Seit Jahrzehnten ist der Ausbau der A49 durch den Dannenröder Forst geplant. Sie sind selbst in der hessischen Region groß geworden – haben Sie geglaubt, dass die Autobahn je fertig werden würde?
Klaus Stern: Nein. Der Protest gegen die Verlängerung der A49 ist so alt wie die Planungen. Ich kann mich erinnern, dass in den siebziger Jahren Vermessungsarbeiten stattfanden. Und dass der Klassenlehrer meines Bruders, Klaus Hottmann, schon sehr früh gegen die Autobahn argumentierte. Mein Bruder war damals in der sechsten Klasse, heute ist er 57 Jahre alt. Der inzwischen pensionierte Lehrer ist einer der Protagonisten des Films. Andere Projekte wie die Fortführung der A4 ließ man mit den Jahren fallen und viele Menschen rechneten damit, dass auch für die A49 kein Geld mehr da sein würde, zumal oft für Jahre nichts passierte. Die ÖPP, die Öffentlich-Private Partnerschaft, die der Bund mit Privatunternehmen eingegangen ist, hat alles verändert. Jetzt kommt die Autobahn. Ich halte sie für einen Fehler.
Klaus Stern
Nils Husmann
Warum?
Ich glaube nicht, dass sie die Anwohner der Bundesstraßen in der Region, die ohne Frage unter Verkehr, Lärm und Abgasen leiden, entlasten wird. Im Gegenteil: Die Autobahn wird Verkehr anziehen, besonders Lkw, die den beschwerlichen Weg über die Kasseler Berge umgehen wollen. Es ist aber so gut wie kein Lärmschutz vorgesehen. Kommt es zu Unfällen, Staus oder sogar zu Sperrungen, rollt der Verkehr wieder durch die Region, durch Dörfer und über Landstraßen. Es heißt ja: Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten. Ich befürchte, genau das werden wir auch am Beispiel der A49 erleben.
Wenn Sie den Bau ablehnen: Wird ein Film von Ihnen über den Bau einer Autobahn nicht immer werten?
Finden Sie, dass der Film wertet?
Alle Seiten kommen vor und zu Wort.
Genau. Das ist immer so in meinen Filmen. Ich enthalte mich jeden Kommentares und lasse die Menschen sprechen. Aber ich bin sicher nicht objektiv. Ich versuche es. Aktivistinnen und Aktivisten, die den Bau bekämpft haben. Eine Frau aus Dannenrod, die die Autobahn nicht möchte und die die Aktivisti unterstützt. Aber auch Polizisten und Befürworter wie meinen alten Bekannten Andreas Stehl, der stellvertretender Ortsvorsitzender in Wiera, meinem Heimatdorf, ist, und große Hoffnungen in die Autobahn setzt, auch wenn er sie "ästhetisch nicht schön" findet.
War es schwierig, mit den Aktivistinnen ins Gespräch zu kommen?
Ich kam im September 2020 zum ersten Mal in den Wald. Ein Bekannter hatte mir erzählt, dass dort Baumhäuser entstehen und dass ich mir das mal ansehen müsste. Anfangs gab es ein paar Sprüche, weil ich Fotos machte. Fugue, der auch im Film vorkommt, hatte sich meinen Film "Versicherungsvertreter" angesehen - und war beeindruckt - so kamen wir langsam rein. Was aber bis zum Schluss so blieb: Ich kannte keine echten Namen, von vielen auch nicht die Gesichter. Sie waren über Stunden vermummt, wenn wir im Wald unterwegs waren. Frank Pfeiffer, mit dem ich den Film gemeinsam gemacht habe, der noch viel länger im Wald war, ging es genauso.
Einer der Aktivisten – er nennt sich "Schornsteinfeger" – erklärt zu Beginn des Filmes die Ziele der Aktivistinnen und des Protestes: Öffentlichkeit zu schaffen, damit der Bau verhindert wird. Und: Alternative Lebenskonzepte im Wald zu erproben, um die Gesellschaft zu verändern. Das erste Ziel haben die Aktivisten nicht erreicht, die Bäume sind gerodet, die Autobahn kommt. Aber das zweite Ziel: Glauben Sie, dass der Aktivismus etwas in der Gesellschaft verändert?
Wer sich im Wald gegen den Bau gestemmt hat, Baumhäuser gebaut und dort über Wochen und Monate gelebt hat, geht mit einer riesigen Erfahrung aus der Geschichte heraus. Die Polizei konnte ihre Leute schichtweise austauschen, viele Aktivisti waren immer dort. Viele waren am Ende müde, einige sicher psychisch angeknackst. Aber es war beeindruckend zu sehen, wie sie sich dort organisiert haben, ohne wirklich sichtbare Hierarchien. Sie gehen auch sehr bewusst mit Sprache um, gendern und reden von "Menschen", statt von Männern und Frauen. Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung je bereit sein würde, so zu kommunizieren. Aber so ein langer Protest hinterlässt immer Spuren in einer Gesellschaft, verändert sie. Ich habe auch viele Befürworter der Autobahn getroffen, die waren beeindruckt von dem Einsatz, der Leidensfähigkeit und der Konsequenz der Aktivisten.
Wie bewerten Sie den Polizeieinsatz, der weit über 30 Millionen Euro gekostet hat?
Na ja, allein schon die gigantische Präsenz ist verstörend und eine Form von Gewalt - zu Anfang konnten wir nicht mit der Polizei drehen. Tobias Meier, ein leitender Beamter, kommt am Ende ausführlich zu Wort. Wir sind uns bewusst, dass die Polizei ihn nicht zufällig ausgewählt hat, er ist ein eloquenter, reflektierter Typ. Begleiten durften wir ihn erst, als die Polizei sicher sein konnte, die Rodung auch durchsetzen zu können: Sie "gewinnen". Wir wären gern an den ersten Einsatztagen dabei gewesen, um zu filmen, aber die Pressestelle hat uns zu der Zeit leider immer vertröstet und abgesagt. Mir bleibt in Erinnerung, dass der Auftritt der Polizei insgesamt schon deutlich an einen Militäreinsatz erinnerte, immer in großer Stärke, mit Hubschraubern am Himmel. Das riesige Aufgebot an Polizei hat auch viele normale Bürger in der Gegend verstört, bis heute.
Der Film wird auch in Kinos und Bürgerhäusern in der Region gezeigt. Wie sind die Reaktionen?
Alle Seiten kommen in die Kinos, Gegner und Befürworter. Es ist zu spüren, dass Wunden nicht verheilt sind. Diskussionen danach dauern selten unter einer Stunde. Zum Teil mit vielen Emotionen. Und Ärger über den gewaltätigen Polizeieinsatz. So haben viele Gegner den empfunden. Einem Zuschauer missfiel, dass Andreas Stehl, der Autobahn-Befürworter, so einen fetten Pick-up mit röhrendem Motor fahren muss. Das wäre doch ein totales Klischee. Aber auch hier kann ich nur sagen: Das ist sein Auto, das ist nicht inszeniert. Das ist die Wirklichkeit. Die Reaktion einer Frau ist mir besonders in Erinnerung geblieben.
Warum?
Sie sagte nach dem Film in der Diskussion, sie hätte den Ausbau immer befürwortet, fand ihn richtig und logisch. Nach dem Film frage sie sich, ob der ganze Streit, die Zerstörung der Heimat, das Geld, der Aufwand es je wert sein könnten. Und sie würde die Nacht schlecht schlafen.
Und wie geht es Ihnen persönlich?
Jeder 25. Baum, der bei dem Dorf Wiera gefällt wurde, gehörte unserer Familie. Wir haben dort auch Wald. Wir haben gefilmt, wie Eichen fallen, unter denen ich als Kind gespielt habe. Das hat mich nicht kalt gelassen, zumal nun irgendwie alles so weitergeht wie vorher.
Was meinen Sie?
Das Auto spielt eine dominante Rolle. Siehe Tankrabatt, der die Autofahrer entlasten soll, weil der Krieg Russlands gegen die Ukraine Diesel und Öl verteuert hat. Gleichzeitig ist der Strabag-Konzern Teil der Öffentlich-Privaten Partnerschaft, die die A49 baut und die an ihr verdienen will. Und an eben diesem Strabag-Konzern war, als die Partnerschaft vereinbart wurde, über ein Konsortium der russische Oligarch Oleg Deripaska beteiligt, der mittlerweile sanktioniert worden ist und dagegen klagt. Das muss man, wie auch vieles im Film, wohl einfach so stehen lassen.
Der Film "Die Autobahn" von Frank Marten Pfeiffer und Klaus Stern feierte auf dem DOK.fest München im Mai Premiere und ist seitdem im Kino zu sehen. Wo genau? Klicken Sie hier, um Termine und Orte zu finden. Bei manchen Vorstellungen ist auch unser Interviewgast Klaus Stern dabei, um mit dem Publikum zu diskutieren.
Einen Trailer und weitere Informationen finden Sie hier auf der Internetseite von "Die Autobahn".
Zukunft adieu?
Leider sind nahezu alle Probleme Generationsaufgaben. Auch Mehrgenerationsaufgaben. Dazu gibt es explizite Beispiele. Bereits vor 60 Jahren war aus den Erfahrungen anderer Länder absehbar, dass der Güterverkehr nicht nur ein zeitliches und Zuverlässigkeitsproblem hat. Auch Transportkapazitäten und Zweigleisigkeit von Straße und Bahn waren bereits ein Konkurrenzproblem. Mit dem Personentransport auf dem dem gleichen Gleis bestand zudem für den gesamten Güterverkehr ein verzögerndes Hindernis, das immer wieder zu Verspätungen, zur Lähmung der Transportwege und einer mangelnden Konkurrenzfähigkeit gegenüber der flexiblen BAB-Fracht führen musste. Dadurch entwickelte sich zwangsläufig eine Problem-Kaskade. Die BABs mußten immer länger werden und wurden zu einem ständigen Pflegenotstand. Auch wegen gestiegener Achslasten. Der Bedarf an Mineralölen war kaum zu sättigen. Die Staus verzögern unsere Welt. Die Erzeugung von Feinstaub und Gifte (Reifenabrieb, Blei, Abgase) wurde zu persönlichen Gefahren. Und eine wirkungsvolle Umstellung aller überregionalen Transportwege (BAB und BAHN) auf Elektrizität ist vorerst undenkbar. Wäre auch für die BABs sinnlos, weil deren Bau und Reparatur davon unabhänig ist. Die Aufgabe wurde unvorstellbar. All das hätte verhindert werden können, wenn man bereits als Generationsaufgabe vor 60 Jahren begonnen hätte, die Bahnkörper für Personen und Fracht konsequent zu trennen. Dazu war unser System aber nicht in der Lage. Seit der Planung vor 20 Jahren keine neuen fertigen Bahntrassen zwischen Frankfurt und Mannheim, Karlsruhe und Basel sind der Beweis. Obwohl für die Bahnfracht bereits alle Bahnhöfe bestehen. Für alle Parteien sind die Probleme unlösbar, weil zeitlich unbegreiflich. Aufgaben über mehrere Generationen kann unser System nicht erfüllen. Adenauer war die große Ausnahme. Die Schweiz teilweise auch. Und dann sind da noch die ewigen Bedenkenträger, die nur sich und ihre Nähe kennen wollen, die sich aber weigern, das Große und Ganze der Gesellschaft zu berücksichtigen. Beispiel: Unterirdische Stromleitungen statt überland. Mehrfach teurer. Bei Sturzfluten säuft der Strom ab. Reparaturen nicht kurzfristige machbar. Und dann kommen noch die Behauptungen, dass auch die unterirdischen Stromfelder bisher unbekannte Krankheiten erzeugen, während gleichzeitg Kopfhörer jede Verständigung unmöglich machen.
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