An der Humboldt-Universität in Berlin wurde eine propalästinensische Kundgebung aufgelöst, Studierende haben Räume besetzt. Auch an vielen anderen Universitäten wird demonstriert. Halten Sie die Proteste für berechtigt?
Inhaltlich ja – es braucht eine politische Debatte auch und gerade an den Universitäten. Hier ist die Debatte also am richtigen Ort. Wenn wir politische Debatten nicht auch an Universitäten führen können – wo dann? Hier können wir einüben, wie man debattiert. Aber nicht alle Mittel sind berechtigt: Denn natürlich ist die Besetzung eines Unigebäudes kein Zeichen dafür, dass man eine Debatte führen möchte. Das ist ein schmaler Grat. Also: Ja, die Proteste sind berechtigt, Debatte muss sein, aber nicht alle Mittel finde ich richtig. Ich sehe stellenweise allerdings auch eine Mitschuld bei der Unileitung.
Frederike van Oorschot
Wie meinen Sie das?
Wenn man versucht, die Debatten im Keim zu ersticken, dann sucht sich der Unmut andere Wege. Die Uni Bonn zum Beispiel hat ein Protestcamp für einen gewissen Zeitraum akzeptiert – das hat die Debatte dort ermöglicht. Die Studierenden haben ein politisches Anliegen, das berechtigt ist und das raus muss, Raum braucht. Gleichzeitig müssen die Unileitungen natürlich für die Sicherheit der Studierenden sorgen – besonders derzeit für die Sicherheit von jüdischen Studierenden.
Warum politisiert gerade der Nahostkonflikt die Studierenden derart?
In Deutschland ist die aktive Studierendenschaft insgesamt wieder politischer. Und da sie das Gefühl haben, in den offiziellen Runden, Gesprächsveranstaltungen und in der Politik nicht gehört zu werden, eskaliert das immer mehr. Ein verknöchertes Beharren auf einer unpolitischen Universität manch alter Professoren oder Unileitungen hilft da nicht weiter.
Sind die Proteste wirklich vor allem eine Reaktion auf dieses verknöcherte Beharren? Mir kommen die Proteste viel aufgeladener vor.
Ja, das stimmt. Im Gespräch mit Studierenden begegnet mir vor allem ein sehr waches postkoloniales Bewusstsein: Das Narrativ ist, dass Israel hier eine Form von Kolonialismus betreibe. Und dass die Palästinenser dort in ihrem Kampf gegen Israel zumindest ein gerechtes Anliegen haben. Die Debatte um Kolonialismus hatte an den Universitäten in den letzten zehn bis 15 Jahren eine große Bedeutung und hat sie immer noch, so dass hier eine sehr große Sensibilität herrscht. Das lädt diesen Konflikt viel mehr auf als den Ukraine-Krieg. Denn in der Ukraine ist es viel eindeutiger, wer Aggressor und wer Opfer ist. Zugleich werden die Proteste natürlich auch instrumentalisiert, wogegen die Unileitungen zu Recht vorgehen.
Aber ist die Idee, den Nahostkonflikt als Teil des Kolonialismus zu verstehen, nicht schon antisemitisch?
Nein, natürlich nicht. Denn der Vorwurf richtet sich ja an eine bestimmte Richtung der Politik des Staates Israel – gegen die auch in Israel selbst massiv demonstriert wird. Sobald diese Kritik verallgemeinert und auf eine religiöse Gruppe zugespitzt wird, überschreitet sie die Grenze zum Antisemitismus. Antisemitismus darf an den Universitäten keinen Platz haben – das haben sowohl die Studierenden als auch Lehrende deutlich gemacht.
Sollte es in den Universitäten politischer zugehen?
Politik gehört an die Uni. Ich glaube, dass wir eine Debatte brauchen um die gesellschaftliche Bedeutung von universitärer Bildung. In den Geistes- und Sozialwissenschaften muss deutlicher werden, warum das, was gelernt wird, wichtig für die Gegenwart ist. Das kann man machen, indem man die aktuellen gesellschaftspolitischen Diskurse aufnimmt und in der Uni darüber spricht. Das Gegenteil wäre: sich in den Elfenbeinturm zurückziehen. So unterrichte ich zum Beispiel auch Kurse zum Thema "Populismus", damit die Pfarrer*innen und Lehrer*innen sensibilisiert werden für populistische Argumentation und ihre religiöse Instrumentalisierung.
Wie könnte der Nahostkonflikt beispielsweise im Theologiestudium vorkommen?
Als politische Debatte in allem, was so schön Fakultätsleben heißt. Diskussionsrunden mit der Fachschaft, im Professorium, man kann einen Studientag anbieten. Als Fakultät solche Veranstaltungen anzubieten, halte ich für sehr wichtig. Es geht um Zivilgesellschaft an Universitäten. Wenn wir als Kirchen Player in der und Orte für Zivilgesellschaft sein wollen, müssen wir das einüben, auch und gerade im Gespräch mit den anderen Fächern. So ein Übungsfeld haben wir nur an der Uni!
OFFENBARUNG einmal anders.
Ockenga zu: ,Politik gehört an die Universitäten" und auch unter die Kanzeln?
Jetzt erwarte ich als Offenbarung den aktuellen politischen Geist der EKD. Zu vielen Anlässen gibt es Kommentare. Sowohl Wohlwollen für die Kleber, die Ablehnung von Bratwurst und Tempo, als auch gegen Extreme und für den Segen auf dem Jahrmarkt. Jetzt hat in Berlin eine Grüne Abgeordnete über den Mord an einen Polizisten gelacht und andere haben gewitzelt. Laschet hat unter Beifall die Wahl verloren, obwohl er im Gegensatz zu mehreren Grünen nicht über den Anlass gelacht hat. Was sagt die Kirche (Landesverbände, EKD) dazu?. Wird sie, wie nach den Klebern und dem Desaster mit dem Wohlwollen für den "Offener Brief" (beschämt?) schweigen, als eine besondere Form der Verantwortung? Oder gilt bei Bedarf auch hier die Toleranz der Intoleranz? Kann auch in diesem Fall mit Worten und Ansprüchen alles "geglättet" werden, wie es uns vom "Mastermind" Fulbert Seffrensky so schön erklärt wurde?
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Da lachen und witzeln Grüne…
Da lachen und witzeln Grüne im Berliner Stadtparlament über den Mord an einen Polizisten und dann kommt nichts mehr. Kein Aufschrei von den Wertewächtern. Wie auch in der übrigen Presse. Obwohl doch sonst immer jeder Aufschrei sofort erfolgt. Lachen Söder und andere über das Leid der Anderen? Die Linken u. ihre Geisteskinder haben nur ihre eigene Würde!
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Verknöcherte Profs?
Beim Lesen des Artikels der Chrismon Herausgeberin zum Thema der Hamas-unterstützenden Proteste an deutschen Uni, verschlägt es einem die Sprache. Ein Artikel zu diesem Thema ohne eine einzige Erwähnung der wahren Ursache des Ganzen, der palästinensischen Massaker vom 07. Oktober 2023, des permanenten Raketenbeschusses und der immer noch 120 in Gaza festgehaltenen Geiseln ist einfach unglaublich. Statt dessen wird das Ganze als berechtigte Reaktion auf einen (erdachten) Kolonialismus geframt und jeder der sich dagegen wehrt, also verknöcherter Prof betitelt. Ernsthaft? Was an deutschen Unis in diesem Zusammenhang passiert - Verwüstung, Terrorsymbole, Morddrohungen, Gewalt gegen jüdische Studierende und Mitarbeiter etc - , hat absolut nichts mit politischer Diskussion oder Wissenschaftsfreiheit zu tun. Wissenschaftsfreiheit ist nicht Freiheit von rechtsstaatlichen Regeln inkl. Strafverfolgung - auch wenn das einige linke in offenen Briefen fordern (Straffreiheit für die Proteste in jedem Fall / fabulieren von Polizeigewalt). Und auch die Einschätzung das wäre keine Antisemitismus ist nicht richtig. Im Gegenteil. In Israel gehen die Bürger nicht gegen eine angebliche "Kolonialisierung" - die Juden kolonialisieren Israel, wie verwirrt kann man sein - auf die Straße, sondern um eine Freilassung der Geiseln zu erreichen. Frau van Oorschot sollte sich vielmehr fragen, ob sie nicht selbst es ist, die am "verknöcherten" linken Israel-Hass um jeden Preis festhält.
Am Yisrael Chai!
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Guten Morgen, ich lese…
Guten Morgen,
ich lese Chrismon jeden Monat voller Freude, aber das obige Interview hat mich schockiert und empört. Ich veröffentliche gerade selbst bei der FEST Artikel zu Religion und Recht und bin entsetzt über einige der Ansichten, die anscheinend dort verbreitet sind. Natürlich gehören Politik und Protest an die Uni, das war schon zu meiner Studienzeit so, aber nicht auf diese Weise! Wie kann man so geschichtsvergessen und/oder ignorant sein, den Antisemitismus implizit als anti-koloniale Haltung zu bezeichnen? Antisemitismus bzw. Judenfeindschaft ist eine zutiefst koloniale Einstellung, die mit der europäischen Eroberung in den Nahen Osten und nach Asien kam. Aber hier wird Israel Kolonialismus vorgeworfen, wenn auch einschränkend gerichtet an die Politik! Wir haben es hier wieder einmal mit ‘victim blaming’ zu tun. Während in dem Interview den propalästinensischen Ansichten und Aktionen viel Raum (und Sympathie) eingeräumt wird, nur zwei dürre Sätze über den Schutz von Juden an den Unis und gegen Antisemitismus. Und nicht ein Wort über den wirklich verabscheuungswürdigen Terror der Hamas, der in weiten Kreisen im Nahen Osten gefeiert wird. Gerade in einem evangelischen Magazin hätte ich so etwas niemals erwartet! Statt eines Studientages sollte man profunde Geschichtsseminare und -informationen anbieten, die die Ursprünge des Nahostkonfliktes ordentlich aufarbeiten.
Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Hellmann
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Sehr geehrte Frau Oorschot, …
Sehr geehrte Frau Oorschot,
"Erstickt man Debatten im Keim, sucht der Unmut sich andere Wege" - sehr gut - als ich diesen Satz las, sprang mir spontan der Vorgang an der Uni Göttingen ins Gedächtnis, bei dem der Vortrag einer CDU-Bundestagsabgeordneten durch organisiertes lautes Krakeelen von Studenten undemokratisch mit Hass und Hetze verhindert wurde. Gegen diesen Linksextremismus sind die "anderen Wege" eben der Rechtsextremismus. Und wenn beide Seiten aufeinander prallen, kann das der Keim zu Bürgerkrieg sein!
Also, Politik gehört in die Mitte der Gesellschaft, zu den Menschen, die unsere Gesellschaft tragen. Zu den Menschen, die berufstätig in Freud und Leid ihr Zusammenleben und die Außenbeziehungen organisieren müssen.
Lehren Sie Ihre Studenten bitte, nicht nur bei den Vorlesungen und untereinander zuzuhören, sondern besonders, jeder einzelne mit seinem eigenem Herzen und Verstand für sich, in die Gesellschaft genauer hineinzuhören und hineinzuschauen, bevor sie die Dinge besser wissen wollen als andere. Und ja, Politik gehört zu einem kleinen angemessenen Teil auch an die Unis.
Mit freundlichen Grüßen
Gerd Voslamber
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