Verkäuferin im Kiosk: Ein Plausch mit der netten Verkäuferin – kleines Highlight im Tagesablauf
Plausch mit der netten Verkäuferin - kleines Highlight im Tagesablauf
Tabor Gus/ Plainpicture
Bekanntschaft
Die kleine Schwester der Freundschaft
Enge Freunde trifft man viel zu selten. Vom Heuschnupfen und verlorenen Schlüsselbund kriegen sie nichts mit. Es sind die flüchtigen Bekanntschaften mit dem Postboten und Nachbarn, die uns durch den Alltag tragen
16.05.2024
4Min

Betrete ich morgens die Bäckerei, dann lächelt mir die Verkäuferin schon entgegen. "Wie immer?", fragt sie. Ich nicke bloß, und während sie mein Croissant in die raschelnde Tüte schiebt, lobe ich ihre glitzernden Fingernägel oder sie erkundigt sich nach dem Befinden meines magenkranken Hundes. Unsere tägliche Plauderei reicht für fünf bis sechs Sätze, bis der nächste Kunde eintritt.

Manche halten derartige Unterhaltungen für oberflächlich und Zeitverschwendung. Das Wort "Bekanntschaft" hat für sie einen minderwertigen Klang. Sie sehen darin bloß lose, unverbindliche Kontakte zu Leuten, deren Namen sie teilweise nicht mal kennen. Für sie zählen nur tiefe, innige Beziehungen.

Privat

Gabriele Bärtels

Gabriele Bärtels, Jahrgang 1959, ist Autorin und Fotografin und lebt in Berlin.

Doch gerade in Zeiten grassierender Einsamkeit ist diese Sichtweise bedauerlich. Denn wenn wir genau hinschauen, haben wir mit Bekannten deutlich häufiger zu tun als mit unseren allerbesten Freunden. Und nicht nur das: Es sind auch noch viel mehr!

Die Handvoll Menschen, die ich wahre Freunde nenne, sehe ich recht selten, vielleicht alle paar Wochen mal. Dass ich meinen Autoschlüssel verloren habe oder furchtbar unter Heuschnupfen leide, kriegen sie in der Regel nicht mit. Aber die Bäckereiverkäuferin weiß es und wird mich morgen danach fragen.

Lesen Sie hier, wie man Freundschaften pflegt.

Bekannte sind Menschen, die man sich nicht ausgesucht hat und trotzdem immer wieder trifft: Sei es in der Bäckerei, im Fitnessstudio, im Hausflur, an der Tankstelle oder als Schrebergartennachbarn. In sämtlichen Chören, Fußballvereinen und Kirchengemeinden wimmelt es nur so von ihnen. Die Hundebesitzer unter uns haben einen besonders großen Bekanntenkreis, denn ihre Vierbeiner beschnuppern einander auf den täglichen Gassirunden, und so bleibt man gezwungenermaßen stehen und tauscht sich über das Nächstliegende aus: natürlich das Wetter, dann die Hunde, und vielleicht noch, was einen heute besonders geärgert oder erfreut hat. Alltagsgequatsche eben.

Und selbst wenn es wieder nur fünf oder sechs gewechselte Sätze waren, so summiert sich das, denn wir treffen ja auch noch den Paketboten, die Supermarktkassiererin, den Hausmeister von nebenan und unsere Friseurin. Und dem Mann, der oft auf dem Balkon steht und raucht, winken wir wie immer auf dem Heimweg zu.

Da keiner von uns eine Maschine ist, kommt es mit all diesen Menschen über kurz oder lang zu privaten Schwätzchen. So hört man irgendwann, dass der Paketbote mal Reiseleiter war und fünf Sprachen spricht, dass die Friseurin ihre Katzen über alles liebt und der schick angezogene Nachbar aus dem Dachgeschoss jeden Sonntag seine demente Mutter im Pflegeheim besucht.

Doch weil sich Bekanntschaften oft in einem engen Rahmen bewegen, bleibt vieles über diese Leute auch im Dunkeln. So weiß ich zum Beispiel nicht, welche Partei die schnaufende Dame auf der Yogamatte rechts von mir wählt, ob sie vegan lebt oder in Polygamie. Umso besser! Solange unser einziger Schnittpunkt der Sport ist, müssen wir nicht über unterschiedliche Ansichten streiten und können einander fröhlich zuschnaufen, während wir zweimal wöchentlich unsere Übungen absolvieren.

Man wird wahrgenommen

Einsamkeit bedeutet, nicht wahrgenommen werden. Das kann mit einem noch so oberflächlichen Bekanntenkreis nicht so schnell passieren, denn bei jedem Kontakt fällt zumindest ein netter Gruß ab. Obendrein ist kaum Aufwand nötig, Bekannte zu gewinnen, denn im Gegensatz zu Freundschaften, die über Jahre wachsen, fallen sie uns in den Schoß. Wir treffen diese Leute ja von selber immer wieder, und wenn man sich um Freundlichkeit bemüht, verdichtet sich mit jedem kurzen Kontakt der positive Eindruck, den man voneinander hat.

So sind es diese mehr oder weniger flüchtigen Bekannten, die uns durch den Alltag tragen. Obwohl wir mit keinem von ihnen jemals einen Kaffee getrunken haben, wissen wir mit der Zeit erstaunlich viele persönliche Geschichten übereinander, und das ist das Gegenteil von Einsamkeit.

Bekanntschaften sind obendrein günstig, wenn man eine neue Wohnung sucht oder eine vertrauenswürdige Kfz-Werkstatt. Ist der Kontakt noch so lose, bekomme ich trotzdem Zugang zum Netzwerk des Gegenübers und zu Neuigkeiten, die nicht in der Zeitung stehen, denn was zählt, ist das bekannte Gesicht. Je häufiger wir uns über den Weg laufen, desto stärker wächst das gegenseitige Vertrauen. So könnte ich bei meiner Bäckersfrau bedenkenlos ohne Geld einkaufen, denn sie weiß ja, dass ich morgen sicher wiederkomme.

Seit ich das begriffen habe, kultiviere ich solche Begegnungen, nehme Pakete für Nachbarn an, mache hier ein kleines Kompliment, höre mir dort ein Seufzen an, bedanke mich für vermeintlich Selbstverständliches und genieße jedes unverbindliche Schwätzchen.

Zu guter Letzt wollen wir nicht vergessen: Die Vorstufe aller Freundschaften dieser Welt ist ausnahmslos eine Bekanntschaft gewesen.