Reportage: Nach den Rodungen im Dannenröder Forst
Die Schneise zwischen uns
Der Protest gegen die A 49 hat die Menschen in der Region jahrelang beschäftigt, Familien und Freunde haben sich darüber zerstritten. Wie leben sie nun mit der Rodung im Dannenröder Forst?
Dannenröder Forst
Aktivisten im Dannenröder Forst: "Wir gehen hier nicht weg, auch wenn der letzte Baum gefallen ist."
Helena Schätzle
Tim Wegner
privat
24.02.2021
15Min

Als Alexander Starck 2017 nach Maulbach im hessischen Vogelsbergkreis kam, hatten sich viele seiner Wünsche erfüllt. Der junge Pfarrer, damals 32 Jahre alt, wollte gern aufs Land. Es gab einen Kindergarten, einen Posaunenchor, wie in seiner alten Gemeinde. Ostern war ­ein super Start, er lernte viele Menschen kennen. Dann kam schon der ­Sommer, mit dem Kindergartenfest, ein Höhepunkt im Dorfleben. Der Pfarrer stellte sich auf ein Bier zu den Leuten. "Ich habe gemerkt, wie es manche irritiert hat: der Pfarrer mittendrin – aber die allermeisten ­fanden es gut", sagt Starck. Knapp vier Jahre später klafft eine Schneise im Dannenröder Forst. Alexander Starck sitzt in der Kirche und sagt: "Bei der Autobahn hat es leider nicht geklappt, im Gespräch zu bleiben."

Der Bau der A 49, jahrzehntelang geplant, immer wieder aufgeschoben, hat Streit in die Region gebracht, der Riss läuft durch Freundeskreise und Familien. Anfang Oktober begannen die Rodungen im Dannenröder Forst, einem gesunden Mischwald mit jahrhundertealten Bäumen, 1000 Hektar groß. 27 Hektar sind der Trasse gewichen; mehr als 50 weitere Hektar Wald zwischen Schwalmstadt und dem Ohmtal mussten auch weg. Im Dannenröder Forst fiel der letzte Baum für die Schneise am 8. Dezember. Seitdem sind viele Polizisten und Medien abgezogen, aber die Spannungen sind geblieben.

Die Bäume sind gefallen - die Spannungen sind geblieben

Pfarrer Starck findet, die Trasse hat einen intakten Wald zerstört. Und er fürchtet, dass Brückenpfeiler, die tief in der Erde verankert werden müssen, Trinkwasserquellen gefährden. Als er damals hierherkam, lag zwar seit fünf Jahren ein Planfeststellungsbeschluss vor, trotzdem glaubte kaum jemand an die Autobahn. Viele hier sagten: "Es ist eh kein Geld da, die kommt nicht mehr." Aber dann ging das Bundesverkehrsministerium eine öffentlich-private Partnerschaft mit dem Strabag-Konzern ein. Starck streitet nicht ab, dass Menschen anderswo in der Region unter den Lastwagen ­leiden, die auf Bundesstraßen durch ihre Dörfer fahren. "lch bezweifele aber, dass die A 49 die Entlastung bringt, die man ihnen verspricht."

Pfarrer Alexander Starck vor der Kirche in Maulbach, fünf Kilometer südlich von Dannenrod. Das Dorf ist ebenfalls vom Ausbau der A49 betroffen

In Dannenrod leben 170 Menschen, im Herbst und Winter vervielfachten Protestierende und Polizisten diese Zahl. Der Pfarrer spürte, wie die Spannungen zunahmen. Freitags lud er alle zu Friedensgebeten nach Dannenrod ein, meistens waren aber nur Gegner der Autobahn dabei. Am Totensonntag im November sprach der Pfarrer auf der Bühne am Protestcamp, hinter ihm ein Transparent der Autobahngegner. Fünf Minuten dauerte die Rede, in der Starck einen Dauerstress beklagt, weil sieben Tage die Woche Wald geräumt und ge­rodet wird. Die Polizei kritisiert er für ihren "teils menschenverachtenden Umgang bei Verhaftungen". Auch den Protest nimmt er in die Pflicht, "die Gewaltspirale muss unterbrochen werden". Er fordert, dass die Rodungen an den Wochenenden ruhen. Die Menschen applaudieren, es gibt Sprechchöre: "Keine Rodung!"

Als jemand seine Rede ins Internet stellt, hetzen Menschen aus ganz Deutschland gegen Alexander Starck, werfen ihm Kumpanei mit den ­Autobahngegnern vor. Auch in den Kommentarspalten regionaler Me­dien wird er beschimpft. Wer nur die ­wütenden Kommentare liest, muss denken: Das ist der Aktivisten­pfarrer. Bis spätabends um elf tele­foniert Starck mit Menschen aus ­seinem Kirchspiel, die meisten kann er be­ruhigen, indem er erklärt, wofür er geworben hat: für Verhältnismäßigkeit, Ruhe und Frieden. Aber der Hass aus dem Netz hat ihn getroffen. "Der kommt daher, dass man sich nicht in die Augen sieht, wenn man seine Wut ins Internet tippt."

Die Aktivisten

Die Klorolle will einfach nicht brennen. Ein junger Mann in Holzfäller­jacke versucht, in einer verrosteten Tonne ein Feuer zu machen, aber alles im Wald ist klamm. "Cops are coming!", rufen Aktivisten an diesem Donnerstag im Januar, "die Polizei kommt!". Die Rodungen im Dannenröder Forst sind seit einem Monat vorbei, aber noch immer leben viele Protestierende im Camp am Dorfrand, viele schlafen in Zelten. Einige der Aktivisten bauen im Wald ein Barrio, von denen es bis zur Rodung viele entlang der Trasse gab, Minidörfer aus Baumhäusern und Zelten. Das neue Barrio soll "Fangorn" heißen. Aber die Polizei hat verfügt, dass Fangorn weichen muss, bis 15 Uhr bleibt Zeit.

"Hier gibt niemand auf, überhaupt niemand!", schimpft der Mann im Holzfällerhemd auf die Frage, warum er sich die Kälte in einem Landstrich antut, der als "Hessisch Sibirien" verschrien ist – jetzt, wo die Schneise im Dannenröder Forst zu sehen und der Kampf eigentlich verloren ist. Wie viele der Aktivisten nennt er seinen richtigen Namen nicht. Er erzählt, dass er ausgebildeter Erzieher ist. "Ich will, dass Kinder eine Umwelt haben, in der sie noch leben können." Eine junge Frau, sie nennt sich Ronja, nimmt ihn in Schutz. "Er ist wütend, die holen einfach seine Plattform ­runter, die er in mühevoller Klein­arbeit aufgebaut hat." Weil das Feuer immer noch nicht richtig brennt, beschließt der Erzieher, sich mit einem anderen Mann mit einem Schal ­zusammenzubinden. Das könnte die Polizei Zeit und Mühe kosten, weil die beiden weggetragen werden müssten.

Ronja ist in Dannenrod geblieben, wo Aktivisten im Wald leben wollen – aber nicht dürfen

Ronja, Rastalocken, einen Schal als Mundschutz übers halbe Gesicht, nimmt die Handys der Männer an sich, damit die Polizei sie nicht mitnehmen kann. Warum sie noch hier ist? Ronja sagt Sätze, die eingeübt sind aus Monaten des Protests. "Erst wollte ich mir angucken, welche Utopie hier gelebt wird. Mittlerweile ist es ganz klar Sys­temkritik. Wir haben ohne Hierarchien zusammengelebt und ohne krasse Geschlechtertrennung. Und jetzt ist es ein Statement zu sagen: Wir gehen hier nicht weg, auch wenn der letzte Baum gefallen ist. Die Polizei wird uns nicht los, wir kosten weiterhin Geld."

Als ein Lastwagen der Abfallbetriebe durch den Wald Richtung Zeltlager fährt, nähert sich eine Gruppe von Polizisten. Ein Beamter ergreift das Wort.

"Was Sie jetzt einpacken, können Sie behalten, den Rest nehmen wir mit!"

"Können wir ein Beschlagnahmeprotokoll bekommen?", fragt Ronja.

"Es wird nichts beschlagnahmt, Sie können alles mitnehmen. Also brauchen wir kein Protokoll."

"Sie müssen uns über unsere ­Rechte informieren, Sie müssen mit mir kommunizieren", erwidert Ronja.

"Das tue ich ja auch."

"Aber im höflichen Tonfall."

"lch komme auf Sie zu, weil ich einen Helm aufhabe und Sie schwer verstehe. Ist das ein Argument für Sie?", fragt der Polizist.

"Es wirkt bedrohlich", sagt Ronja.

"Es ist auch bedrohlich, wenn ich mit Steinen beworfen werde oder jemand vom Baum Scheiße auf mich schmeißt."

Ein Aktivist sagt: "Das können Sie nicht auf die Allgemeinheit beziehen."

"Sie verallgemeinern bei der Polizei auch alles", sagt der Polizist.

Immer mehr Beamte und Protes­tierende schalten sich in die Unterhaltung ein.

"Wohin werden die Sachen gebracht?", will ein Aktivist wissen.

"Das kann ich Ihnen nicht sagen", erwidert ein Polizist.

"Geht das nach Moria auf Lesbos?", will Ronja wissen, "die Geflüchteten würden sich über Schlafmaterialien freuen."

"Die kriegen auch so genug", sagt ein Polizist, "neue Sachen."

"Ich weiß nicht, ob Sie sich schon mal über die Situation auf Lesbos informiert haben", setzt Ronja an.

"Ja, dann geht das Zeug nach Moria, o. k. Wir brauchen jetzt nicht weiter zu diskutieren", sagt ein Polizist.

Am Abend ist Fangorn, das kleine Barrio, verschwunden.

Der Vermittler

"Ich bin der einzige Mitarbeiter der Kirche, der ein Büro im Wald hatte", sagt Ralf Müller. Über Monate koordinierte er die ehrenamtlichen kirchlichen Beobachter, die im Dannen­röder Forst unterwegs waren. Ihr Ziel: einen neutralen Blick auf den Konflikt haben, vermitteln, deeskalieren. Längst ist der Referent für Bildung und Ökumene im Evangelischen Dekanat Vogelsberg wieder an den echten Schreibtisch zurückgekehrt. "Aber ich bin immer noch im Film."

Müller ist Mediator, ein Experte für Konflikte. Andererseits ist er Betroffe­ner, die A 49 wird in der Nähe seines Hauses auf die A 5 zulaufen. Er hält das Projekt verkehrs- und klimapolitisch für unsinnig. "Ich habe im Dekanat gesagt: Entweder machen wir eine Friedensmission, oder ich nehme mir Urlaub und sitze im Baum."

Ralf Müller vor der "Küfa" der " Küche für alle"

Es wurde die Friedensmission. Wenn er die gelbe Weste des kirchlichen Beobachters anzog, erzählt Müller, legte sich ein Schalter um, dann war er nicht mehr Autobahngegner, sondern überparteilich. Im Rückblick schont er keine Seite. "Es gab gewaltbereite Polizeibeamte. Und die Einsatzleitung hat Fehler gemacht – dass gleichzeitig geräumt und gerodet wurde und dass Beamte Sicherheitsseile der Protestierenden durchtrennten." Die Staatsanwaltschaft ermittelt deswegen gegen ­Polizisten, weil zwei Aktivisten aus Bäumen abgestürzt waren.

Auch einige der Aktivisten kritisiert er. Keiner der Beobachter war dabei, aber Müller hat keine Zweifel, dass Polizisten mit Fäkalien beworfen wurden. Er erinnert ein Gespräch mit einem der Kletterpolizisten, der Aktivisten von den Bäumen geholt hatte. "Was ihn wirklich gekränkt hat, war, dass er bei seiner Arbeit ununter­brochen als ,Nazi‘ beschimpft worden war. Leider haben viele Aktivisten versucht, die Beamten während der Räumungen zu entmenschlichen."

Müllers Mittel waren Gespräche. Er nennt es: Menschen in die Reflexions­schleifen ziehen. Vor dem Gasthof in Dannenrod wollte ihn ein junger Aktivist glauben machen, Deutschland sei ein diktatorischer Polizeistaat. Der Kirchenmann, seit Jahren in der ­Hilfe für Geflüchtete aktiv, erzählte dem Aktivisten von ­Erfahrungen, die ihm Menschen aus Syrien ­berichtet ­hatten. "Wenn wir hier in einer ­Diktatur ­leben würden, wärt ihr längst nicht mehr im Wald", gab er dem Mann mit auf den Weg, der still geworden sei. "Ich bin froh, dass wir hier keine Toten hatten", sagt Müller.

Die Gastwirtin

Mit dem Gasthaus Jakob verbindet Ingrid Süßmann eine lange Geschichte. Ihr Vater ist hier aufgewachsen, ­ihre Patentante Lina Jakob führte das Gasthaus seit den 50er Jahren, ohne feste Öffnungszeiten. Bei Lina ein Bier trinken, das ging immer. Ingrid Süßmann half Lina in den Ferien. Urlaub auf dem Bauernhof, Familien­feiern, Winterschlachtfeste, ein kleiner Tante-Emma-Laden – es war viel zu tun. 2008, als Lina Jakob in die Jahre gekommen war, ist Ingrid Süßmann mit eingestiegen. Ihre Idee, ein Sonntagsfrühstück anzubieten, schlug ein wie eine Bombe, 80, 90 Gäste kamen, das Gasthaus war ein richtiger Dorfmittel­punkt. Im September starb Lina ­Jakob mit 92 Jahren. Ein Foto von ihr steht im Flur des Gasthauses, auf dem ­Boden matschverschmierte Stiefel.

Ingrid Süßmann mit dem Foto ihrer Patentante Lina im Gasthaus Jakob

"Mit ihr und den Aktivisten in einem Haus, das wäre schwierig gewesen", sagt Ingrid Süßmann, ehe sie zum Spaziergang aufbricht, Richtung Autobahnschneise. Als die Planungen für die Trasse konkreter wurden, um die Jahrtausendwende, war sie Ortsvorsteherin, 15 Jahre lang. Es gab Protest, es gab Veranstaltungen, aber ­immer auch das Gefühl: Das Geld dafür fehlt, das wird sowieso nichts. "Über den Klimawandel haben noch viele gelächelt", sagt sie. Heute fragt sie sich manchmal: Warum hast du damals nicht mehr gegen die Autobahn unternommen? Als das Bundes­verwaltungsgericht zugunsten des Baus entschied, sah Ingrid Süßmann Plakate im Ort, "Keine A 49", und dachte: "Ist doch eh durch."

Im Sommer 2019 hieß es in Dannen­rod: Da kommen Aktivisten aus dem Hambacher Forst! Erst ­waren es 15 Protestierende, es gab ­eine Whatsapp-Gruppe im Ort, um die Leute zu bekochen, "vegan natürlich", sagt Süßmann. Sie bot den Aktivisten an, freitags im Gasthaus zu ­duschen, von halb neun bis um halb elf, da war ohne­hin Gäste­wechsel. Heute sind ­einige Zimmer an Aktivisten vermietet, eine Kampagnenorganisation zahlt dafür. Hinten im Hof des Gasthauses steht ein Zelt, darin ist die "Küfa" untergebracht, die "Küche für alle", die fürs Camp kocht.

Auf dem Weg zum Wald fährt ein Auto vorbei, Ingrid Süßmann winkt, der Fahrer grüßt. Das ist nicht mehr selbstverständlich. Neujahr kam ihr ein Verwandter entgegen, sie ist sich sicher, früher hätte er angehalten, um ein gutes neues Jahr zu wünschen. Nun blickt er stur an den Süßmanns vorbei, wenn sie sich sehen.

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!" Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann in seiner Kolumne "Klimazone"

Hat sie etwas für sich mitgenommen aus dem vergangenen Jahr? Ingrid Süßmann hat dunkle Haare, trägt Mantel, Winterstiefel – eine durch und durch bürgerliche Erscheinung. Sie stapft durch den Schnee und sagt: "Ja, wie wichtig ziviler ­Ungehorsam ist. Etwas, das zwischen Recht und Ordnung steht, die ganze Wiedervereinigung ist ohne zivilen Ungehorsam nicht denkbar."

Süßmanns Spaziergang endet an der gerodeten Schneise, vor der ein Zaun steht, der oben mit Stacheldraht bespannt ist. Ein Mann steht auf einem Baumstumpf und spielt ­Posaune. Gerade hat er erzählt, die Posaune von Jericho soll Stadtmauern zum Einsturz gebracht haben. Vielleicht klappt es auch mit Zäunen?

Mit der Posaune spielt ein Mann gegen den Zaun im Forst bei Dannenrod an. Hinter ihm ist die Schneise zu sehen, auf der einmal die A49 verlaufen soll

Süßmann schätzt, dass zwei Drittel im Dorf gegen die Autobahn sind – und offen für die Aktivisten. Andere sind unschlüssig, wollen ihre Ruhe oder sind für die Autobahn – und oft gegen den Protest. Eine Frau erzählte Ingrid Süßmann, sie traue sich nicht mehr allein aus dem Haus. Sie hat ihr geraten: "Such doch mal den Kontakt, redet doch mal miteinander!" Man kann viel lernen von den Aktivisten, findet Süßmann: Als im Gasthaus an den Toiletten die Schilder "D" und "H" mit Papier überklebt worden waren, erklärte ihr eine Frau, es gebe nun mal mehr als nur zwei Geschlechter. "Es kann doch nicht sein, dass ihr ­euch an zwei Buchstaben aufhängt!", sagte Süßmann ihr, über das Er­lebnis lacht sie damals wie heute. Andere stören sich an der Lebensweise der Aktivisten, die lägen den Steuer­zahlern auf der Tasche. Wer so was sagt, dem hält sie entgegen, dass viele Aktivisten im Gasthaus studieren und an Onlinevorlesungen teilnehmen. "Einer hat hier seine Doktorarbeit abgeschlossen!"

Bald soll ein Sachverständiger ermitteln, wie viel das Gasthaus wert ist, die Aktivisten können sich vorstellen, es zu kaufen. Als Rückzugsraum für Protestierende und Klimaschützer. Ingrid Süßmann seufzt. Soll sie das Haus verkaufen, so ein Stück Familien­tradition? Und was denken dann die Leute im Dorf? Lange Zeit dachte Ingrid Süßmann, dass die ­Leute ihr die Meinung schon direkt sagen würden. Aber dann berichtete ihr eine Bekannte: "Ich habe gehört, es gibt schon Klagen bei der Stadt, dass du die Aktivisten da reinlässt." Sie fragte beim Hauptamt in Homberg nach, und tatsächlich, es waren Beschwerden eingegangen, was denn da los sei im Gasthaus.

Die Chancen auf erfolgreiche Verhandlungen stehen trotzdem gut. Wenn die Aktivisten von den Dannen­rödern sprechen, ist oft von den "Bürgis" die Rede, also von den Bürgern. Bös gemeint ist das nicht, eher respektvoll. Aber die Süßmanns – das sind die "Süssis".

Die Gegner

Wolfgang Seim kämpft seit Jahrzehnten gegen die A 49, war Anfang der 90er Jahre Mitbegründer einer Bürgerinitiative. Er sitzt im Wohnzimmer seines Elternhauses in Maulbach und klingt für einen Moment wie ein strenger Lehrer: "Der Protest hatte in der Breite zu wenig Schwung, die Einsatzbereitschaft hat zu wünschen übriggelassen." Auch Wolfgang Seim und seine Frau Christa haben einen Preis für ihre Haltung zur Autobahn bezahlt. Eine Bekannte meldete sich nach 30 Jahren nicht mehr. Christa Seim telefonierte ihr hinterher und bekam zu hören: "Ihr habt die Gewalt ins Dorf gebracht." Aber irgendwie, finden sie, hat das auch Klarheit geschaffen.

Familie Seim kämpft seit Jahr­zehnten gegen den Bau und die Zerstörung des Forstes

Wolfgang Seim teilt den Widerstand gegen die A 49 in einen bürgerlichen und einen aktivistischen Teil auf. Und zu den Bürgerlichen gehören sie, die Seims. Auf den Klimawandel hatte Wolfgang Seim schon in den frühen 90er Jahren hingewiesen, er hat extra noch mal in seinen Unterlagen nachgesehen. Das Ehepaar hat vier Kinder, die ersten Enkelkinder sind da. Christa Seim war Biologie­lehrerin und findet: "Wenn man selbst wissenschaftlich denkt, kann man nicht einfach die Füße hochlegen und Wein trinken." Aber erst, als 2019 die ersten Baumhäuser im Dannen­röder Forst entstanden, wies ihnen die ­Klimaschutzbewegung die Rolle zu, nach der sie lange gesucht hatten. Sie unterstützten die Aktivisten, brachten Essen und Baumaterialien in den Wald, organisierten Fahrdienste. Und kamen mit Menschen aus ganz Europa ins Gespräch, die ihre Haltung teilten.

Der schönste Tag war wohl der 6. Dezember, meint Wolfgang Seim. Er ringt mit den Tränen, seine Frau wirkt überrascht von ihrem Mann, der erzählt. "Es war nass, es war schlammig, wir wussten, in zwei Tagen ist alles abgeräumt, aber die Leute haben sich noch mal darin bestärkt, wie wichtig es ist, Widerstand zu leisten. Dieser Geist war fast körperlich zu spüren."

Wenig später, als die Schneise im Dannenröder Forst gerodet war, reis­ten die Seims zu ihrem Sohn nach Berlin. Als sie klingelten, sahen sie ein Bild an der Wand des Mehr­parteienhauses, darauf Bäume und der Spruch "Danni bleibt". Zum Abschied sagt Wolfgang Seim: "Der Wald liegt zwar, aber die Autobahn ist noch nicht gebaut."

Der Befürworter

Heute hätte seine Frau beim Frühstück gefragt, wie es den Seims wohl geht, erzählt Rainer Schwarz. Er sagt das nicht zynisch oder spöttisch, es klingt wie eine ernste Sorge um ­Menschen, die gekämpft und verloren haben. Schwarz lebt in Ober-­Ofleiden, einem Ortsteil von Homberg, ein gutes Stück entfernt von der Trasse. Nachts sieht er, wie der Himmel über Dannenrod erleuchtet ist, weil Flutlichter Zaun und Schneise ausleuchten. Im Herbst war es noch heller, Freunde von ihm aus Dannenrod hätten nicht mehr schlafen können.

"Solange der Bau nicht höchst­richterlich genehmigt war, war jeder Protest legitim", sagt Schwarz. "Aber wenn es eine politische Mehrheit gibt, das Planfeststellungsverfahren durchlaufen ist und Kläger angehört wurden, muss ich das akzeptieren, sonst lande ich in der Anarchie."

Am meisten ärgert sich Schwarz über die Kirche. "Das Dekanat positionierte sich Tage nach dem entscheidenden Urteil am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die A 49, das hat mir den rechtlichen Boden unter den ­Füßen weggezogen." Auf dem Land im Vogelsbergkreis gilt das Wort der Kirche viel, sagt Schwarz, wenn sie sich so auf eine Seite stellt, müsse das für Streit sorgen. Er spricht von Einstellungsfreundschaften, die er als Zugezogener in dieser Gegend vorher nie erlebt hatte – bist du dafür oder dagegen? "Die Befürworter trauen sich nicht mehr, sich zu artikulieren. Überspitzt gesagt: Die hatten Angst, dass man ihnen das Haus anzündet." Wirklich gute Bekannte reden heute nicht mehr mit ihm.

Auch die Medien kritisiert Schwarz, sie hätten den Slogan ­"Danni bleibt!" immer unkritisch wiedergegeben. Dabei geht es um 2,7 Prozent der Waldfläche, die anderswo wieder aufgeforstet werden. Und immer hätten die Medien von einem Autobahnbau gesprochen, als würde mitten in der Auseinandersetzung um den Klimawandel noch eine ganz neue Autobahn gebaut. "Es geht aber um den Restausbau einer Autobahn, die es schon gibt und auf die viele Menschen warten."

Rainer Schwarz in seinem Haus bei Homberg (Ohm). Dannen­rod erkennt er, wenn er nachts aus dem Fenster sieht – der Himmel dort ist erleuchtet

Schwarz findet durchaus, dass die Kirche sich einmischen soll in ak­tuelle Fragen. Er ist Ingenieur für Gartenbau, vor seiner Pensionierung war er Gartenbaudirektor im hessi­schen Landwirtschaftsministerium in Wiesbaden, in den 70er Jahren hatte er beruflich mit den Plänen für die A 49 zu tun. Wenn er draußen ist, sieht er, dass viele Ackerflächen ­keinen Raum mehr für Insekten ­lassen. Sich für die Schöpfung einsetzen, zum Beispiel für Blühstreifen, das findet er richtig. "Das kann auch mal mit erhobenem Zeigefinger sein, aber die Proteste gegen die A 49 waren das schlechteste Beispiel, um Protest für die Umwelt anzustoßen."

Die Zukunft

Wie es weitergeht, weiß Ingrid Süßmann nicht, wegen Corona bleiben ohnehin alle für sich. Sie hofft, dass das, was Pfarrer Starck während der Proteste immer betonte, in Zukunft fruchtet: "Bedenkt bitte, dass es auch ein Hinterher gibt." Ihr Mann hat das Gasthaus früher für einen Stammtisch genutzt, zehn Männer von 20 bis Mitte 50, immer sonntags. "Den wird es nicht mehr geben, weil manche ­dafür und manche dagegen waren."

Ralf Müller, der Vermittler aus dem Dekanat, hat Unterlagen des Pfarrers gefunden, der früher in Dannenrod, Appenrod und Maulbach war, ­Starcks Vorgänger. Ideen für Feste waren dabei, kulturelle Wochen, er hat sie an Alexander Starck weitergereicht. "Die Menschen müssen einfach mal wieder zusammenkommen."

Rainer Schwarz glaubt, dass man Großprojekte in Zukunft viel breiter diskutieren muss, bevor man anfängt zu bauen. Er findet, es war ein Fehler, die A 49 in Teilabschnitten zu errichten, so hat der Streit um den Klimaschutz die Diskussionen um den Lückenschluss der Autobahn überlagert. Die Schneise in der Landschaft sieht noch schlimm aus, findet er. Aber er hofft: Wenn die Fahrbahnränder begrünt werden, heilt die Wunde.

Alexander Starck, der Dorfpfarrer, hat sich vorgenommen, offen durch die Orte zu gehen, alle Menschen freundlich zu grüßen, ohne Vorbehalt. Und er merkt schon: "So kommt man wieder ins Gespräch." Auf Volksfesten ist es ja auch so, dass Nachbarn sich mal prügeln. Und später sitzen sie wieder zusammen. Vielleicht wächst Gras über den Streit?

2024 soll der Verkehr rollen.

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S.g.Damen und Herrn! Mein Mitgefühl den Bewohnern von Maulbach-wird doch demnächst zwischen Sportplatz und Staatswald die A49 Trasse in das Hirschbachtal zum Autobahndreick A5 gegraben-nur einige Meter vom Orstrand entfernt.Ich beschreibe Ihnen meine Heimat bis 1975-wurden doch meine Eltern 03/1946 aus Gablonz-Isergebirge nach MAULBACH ausgesiedelt- auch meine ornithologische ,,Heimat",konnte ich doch gerade in den Wäldern um Maulbach und Nieder Gemünden Bebachtungen an allen Vogelarten-besonders Eulen und Käuzen sammeln und fotografiern. Aber zu meinem Leserbrief:die A49 wird weiter gebaut und mündet dann in die 2spurige A5 nach Gießen;schon vor 50 J.war der leichte Anstieg der A5 aus dem Ohmtal nach Burg-
Gemünden Richtung Gießen auch bei leichtem Schneefall für den Schwerverkehr ein großes Hindernis.Ein Ausbau der A5 ist nicht geplant,aber es wird ab 2024 mit einemdeutlichen Zuwachs des LKW -Verkehrs aus Richtung KS zu rechnen sein,der dann auf der 2 spurigen A5 zu entsprechenden Folgen führt.

Autor der Redaktion bekannt

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Liebe Frau Ott,
im Heft drei von 2021 las ich einen bewegenden Bericht über den" Kampf um
den Dannenröder Forst". Sehr ausgewogen, fast ein Nachruf. Beide Seiten
kommen ausführlich zu Wort. Was nicht häufig bei aufgeheizten Kampagnen
geschieht. Nun kühlen sich die Gemüter ab. Es ist schwer, nun zu werten. Was
haben die Kämpfe um die Meinungshoheit über den Dannenröder Forst gebracht?
Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Weder der mutige Pfarrer Starck hat
wieder eine miteinander versöhnte Gemeinde, noch die Aktivisten haben etwas
erreicht. Der Verlierer ist der Wald, der gerettet werden sollte. Er ist
nun demoliert für immer. Viele seelische Wunden sind geschlagen worden bei
den Anwohnern. In den Familien und Freundeskreisen. Wahrscheinlich bleibend.
Es gibt auch eine Nachhaltigkeit des Bösen . All das hat der Glaubenskrieg
um ein Bauprojekt, das längst entschieden war, den Menschen gebracht. Die
örtlichen Familien sind gespalten. Die Gemeinde Dannenröd hat ihre Unschuld
verloren. War es das alles wert? Sich bis aufs Blut zu reizen und
niederzumachen?. Das werden die Umweltschützer nicht bedacht oder billigend
in Kauf genommen haben. Und die Bergpredigt, die auch Naturfreunden heilig
ist, sie liegt unter den Baumhäusern zertrampelt.

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Jürgen Lieber

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Wir, die wir in Deutschland leben, hatten nach dem Krieg das Glück unter dem Schirm der westlichen Alliierten einen funktionierenden Rechtsstaat entwickeln zu können, in dem seit der Wende auch die neuen Bundesländer einbezogen sind. Wenn man Ihre Ausführungen zum Problem Dannenröder Forst liest, kann man den Eindruck gewinnen, dass die evangelische Kirche, vertreten durch Pfarrer Starck, nichts dabei findet, wenn der demokratische Rechtsstaat durch sogenannte Aktivisten unterminiert wird. Für mich bedeutet der Begriff Aktivist ein Mensch, der ein gutes Ziel verfolgt (in der DDR wurde ein Arbeiter, der eine besonders gute Arbeit abgeliefert hat, mit dem Titel Aktivist ausgezeichnet). Hier im Danneröder Forst handelt es sich jedoch um Protestierer, die rechtswidrig fremdes Eigentum (den Danneröder Forst) besetzen. Pfarrer Starck kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Polizei für ihren „teils menschenverachtenden Umgang bei Verhaftungen“. Diese Aussage wird allerdings in Berichten über den Polizeieinsatz im Danneröder Forst nicht bestätigt. Die Aussage von Frau Süßmann „Ja, wie wichtig ziviler Ungehorsam ist. Etwas, das zwischen Recht und Ordnung steht, die ganze Wiedervereinigung ist ohne zivilen Ungehorsam nicht denkbar.“ Diese Aussage ist sehr naiv und wird in Ihrem Artikel, soweit ich lesen konnte, so gut wie nicht kritisiert. Die Ausführung unter der Überschrift „Die Gegner“ bzw. „Der Befürworter“ bestätigen die Sympathie für die Protestierer und weniger für die Polizei, deren Aufgabe es ist, für die Einhaltung der Rechtsordnung zu sorgen und dies unter teilweise sehr schwierigen Bedingungen. Auch in diesem Artikel findet man wenig darüber, was die Protestierer eigentlich antreibt und welchen sozialen Hintergrund sie haben. Es sind wohl überwiegend junge Leute, man hat oft das Gefühl, dass sie die Situation wie beim Danneröder Forst als Abenteuerspielplatz betrachten. In meiner Jugend wurden solche altersgemäßen Wünsche eher durch Ausflüge der Gemeindejugend oder der Pfadfinder befriedigt.

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Der Auffassung von Herrn Rainer Schwarz kann ich nur beipflichten. Wenn wir nicht mehr bereit sind, rechtsstaatliche Verfahren, die zudem noch von unabhängigen Gerichten als legitim bestätigt wurden, zu akzeptieren, solidarisieren wir uns mit den linken Krawallmachern, denen der Dannenröder Forst mangels eigener Betroffenheit ziemlich egal ist und denen es nur darauf ankommt, hemmungslose Gewalt gegen staatliche Autorität auszuüben.
Es mag zwar sein, dass sogenannter ziviler Ungehorsam zur Wiedervereinigung beigetragen hat. Die von Ihnen diesbezüglich zitierte Frau Süßmann übersieht aber offenbar, dass die damalige DDR ein autoritär geführter Staat war und es dort
keine Überprüfung staatlichen Handelns durch eine unabhängige Justiz gab. In unserem Staat beschneidet ziviler Ungehorsam Rechte, die in geordneten rechtsstaatlichen Verfahren und nach einer Bestätigung durch eine unabhängige Judi-
kative erworben wurden. Ziviler Ungehorsam hat daher keinen Platz in unserer Staatsform. Dieses Verständnis scheint dem Dekanat Vogelsberg völlig zu fehlen. Da braucht man sich über vermehrte Kirchenaustritte nicht zu wundern.
gez. Peter Bodenstedt

Antwort auf von Peter Bodenstedt (nicht registriert)

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"Ziviler Ungehorsam hat daher keinen Platz in unserer Staatsform." Sehr schön klargestellt! Zur freiheitlichen BRD gehört Gehorsam, ziviler wie militärischer gleichermaßen. Zum "autoritär geführten Staat" DDR - die politisch korrekte Sprachregelung heißt übrigens kommunistisches Terrorregime - gehören dann aufmüpfige Umtriebe oder was sich sonst noch "linke Krawallmacher" ausdenken, "denen es nur darauf ankommt, hemmungslose Gewalt gegen staatliche Autorität auszuüben".

Friedrich Feger

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Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Interesse habe ich Ihren Text „Die Schneise zwischen uns“ gelesen. Erlauben Sie mir dazu einige Anmerkungen.
Nach Ihrem Bericht sind 27 Hektar Wald im Dannenröder Forst gefällt worden und weitere 50 Hektar zwischen Schwalmstadt und dem Ohmtal, zusammen sind das 77 Hektar. Da ein Hektar 10.000 m2 groß ist, bedeutet dies einen Flächenverbrauch von 770.000 m2 Wald.
In Deutschland gibt es zur Zeit etwa 30.000 onshore-Windräder, wovon etwa 7.500 (25 %) in Wäldern errichtet wurden. Da ein einzelnes Windrad einen Platzbedarf von bis zu 10.000 m2 hat (Bundesamt für Naturschutz) bedeutet dies einen Waldflächenverbrauch von bis zu 75 000 000 m2, das ist das rund 97-fache dessen, was der Rodung beim Dannenröder Forst zum Opfer fiel, incl. einer umfassenden Zerstörung von Landschaften, Landschaftsschutzgebieten, Naturschutzgebieten und Wäldern und jährlich Zehntausenden von Vögeln (Nabu) – nicht nur die häufig erwähnten Roten Milane – und Hunderttausenden von Fledermäusen, die diesen Windrädern zum Opfer fallen. Auch das Sterben von Insekten ist vermutlich auf die Windräder zurück zu führen. Es geht also nicht nur um einige Kaninchen, Igel und Rehe, die auf der neuen Autobahn ihr Leben verlieren werden.

Mich erstaunt, mit welchem Gleichmut man die Schäden und Opfer von Windrädern in Kauf nimmt, sich einreden lässt, diese Zerstörungswut wäre zwingend notwendig – und gleichzeitig wegen der Fällungen im Dannenröder Forst den beschriebenen Konflikt auslöst.

2019 betrug der deutsche Endenergieverbrauch 9.005 Petajoule (BMWi) = rund 2.500 Mrd. kWh, die Produktion von Erneuerbaren Energien mit den 30.000 Windrädern, allen Photovoltaikanlagen usw. betrug 242 Mrd. kWh. Der Anteil der Erneuerbaren Energien betrug damit 9,7 %.

Die Vorstellung, den deutschen Energieverbrauch mit dem stark steigenden Stromverbrauch bis 2050 weitgehend durch Erneuerbare Energien zu decken, ist eine Fixe Idee.
Mit freundlichen Grüßen
Richard Füchtner