chrismon: Was würde der Wald auf die Frage "Wie geht’s dir?" antworten?
Nicole Wellbrock: "Nicht schlecht – aber es könnte besser sein." Und nach dem Sommer 2018 würde er hinzufügen: "Bitte checkt mich in kurzen Intervallen durch!" Aber im Grunde kann er nicht mit einer Stimme sprechen, weil sich Klima und Geologie unterscheiden. Das prägt die Wälder.
Was lief falsch im Sommer 2018?
Es war viel zu trocken. Auch in diesem Jahr gab es vielerorts wieder zu wenig Regen. Mit der Trockenheit kommen Schädlinge wie der Borkenkäfer. Die Fichte bekämpft ihn, indem sie Harz bildet und ihn einschließt. Bei Trockenheit fließt aber das Harz nicht. Die Fichte kommt natürlicherweise in nördlichen Regionen oder in Mittelgebirgen vor. Über 500 Metern über dem Meeresspiegel fühlt sie sich wohl. Aber weil die Holzindustrie Fichtenholz braucht, hat man sie auch in niedrigen Lagen angebaut.
Dr. Nicole Wellbrock
Wie geht es anderen Baumarten?
Der Buche in Deutschland geht es nicht gut.
Was fehlt ihr denn?
Die Trockenheit macht ihr zu schaffen. Und hohe Einträge von Stickstoff.
Und wie geht es der Kiefer?
Sie verträgt die Trockenheit ganz gut. Manche Schädlinge, die ihr früher zusetzten, mögen keine Hitze. Leider nicht die Nonne, ein Nachtfalter. Ihre Raupen befallen Kiefern.
Was macht die Eiche?
Die Bestände in Deutschland sind alt. Wie es alten Leuten so geht – die Eiche wird leichter mal krank. Es ist ihr zu trocken, sie leidet unter Schädlingen.
In den Achtzigern war das Waldsterben ein Thema, ausgelöst vom sauren Regen. Heute auch noch?
Mancherorts wird immer noch Kalk ausgebracht, weil die Waldböden übersäuert sind. Der saure Regen ging vor allem auf Schwefel zurück. Das Problem ließ sich durch Filteranlagen lösen. Aber heute haben wir ein Stickstoffproblem.
Woher kommt der Stickstoff?
Stickstoff wird bei Verbrennungsprozessen frei, etwa in Automotoren. Und durch Gülle aus der Landwirtschaft. Stickstoff produziert einerseits Säure in den Böden, wirkt aber auch wie ein Dünger. Da sind wir wieder bei den Buchen. Eigentlich bildet eine Buche alle sieben Jahre Früchte. In Gegenden mit zu viel Stickstoff – wie in Nordwestdeutschland – ist sie überversorgt und fruktifiziert etwa alle zwei Jahre. Dann hat der Baum weniger Blätter. Das mindert die Photosynthese. Was uns alle sieben Jahre freut, ist alle zwei Jahre zu viel.
Was können wir für den Wald tun?
Weil der Klimawandel und hohe Stickstoffeinträge dem Wald zusetzen, hilft eigentlich alles, was die Erderwärmung mindert – weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen, damit nicht so viel Gülle anfällt . . .
Eigentlich tun die Wälder was für uns.
Ja. Sie binden Kohlendioxid. Daher können wir sie nicht überall der Natur überlassen, sondern müssen sie durch Aufforstung verändern, auch um Mono- in Mischkulturen zu verwandeln, die weniger anfällig für Schädlinge und förderlich für Insekten und Vögel sind. Etwa fünf Prozent der Wälder bei uns entsprechen der romantischen Vorstellung vom Urwald – wie die "Heiligen Hallen" in Mecklenburg.
Hätte man den Wald nie angetastet – wo würden welche Bäume wachsen?
Deutschland wäre ein Buchenland, außer in sehr sandigen und trockenen Regionen. Dort gefällt es der Kiefer. Auch Eichen gäbe es an vielen Orten. Und in den Höhenlagen Fichten, Tannen und Lärchen.