Finanzielle Unterstützung
Wer wirklich von Kinderpatenschaften profitiert
Kinderpatenschaften sind beliebt. Dabei fließt das Geld fast nie direkt an das Kind, sondern meist in Hilfsprojekte. Machen das Spendenorganisationen klar genug?
Illustration zeigt ein Kind, das in einem übergroßen Briefumschlag steht und mit der Hand winkt. Im Hintergrund sind Häuser zu sehen
Moritz Wienert
Tim Wegner
Aktualisiert am 20.07.2024
8Min

"Wessen Leben möchtest du verändern?" So wird man gefragt auf der Internetseite von World Vision. Dann kann man auswählen: Junge, Mädchen, Land, Alter. Sagen wir Mädchen, unter 5, Land egal. Das Bild der vierjährigen Minh Uyen aus Vietnam poppt auf. Sagen wir ein Junge. Schon erscheint das Foto eines ernsten Kindes, Dinh Thac, 3, ebenfalls aus Vietnam. Maximal zwei Kinder werden mit Foto angezeigt. Den Zwölfjährigen aus Äthiopien gibt es dann nur als gezeichnetes Jungenschema. Monatlich mindestens 30 Euro würde bei World Vision die Patenschaft für das Kind kosten.

Dafür bekommt man nicht nur die übliche Spendenquittung, sondern Fotos vom Patenkind, Infos über seine Familie, jährlich einen Bericht über die Fortschritte des Kindes und direkten Briefkontakt. Sogar besuchen könnte man das Kind. So oder so ähnlich läuft es auch bei den beiden anderen großen Kinderhilfsorganisationen in Deutschland, die Patenschaften anbieten - PLAN International und Kindernothilfe -, sowie den vielen kleineren Organisationen.

Eine Patenschaft für ein Kind zu übernehmen in einem der ärmsten Länder der Welt, das ist offensichtlich für viele Menschen verführerisch. Allein PLAN International hat 385 000 Paten und Patinnen in Deutschland und Österreich.

Dann geht es los mit dem Briefeschreiben. Und die neuen Paten, Patinnen lernen, dass Briefe auch mal drei Monate unterwegs sind, weil es in vielen armen Ländern kein Postzustellsystem gibt, das in jeden Winkel liefert; dass selbst Mails nicht gleich da sind, sondern erst vom Landesbüro ausgedruckt und dann auf Papier zu jenen Patenkindfamilien gebracht werden müssen, die ohne Strom und Elektrogeräte leben.

Nicht jeder sieht das ein. Einer kündigte seine Patenschaft bei PLAN, weil die Familie, so schrieb er es auf der Bewertungsseite eKomi, auch nach einem halben Jahr noch nicht den Empfang eines kleinen Teddys bestätigt hatte; den Versand hatte er im Shop von PLAN in Auftrag gegeben. Er kündigte trotz ausführlicher Erklärung von PLAN, dass viele Straßen und Brücken in Peru wegen schwerer Überschwemmungen unpassierbar waren, dass man zunächst Nothilfe geleistet habe, bevor der Versand des Teddys bearbeitet werden konnte.

Die Betreuung der Paten ist teuer

Die teure Betreuung der Paten und Patinnen ist einer der Gründe, warum viele andere Hilfsorganisationen keine Patenschaften für einzelne Kinder anbieten. UNICEF etwa, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Oder Terre des Hommes, das sein Patenschaftsprogramm 1975 einstellte, ein paar Jahre später tat das auch die Welthungerhilfe.

Kritisiert wurde damals vor allem, dass Patenschaften nichts an den Ursachen für die Armut verbessern würden. Statt einem einzelnen Kind den Schulbesuch zu ermöglichen, sei es doch sinnvoller, eine Schule instand zu setzen und Lehrkräfte auszubilden - so dass dauerhaft viele Kinder zur Schule gehen können. Und natürlich müsse man allen Eltern eines Dorfes Hilfe zur Selbsthilfe geben, so dass sie absehbar selbst für ihre Kinder sorgen können. Das war die Diskussion in den 70er und 80er Jahren.

Heute ist es Standard in der Entwicklungszusammenarbeit, dass man immer mit der ganzen Gemeinschaft vor Ort arbeitet, und zwar als Hilfe zur Selbsthilfe. Auch die meisten Kinderhilfswerke, die Patenschaften vermitteln, arbeiten so. Es werden zwar in Abstimmung mit der Community Patenkinder bestimmt, oft aus besonders bedürftigen Familien, und manchmal sind das ein Fünftel der Kinder vor Ort, aber es fließt kein Geld an diese Kinder. Die Kinderhilfswerke finanzieren viel mehr Projekte, die der ganzen Gemeinschaft oder sogar der ganzen Region zugutekommen, in der die Patenkinder leben.

Das Patenkind bekommt kein Geld

Wird das in der Spendenwerbung auch deutlich gesagt, dass mit dem Patenschaftsbeitrag nicht dieses Kind direkt unterstützt wird? Bei PLAN heißt es: "Indem Sie als Pate oder Patin Kindern helfen, unterstützen Sie gleichzeitig die Entwicklung der gesamten Gemeinde." Ist das deutlich genug? Eigentlich müsste es ja heißen: Indem man der Gemeinde hilft, hilft man dem Kind ...

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Ähnlich bei World Vision: "Die Hilfe einer World-Vision-Patenschaft beschränkt sich nicht auf das Patenkind - auch die Familie und die Region des Kindes werden eingebunden." Und bei der Kindernothilfe heißt es: "Als Pate helfen Sie einem Kind direkt und langfristig." Direkt ja nun eher nicht.

Weder das Kind noch seine Eltern bekommen Geld oder eine Einzelförderung. Das Patenkind profitiert aber von den Projekten, die mit den Patengeldern bezahlt werden, weil die Projekte die Lebensbedingungen des Kindes verbessern: dass ein Brunnen gebaut wird, dass die Erwachsenen ertragreichere Anbaumethoden erlernen, dass Eltern in Workshops gewaltfreie Erziehung lernen.

Natürlich wird für die Kinder im Projektgebiet auch etwas direkt getan, aber eben für alle Kinder: Bei PLAN zum Beispiel wird Mädchen der Zugang zum Arbeitsmarkt geebnet, was sie davor schützen kann, als Teenager verheiratet zu werden. Dort wie auch bei World Vision lernen Kinder ihre Rechte kennen und üben sich darin, ihre Anliegen zu artikulieren.

Geworben wird für Einzelpatenschaften, praktisch aber findet Projektförderung statt - wie verständlich das auf den Webseiten rüberkommt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Organisation Zewo, eine Schweizer Zertifizierungsstelle für gemeinnützige Organisationen, hält das Marketing für problematisch: "Denn viele Patinnen und Paten meinen, ihre Hilfe komme direkt dem persönlichen Patenkind zugute."

Das DZI in Deutschland hingegen, das sich als Verbraucherschutzorganisation für Spendende versteht, hat mehreren Kinderhilfswerken, die Patenschaften vermitteln, das Spendensiegel erteilt, unter anderem PLAN, World Vision, Kindernothilfe. Weil sie zum Beispiel wirtschaftlich und transparent arbeiteten und weil sie klar und wahr informierten.

Arme fragt man nicht nach dem Lieblingsessen

Ist das Vermitteln von Kinderpatenschaften denn nur ein Marketinginstrument? Nein, eine Patenschaft sei viel mehr als ein Marketinginstrument, sagt etwa Iris Manner von World Vision. Sie könne besonders bedeutsam sein für Patenkinder, die in Einelternfamilien oder mit einer Behinderung leben oder einer Minderheit angehören. Und Henriette Schultz-Süchting von PLAN sagt: Der direkte Wert einer Patenschaft für das Kind sei das Interesse am Leben der Kinder. Das fördere ihr Selbstbewusstsein. Und dieses Interesse drückt sich vor allem in den Briefen aus.

Das Briefeschreiben fällt nicht jedem Paten, jeder Patin auf Anhieb leicht. Ein erfahrener Pate erzählt in einem Forum, dass Fragen wie "Wie lang ist dein Schulweg" oder "Was isst du am liebsten" auf Unverständnis stießen in einer Gegend, wo man froh sei, überhaupt etwas zu essen zu haben, egal was, und wo niemand eine Uhr hat, also die Länge eines Schulwegs nicht nach unseren Maßstäben messen kann.

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Überhaupt würden ein bis zwei kindgerechte Fragen reichen, rät PLAN. Man könnte fragen, wie der beste Freund, die beste Freundin heißen. Was das Kind nach der Schule macht. Was es am liebsten spielt. Was die Familie üblicherweise isst. Manche Fragen verbieten sich, sagt Henriette Schultz-Süchting von PLAN: Auf keinen Fall dürfe man Mädchen fragen, ob sie Genitalverstümmelung erlitten haben. Und selbst sollte man vielleicht nicht vom Kauf eines teuren Wohnmobils berichten, sondern lieber über die Tiere schreiben, die es in Deutschland gibt, welche Früchte man im Sommer ernten kann, was für eine Jahreszeit gerade ist und was man da macht, welche Feste man feiert ...

Es gibt zum Schutz der Kinder auch klare Regeln: Man soll Briefe nicht zukleben, heißt es bei PLAN, jede Korrespondenz an die Patenkinder werde geprüft. Und wenn Paten, Patinnen das Kind besuchen wollen, und das tun sie meistens in Verbindung mit einer Urlaubsreise, müssen sie zum Beispiel zusichern, sich nicht alleine mit Kindern oder Jugendlichen in einem Raum aufzuhalten.

Bei World Vision dauert ein Besuch in der Regel nur einen Tag, um niemanden zu überfordern. Die Gäste besichtigen das Projekt, treffen das Kind mit seiner Familie - aber zum Schutz der Privatsphäre an einem öffentlichen Ort, zum Beispiel in einer Schule. "Wir legen Wert auf eine Begegnung auf Augenhöhe", sagt Iris Manner von World Vision, "Projektbesuch heißt nicht, in den Zoo zu gehen, es gibt keine Show, und jeder Pate muss vorher ein Verhaltensprotokoll unterschreiben."

Auch wenn die Paten, Patinnen sämtliche Kosten tragen müssen, sind Besuche aufwendig für die Hilfsorganisationen. Mitarbeitende müssen das Kind und die Familie vorbereiten, natürlich den Besuch begleiten, schon um zu übersetzen. Das DZI rät deshalb vom Besuch beim Patenkind ab.

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Machen die Besuchenden hinterher eine fette Extraspende? Wohl nicht so oft. Manche erstellen ein Video vom Besuch, das die Organisation auf ihrer Website zeigen kann. So wie das Paar, das per Jacht an der Küste der Dominikanischen Republik anlandete und dann sein PLAN-Patenkind und das Projekt besuchte. "Die Leute bekommen schon ein ganz anderes Verständnis für die Lebensverhältnisse vor Ort", sagt Iris Manner von World Vision, das sei doch ein Gewinn.

Zum Vergleich: Bei Hilfsorganisationen ohne Patenkindvermittlung sind Projektbesuche erst ab einer hohen Spende denkbar, bei der Welthungerhilfe zum Beispiel ab 50 000 Euro. Zusätzlich müssen die Besucher natürlich für sämtliche entstehenden Kosten aufkommen.

Man nähert sich aber in einem anderen Punkt aneinander an: Mehr und mehr Hilfsorganisationen übernehmen den Begriff "Patenschaft": Spendende können Patin eines Projekts werden, oder man übernimmt zum Beispiel eine "Ernährungspatenschaft", wie bei Brot für die Welt. 15 Euro monatlich und das ein Jahr lang - damit kann Brot für die Welt 90 Familien in Äthiopien mit Süßkartoffelstecklingen versorgen.

Solch eine Dauerspende per Lastschrift erspart der Organisation Verwaltungskosten und bringt Planbarkeit. Bei der Christoffel Blindenmission wird man CBM-Kinderpatin oder -pate für viele behinderte Kinder. Oder man wird "UNICEF-Pate". Diese Patinnen und Paten haben keinen Kontakt zu einzelnen Kindern, werden aber laufend informiert und dürfen sich laut UNICEF durchaus als Gemeinschaft verstehen.

Die Kinderhilfsorganisationen wiederum, die Einzelpatenschaften anbieten, bemühen sich mehr und mehr um "Projekt-Paten" oder auch um Spenden ohne jede Zweckbindung, die die Organisationen dann flexibel dort einsetzen können, "wo es gerade am nötigsten ist". Frei einsetzbares Geld wird immer wichtiger, sagen die Kinderhilfsorganisationen, da immer mehr Kinder in unsicheren Situationen leben müssen - auch wegen des voranschreitenden Klimawandels.

Womöglich fühlen sich von Projektpatenschaften Menschen angesprochen, die nicht das "Erlebnis" einer Einzelpatenschaft brauchen. Oder, wie es eine Spenderin in einem Onlineforum beschreibt: "Ich brauche das Image der reichen Tante aus Deutschland nicht, der das Kind gefälligst dankbar zu sein hat."

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