chrismon: Wie groß ist der Einfluss der türkischen Religionsbehörde Diyanet auf Moscheen in Deutschland?
Bülent Uçar: Der deutsche Moscheeverein DITIB betreibt rund 900 muslimische Gemeinden. Er ist strukturell abhängig von der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Die Satzung des Vereins schließt faktisch aus, dass Entscheidungen gegen die Behörde in der Türkei getroffen werden können. Außerdem werden die gesamte Führungsriege und die Imame vollständig von der türkischen Regierung bezahlt.
Sind die DITIB-Imame ein politisches Sprachrohr der türkischen Regierung?
Die Imame sind vornehmlich für die Religion zuständig, also für Predigt, Seelsorge und Gebet. Und bei den Freitagspredigten sind sie zu politischer Zurückhaltung verpflichtet. Das halten sie von der Kanzel aus in der Regel auch ein. Natürlich gibt es Ausnahmen. Das wird dann aber meist auch öffentlich und es folgt lautstarke Kritik.
Vor der Türkei-Wahl im Mai traten Vertreter von Erdogans AK-Partei in DITIB-Moscheen auf. Passt das mit der politischen Zurückhaltung zusammen?
Bei der Präsidentenwahl haben 67 Prozent der türkischstämmigen Wähler aus Deutschland für den amtierenden Präsidenten Erdogan gestimmt. In den DITIB-Gemeinden war der Anteil vermutlich viel höher. Ich schätze deutlich über 80 Prozent. Das wirkt sich auch auf die Veranstaltungen in den Gemeinden aus. Diese werden von den regulär gewählten zivilen Gemeindevorständen organisiert. Es ist offensichtlich, dass sie meist Anhänger des Präsidenten sind.
Bülent Uçar
Politiker in Deutschland fordern seit Jahren, dass sich DITIB von der türkischen Religionsbehörde unabhängig macht. Ist das realistisch?
Das sind schöne politische Sonntagsreden. Die Politik muss die muslimischen Verbände ernst nehmen, wenn sie wirklich möchte, dass sich die türkischstämmigen Bürger hier integrieren, sich hier heimisch fühlen. Es wird aber nur über sie geredet, wenn es etwas zu kritisieren gibt.
Was meinen Sie mit ernst nehmen?
Es geht dabei zum Beispiel um Geld. Die Türkei finanziert die etwa 1100 Beschäftigen der DITIB-Moscheegemeinden. Das hängt auch damit zusammen, dass Deutschland nicht bereit ist, einen Cent in diesem Bereich zu investieren. Die Gemeindevorstände würden sich schon deswegen nicht von der Diyanet loslösen, weil sie finanziell abhängig sind.
Ist die politische Forderung nach Loslösung nicht auch übergriffig?
Das kommt darauf an, wie man es organisiert. Der säkulare Staat muss sich natürlich aus den theologischen Fragen heraushalten. Dazu ist er laut Grundgesetz auch verpflichtet.
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Der deutsche Staat kann ja aber nicht die Beschäftigten der Moschee bezahlen. Er bezahlt auch nicht das Pfarrpersonal.
Das stimmt, aber es gibt andere Wege, die Gemeinden finanziell zu unterstützen. Man müsste sagen: Wir fördern euch, wenn ihr bereit seid, deutschsprachige Imame einzustellen, auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung arbeitet und euch hier heimisch und unabhängig von ausländischen Geldgebern macht. Das Geld könnte dann konkret in die Bildungsarbeit, die Integrationsarbeit und die Sozialarbeit der Gemeinden fließen. Mit dem Geld, das die Gemeinden so in diesen Bereichen einsparen, könnten sie ihre Imame selbst bezahlen.
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Wie könnten staatliche Stellen überprüfen, ob sich die Moscheegemeinden daran halten?
Es gibt bewährte Wege. Man kann über die Projektförderung gehen, die vertraglich ganz klar geregelt ist. Man könnte eine öffentlich-rechtliche Stiftung gründen. Es gibt genug rechtsstaatliche Kontrollmöglichkeiten. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass es keinen politischen Willen hierzu gibt. Von keiner der demokratischen Parteien.
DITIB ist die Abkürzung für den türkischen Namen der "Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V". Sie ist die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland, die Moscheen betreibt, mit derzeit rund 900 Ortsgemeinden.