Foto durch ein Fenster auf das Gebäude des 'International Criminal Court (ICC). Auf der Fensterfront ist das Logo des Internationalen Strafgerichtshof abgebildet. Eine Waage umkreist von einem oben offenen Lorbeerkranz
Blick auf den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag
Peter Dejong/AP/picture alliance
Israel-Krieg
Netanjahu führt Israel an den Pranger
Dass der Chefankläger in Den Haag Netanjahu und die Hamas-Führung zeitgleich ins Visier genommen hat, ist unglücklich. Doch für die Anklage gegen Israel an sich gibt es gute Gründe
Ruthe Zuntz
22.05.2024
4Min

Unmittelbar nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 genoss Israel viel Sympathie, vor allem im Westen. Diese hat das Land durch die Militäroffensive in Gaza, die trotz der geschätzten 35 000 palästinensischen Opfer andauert, weitgehend verspielt. Das zeigt der Beschluss des Chefanklägers beim Internationalen Strafgerichtshof, Karim Khan, einen Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant (wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) zu beantragen.

Ruthe Zuntz

Igal Avidan

Igal Avidan, geboren 1962 in Tel Aviv, studierte englische Literatur und Informatik in Ramat Gan sowie Politikwissenschaft in Berlin. Er lebt in Berlin und arbeitet als freier Journalist u. a. für verschiedene israelische Zeitungen und den Deutschlandfunk. Sein neues Buch "'… und es wurde Licht!' Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel" erschien 2023 (Berenberg-Verlag).

Zum ersten Mal seit seiner Gründung 2002 wird hier ein Haftbefehl gegen den Anführer eines demokratischen Staates beantragt. Karim Khan wäre es lieber, die israelische Justiz würde gegen die eigene politische Führung effizient und unparteiisch ermitteln, wie er dem Sender CNN sagte. Außerdem kritisierte er: "Im Kernland Israel wird geltendes Recht angewendet und Rechtsverletzungen geahndet, aber leider nicht mit Nachdruck oder Aufrichtigkeit in den besetzten Gebieten oder in Gaza. Deswegen müssen wir voranschreiten. Wenn Israel dem widerspricht, sollen sie die Vorwürfe vor Gericht anfechten." Dass gewalttätige jüdische Siedler vergangenes Wochenende in Jerusalem Lkw mit Hilfslieferungen für Gaza eigenmächtig stoppten, zeigt, wohin es führt, wenn man Extremisten gewähren lässt, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen.

Nun wirft Netanjahu dem Strafgerichtshof in Den Haag einen "neuen Antisemitismus" vor. Offenbar in Erwartung solcher Angriffe hatte der Chefankläger den Antrag auf Haftbefehl auch auf die Führung der Hamas erweitert. Dass nun Israel, das sich gegen einen brutalen Angriff der Hamas verteidigt, und die Hamas gleichzeitig von Den Haag ins Visier genommen werden, lässt leider ein falsches Bild entstehen, nämlich als wäre Khans Vorgehen anti-israelisch motiviert. Aber selbst israelische Experten wie Moshe Kremnitzer, emeritierter Professor für an der Hebrew Universität in Jerusalem, halten Khan für unparteiisch. "Er verhielt sich zu den Entführten viel besser als die israelische Regierung", schrieb Kremnitzer in Haaretz.

Viele internationale Beobachter erwarten außerdem, dass der Internationale Gerichtshof Israel bald dazu auffordern wird, seine Militäroperation im Gazastreifen zu beenden. Die Isolierung Israels könnte zu einem entsprechenden Beschluss des UN-Sicherheitsrates führen, den nur US-Präsident Joe Biden mit einem Veto verhindern könnte. Würde er das als "Belohnung" dafür tun, dass Netanjahu all seine Bemühungen ignorierte, einen Plan für Gaza nach dem Krieg vorzulegen? Wohl kaum.

Netanjahus Annahme, die Welt würde Israels berechtigten Krieg gegen die Hamas um jeden Preis unterstützen, erwies sich als falsch. Auch Verteidigungsminister Joav Galant ist an der außenpolitischen Isolierung Israels mitschuldig. Kurz nach dem Massaker am 7. Oktober verkündete er, wie er sich die Belagerung Gazas vorstellt: "Kein Strom, keine Lebensmittel, Wasser oder Benzin." Hätte Israel von Anfang an den Kampf gegen die Hamas mit massiver Hilfe für die leidenden Palästinenser in Gaza verbunden und sich um möglichst wenige zivile Opfer bemüht, würde das Land jetzt nicht in Den Haag am Pranger stehen. Die absolute Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung und die Tolerierung der zunehmenden Angriffe der jüdischen Siedler auf Palästinenser trugen ebenfalls zu Israels Isolierung bei.

Anders als Russland kann sich Israel einen Boykott des Westens nicht leisten. Ein solcher Boykott würde die Wirtschaft, die Wissenschaft und nicht zuletzt die Kultur treffen. Sie könnte auch für Juden in Europa unangenehme Folgen haben, die von manchen eh schon als "Handlanger Netanjahus" gesehen werden.

Netanjahus Regierung ignorierte jedoch alle Warnungen des UN-Hilfswerks für Gaza, dass die Schließung der beiden Grenzübergänge zu einer Hungersnot führen würde. Erst im April und unter massivem Druck Joe Bidens ließ Israel mehr humanitäre Hilfe für Gaza zu – viel zu spät.

Der androhende Haftbefehl stärkt Netanjahu im Inland – denn nun müssen sich erst mal alle solidarisch mit ihm zeigen. 106 von 120 Abgeordneten unterzeichneten eine Deklaration gegen Khans Beschluss. Aber diese Solidarität wird nur kurz halten. Denn die Solidarität seiner Minister und der Opposition kann die großen Differenzen nicht verdecken. Seine Rivalen in der Regierung fordern einen Waffenstillstand, einen Austausch der Geiseln gegen palästinensische Häftlinge und eine Perspektive für den Gazastreifen. Dem kann Netanjahu nicht zustimmen, ohne seine rechtsradikalen Koalitionspartner zu verlieren, die neue jüdische Siedlungen in Gaza bauen wollen. Und diese Partner braucht er, weil er seit vier Jahren in Jerusalem wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vor Gericht steht. Dieser Prozess und seine eigene Haut zu retten, das scheint ihm wichtiger zu sein als Israels internationaler Ruf.

Wenn Israel seine Reputation und auch seine Zukunft retten will, muss eine staatliche israelische Untersuchungskommission Khans Anklage sachlich überprüfen.

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Die 75 Jahre der Eskalation sind zwanghaft. Israel hat nur erobert, aber nicht gesiegt. Ein Sieg ist eine totale Kontrolle. Die ist in einem Flickenteppich, mit einer Minderheit, die keine ist, mit unvereinbaren kulturellen (Einwanderer) u. religiösen Gegensetzen, mit westlicher Solidarität und zerstrittenen Freunden der Palistinenser nicht möglich. Der UNO "sei Dank", wurde von Beginn eine chaotische Gemengelage "angerichtete", die als Lösung immer nur das Unrecht kannte. So wird es bleiben, denn das Recht des Einen ist das Unrecht des Anderen. Und umgekehrt.

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Der Sieger macht das Recht, ob es Unrecht ist oder nicht. Die 75 Jahre der Eskalation sind zwanghaft. Israel hat nur erobert, aber nicht gesiegt. Ein Sieg ist eine totale Kontrolle. Die ist in einem Flickenteppich, mit einer Minderheit, die keine ist, mit unvereinbaren kulturellen (Einwanderer) u. religiösen Gegensetzen, mit westlicher Solidarität und zerstrittenen Freunden der Palästinenser nicht möglich. Der UNO "sei Dank", wurde von Beginn eine chaotische Gemengelage "angerichtete", die als Lösung immer nur das Unrecht kannte. So wird es bleiben, denn das Recht des Einen ist das Unrecht des Anderen. Und umgekehrt. Die Fehler auch deshalb, weil das Ghetto in den Flüchtlingslagern nicht zur gegenseitigen Assimilation geführt hat. Dabei hätten die Palästinenser nur gewinnen können. Allein durch ihr Zahl und durch den interntionalen technischen und kulturellen Input der neuen Internationalität des Staates. Denn er wurde für die besten Köpfen der Welt zur Heimat. Die Palästinenser wurden leider im eigenen Land zu Gefangenen ihrer alten kulturellen und religiösen Vorgaben. Sie haben sich in den Lagern für Ihre "Freunde" zur 5. Kolonne gegen die Juden mißbrauchen lassen. Das ist das eigentliche Drama.

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Die Juden standen schon immer am Pranger, weil es für andere schwer zu ertragen, dass da ein Volk war, dass von sich behauptete, nicht nur einen sondern den "Einzigen" Gott zu haben. Der "Pranger" wurde dann noch brenzlicher, als andere Monotheisten auftraten, die dem "Ältesten" das Recht auf Erstgeburt absprachen. Sei wie es sei, letzlich ist es ein "göttlicher" Konkurrenzkampf, der zuerst mit Papyrus bestritten wurde. Als das nicht erfolgreich war, versendete man zur handfesten Überzeugung Kugeln. Wenn der Kopf nicht mehr siegt, muss man die Arme einsetzen. Wenn die nicht reichen, muss mit den Füssen getreten werden. Hauptsache "mein Gott" siegt.