aber ich teile ausdrücklich die Auffassung der Kirchen, dass man nicht Christ und gleichzeitig in der AfD sein kann.

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Warum sehen auch Sie das so?

Völkische Positionen widersprechen unserer Überzeugung von der Gottesebenbildlichkeit jedes einzelnen Menschen, der unveräußerlichen individuellen Menschenwürde. Egal, welche Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung oder Beeinträchtigungen wir haben – wir sind alle geliebte Kinder Gottes. Es ist schlimm, dass einige Schwestern und Brüder das nicht mehr sehen wollen.

Diese Menschen sind immer noch da – während eines laufenden Verbotsverfahrens, das Jahre in Anspruch nehmen würde, und auch dann, wenn die AfD höchstrichterlich verboten werden würde.

Ich glaube, viele kämen ins Grübeln, wenn das unabhängige Bundesverfassungsgericht mit der Roten Karte naht. Und so ehrlich müssen wir sein: Unsere Strategie, die AfD-Anhängerschaft mit Argumenten zu überzeugen, war leider bisher nicht sehr erfolgreich.

Worauf führen Sie das zurück?

Wir leben in einer Zeit, die geprägt ist von großen Sorgen, ob die Zukunft eine gute sein wird. Klimawandel, die Corona-Pandemie, der jahrelange russische Angriffskrieg auf die Ukraine, das zunehmend aggressivere Verhalten Chinas – das alles war und ist nicht dazu angetan, dass eine Exportnation wie Deutschland prosperiert. Ängste sind das Sauerstoffzelt für Rechtsextremisten, die mit diesen Ängsten auf Stimmenfang gehen.

"Viele Menschen haben Aufnahmen von marschierenden SA-Truppen in Uniform vor Augen, wenn sie Begriffe wie 'aktiv-kämpferisch' hören. Aber es reicht weit weniger!"

Marco Wanderwitz

Kritiker eines Verbotsantrages wenden ein, es gelte als fraglich, ob sich beweisen lässt, dass die AfD in "aktiv-kämpferischer Weise" gegen die demokratische Ordnung vorgehe. Was erwidern Sie?

Viele Menschen haben Aufnahmen von marschierenden SA-Truppen in Uniform vor Augen, wenn sie Begriffe wie "aktiv-kämpferisch" hören. Aber es reicht weit weniger! Hierzu zwei Beispiele: Die Art, wie sich der Thüringer Alterspräsident bei der konstituierenden Sitzung des Landtages verhalten hat, diente der Verächtlichmachung der demokratischen Institutionen. Das war ein Stück nach Drehbuch Goebbelscher Prägung. Es geht dieser Partei darum, unsere Demokratie und ihre Institutionen vor aller Augen sturmreif zu schießen. Das zweite aktuelle Beispiel finde ich noch schlagender.

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Nämlich?

Am Wahlabend in Brandenburg sangen AfDler auf deren offizieller Wahlparty ein zynisches, menschenverachtendes Lied: "Wir schieben sie alle ab!" Auf Plakaten im Hintergrund war der Spruch zu lesen: "Millionenfach abschieben!" In Deutschland gibt es keine 50.000 Menschen, die unbedingt ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber sind. Die AfD spricht aber offen von "Millionen" – und vertritt ihr Ziel der sogenannten Remigration ganz offen. Diese Partei lebt ein völkisch-rassistisches Menschenbild. Das zielt klar auf Artikel 1 in unserem Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Juristisch gesehen ist es egal, ob die AfD Millionen Menschen mit Gewalt außer Landes bringen oder ein Klima schaffen will, in dem sie vermeintlich freiwillig gehen – ihre Position ist menschenverachtend und klar verfassungswidrig. Diese Entwicklung ist nicht neu. Ich erinnere an den Ausspruch von Alexander Gauland, man solle die Kollegin Aydan Özoguz "in Anatolien entsorgen". Frau Özoguz ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, geboren in Hamburg.

Besonders seit der Terrorattacke von Solingen überbieten sich die Parteien damit, migrationskritische Positionen zu vertreten und den Zuzug von Menschen nach Deutschland zu begrenzen. Stärkt das nicht das Original, die AfD?

Ich bin in dieser Frage hin- und hergerissen, das gebe ich gern zu. Wir müssen aufpassen, den Diskurs nicht zu verschieben. Auf der anderen Seite hat unser früherer Bundespräsident Joachim Gauck recht mit seinem Satz aus dem Jahr 2015, den er seitdem oft wiederholt: "Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich." Für mich bedeutet verantwortungsvolle Politik, dass man Regeln, die innerhalb des Verfassungsbogens liegen, setzen und durchsetzen muss. Das gilt auch für die Migration. Dabei dürfen wir allerdings nie außer Acht lassen, dass wir es mit Menschen zu tun haben. Achtsame Sprache ist da geboten für Demokratinnen und Demokraten. Das mahnen beispielsweise die Kirchen sehr regelmäßig und sehr zu Recht an.