Begegnung - Iris Wolff und Senthuran Varatharajah
Schreiben auf der Wartburg: Iris Wolff und Senthuran Varatharajah
Nora Klein
Iris Wolff und Senthuran Varatharajah im Interview
Bläst der Wind, weht er?
Die Autorin Iris Wolff und der Autor Senthuran Varatharajah über die Kunst, Worte zu finden
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
24.11.2021
10Min

chrismon: Im Anfang war das Wort, heißt es in der Bibel. Welches war Ihr erstes Wort?

Iris Wolff: Als ich schon über vierzig war, hat mir meine Mutter erzählt, dass mein erstes Wort ein rumänisches Wort war: zãpadã, Schnee. Ich wusste das bis dahin nicht und habe das Rumänische inzwischen fast verloren. Das war der Anstoß für meinen Roman "Die Unschärfe der Welt". Plötzlich war Florentine da, die durch das Schneetreiben fährt, und Samuel, die Hauptfigur. Es wurde auch zu seinem ersten Wort. So kann ein Wort ein Bild ­schaffen, das dann in eine Geschichte mündet.

Senthuran Varatharajah: Tamil, meine erste Sprache, habe ich auch fast vollständig vergessen. Meine Mutter spricht Tamil, und ich wechsle zwischen Tamil, Englisch und Deutsch. Wenn ich mit ihr telefoniere, höre ich ­Wörter, die ich noch nie gehört habe. Aber mein Mund erinnert sich an sie. Er weiß, wie sich diese Nuance von einem anderen Wort, das ich kenne, unterscheidet. Für mich ist nicht entscheidend, dass "im Anfang" das Wort war. ­Sondern: Was war dieses Schweigen, bevor das erste Wort ausgesprochen wurde? Das ist für mich der Ort der Literatur, an den ich zurückgehen möchte, an dem sich ­alles Wesentliche ereignet. Wie lange hat Gott ­geschwiegen, bis er etwas gesagt hat?

Iris WolffNora Klein

Iris Wolff

Iris Wolff, Schrift­stellerin, geboren 1977 in Hermannstadt, ­Rumänien. Ihr ­jüngster Roman "Die Unschärfe der Welt" erschien 2020 im Klett-Cotta Verlag. Auch ihre Bücher ­wurden mehrfach ­prämiert. Wolff verbrachte ihre Kindheit im Banat und in ­Siebenbürgen. ­Achtjährig zog sie mit ­ihren Eltern nach Deutschland. Sie ­studierte Germanistik, Religionswissenschaft, Grafik und ­Malerei in Marburg an der Lahn. Sie lebt in Freiburg.
Senthuran VaratharajahNora Klein

Senthuran Varatharajah

Senthuran ­Varatharajah, Schriftsteller, ­geboren 1984 in ­Jaffna, Sri ­Lanka. Sein erster ­Roman "Vor der ­Zunahme der ­Zeichen", 2016 ­erschienen im F­ischer Verlag, wurde mehrfach ­ausgezeichnet. ­Varatharajah kam im ers­ten Lebensjahr nach Deutschland, wuchs im bayerischen Oberfranken auf und studierte evangelische Theo­logie, ­Philosophie, ­Religions- und Kulturwissenschaft in ­Marburg, Berlin und London. Er lebt in Berlin.

Sie beide verbringen nacheinander vier Wochen auf der Wartburg in Eisenach. Die Lutherstiftung hat Sie eingeladen, dort einen Monat zu schreiben. Herr Varatharajah, war da viel Schweigen oben in der Lutherstube?

Varatharajah: Ich habe selten hier oben geschrieben. Durch einen Bruch in der kleinen gotischen Tür hört man die Stimmen der Menschen und Luthers Geschichte aus dem Nebenraum. Das ist ein betriebsamer touristischer Ort. Als Luther hier die Bibel übersetzte, war auch er nicht allein. Andere Menschen haben ihn beraten.

Wolff: Mir gefällt, was du über das Schweigen gesagt hast. Es gibt diesen Spruch: "Stille, du bist das Schönste, was ich je gehört." In mir ist eine Sehnsucht nach Stille, und ich wünsche mir, dass ich mich hier oben auf der Wartburg verbergen kann vor der Welt. Nur durch das Herauslösen aus dem Alltag entsteht überhaupt irgendwas auf dem Blatt Papier. Aus der Stille, aus dem Schweigen. Aus dem Verborgensein. Gott ist auch ein verborgener Gott, also muss ich mich selbst verbergen, damit etwas mich berühren, durch mich durch gehen kann und ich es dann wieder verwandle. Ich hoffe, dass die Zeit hier diese Verwandlung ermöglicht.

Varatharajah: Ja, das ist eine paradoxe Situation. Wir verbergen und offenbaren uns in der Schrift.

Wissen Sie denn, was Sie offenbaren wollen?

Wolff: Manchmal werde ich gefragt: Was wollten Sie ­eigentlich mit Ihrem Buch? Was ist die Kernaussage? Oder: ­Wollen Sie uns erziehen? Ich will gar nichts! Ich will eine Geschichte erzählen, wenn überhaupt, eine gute Geschichte, die vielleicht in jemand anderem eine Wandlung anstößt.

Varatharajah: Es ist eine grundsätzliche Erfahrung, dass man nie die Autorität über sein Buch besessen hat, von Anfang an nicht. Der Text steht für sich, er ist nicht mehr verfügbar für die Person, die das Buch geschrieben hat. Nur wenn man ins Nichts schreibt, kann es möglich sein, jemanden angesprochen und gerufen zu haben. So wie die Bibel auch nicht mehr in den Händen Gottes liegt. Sie zu verstehen, das ist jetzt unsere Aufgabe.

Ist das Werk das, was die Leserin jeweils draus macht?

Varatharajah: Der Text gehört weder dem Autor noch dem Publikum, er steht für sich. Er gehört niemandem. So stelle ich mir einen Text vor.

Wolff: Für mich ist es leicht anders. Es gibt diesen schönen Satz von Novalis: "Der wahre Leser muss der erweiterte Autor sein." Ist es schon Musik, wenn ich ein Stück komponiere, oder braucht es die Aufführung, um Klang zu werden? Buchstaben auf Papier werden womöglich erst Literatur, wenn sich jemand zu dem Text in Beziehung setzt. Erst dann verwandelt er sich und wird lebendig.

Varatharajah: Mit dem Hören ist es auch so. Wenn ich über die Stille Gottes vor dem ersten Wort nachdenke, ­frage ich mich, wie einsam muss Gott gewesen sein, dass er Menschen hat erschaffen müssen.

Wolff: Rilke hat gedichtet: "Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe? . . . Mit mir verlierst du deinen Sinn." Ein starkes Bild: Dass Gott ein Gegenüber braucht.

Sie sind im Pfarrhaus aufgewachsen . . .

Wolff: Der Pfarrer in Siebenbürgen war die erste Respektsperson im Dorf, meine Mutter wurde mit "Frau Mutter" angesprochen. Als Pfarrerskind durfte ich bei jedem ein- und ausgehen, es war eine selbstverständliche Zugehörigkeit, zu Menschen, Straßen, der Landschaft. – Ich denke auch an die Geschichten aus der Bibel, mit denen ich groß geworden bin: Daniel in der Löwengrube, Elias, der von einem Raben gespeist wurde. Für mich war es selbstverständlich, dass es jenseits der materiellen Welt, jenseits der Wünsche und Ziele eine geistige Welt gibt, in der andere Schätze zu Hause sind. Diese Freiheit und Selbstverständlichkeit fiel mit der Auswanderung radikal weg. Anderthalb Jahre lebten wir im Übergangswohnheim, alle in einem Zimmer. Erst nach drei Jahren konnte mein Vater wieder als Pfarrer arbeiten.

Ihre Familie musste sieben Jahre in Heimen bleiben, Herr Varatharajah. Was nehmen Sie mit aus dieser Zeit?

Varatharajah: Mein Vater ist Christ und meine Mutter Hindu. Beide Religionen haben meine Imagination geprägt. Der Begriff der Ankunft ist für mich ein religiöser Begriff, aber auch einer, der praktisch mit der Möglichkeit unseres Bleibens zusammenhängt. Beim Warten ist es das Gleiche: Warten auf Duldung, Warten auf Abschiebung, Warten auf Staatsbürgerschaft – und immer auf den Messias. Ein Brief aus dem Krieg in Sri Lanka, der uns mit drei, vier Wochen Verzögerung erreicht. Warten auf ein Telefonat, das dann durch einen Bombenangriff unterbrochen wird. Als Kind war ich obsessiv. Nachts lag ich im Bett und habe die Bibel gelesen, die Übersetzung der Zeugen Jehovas. Ich wollte, dass die Sprache Gottes meine Sprache wird. Das hat wesentlich meine Erinnerungsfähigkeit geprägt.

"Ich lese gerne Geschichten von Menschen, die das Land gewechselt haben"

Wolff: Ich habe das Gefühl, die Dinge gehen durch mich hindurch. Ich staune, wenn jemand ein großes Repertoire an Zitaten aus der Weltliteratur oder aus der Bibel parat hat. Fragt mich jemand, welches die besten Bücher der letzten Jahre waren, kann ich es kaum benennen. Ich vergesse auch, was in meinen eigenen Büchern alles drinsteckt. Die Leute fragen mich nach einer Nebenfigur, und ich habe sie manchmal vergessen. Andererseits hilft das beim Schreiben, weil doch etwas bleibt, allerdings eher auf einer bildlichen, nichtsprachlichen Ebene. Es bleibt eine Klang- und Erinnerungsspur, auf die ich zurückkommen kann. Dann ist doch alles vorhanden, was einmal war, was mich geprägt hat, was ich gelesen habe.

Varatharajah: Auch mein Verhältnis zur Sprache ­meiner Eltern hat mit der Flucht zu tun. Tamil in Sri Lanka zu sprechen hat im Krieg geradewegs den Tod bedeutet. ­Menschen in Bussen wurden aufgefordert ein singhalesisches Wort auszusprechen. Alle, die es mit einem tamilischen Akzent aussprachen, wurden im Bus verbrannt. Meine erste Sprache war mit dem Tod besetzt. Die Muttersprache wird romantisiert, ihr wird eine Autorität zugeschrieben, die ich nicht empfinde. Das Griechische, das ich im Theologiestudium gelernt und vergessen habe, war mir näher als Tamil. Alle Sprachen sind für mich immer gleich weit entfernt von mir.

Verschiedene Menschen, verschiedene Lebenswelten: Weitere Doppelinterviews aus unserer Rubrik "Begegnung"

Eine Sprache steht Ihnen zum Schreiben zur Verfügung.

Varatharajah: Ich habe früher nie Literatur gelesen, nur die Bibel, später philosophische und theologische Texte. Ich wollte nicht Schriftsteller werden.
Wolff: Ich habe immer gelesen. Bücher waren und sind mein Zugang zur Welt. Bücher haben ja diese doppelte Richtung, sie machen die Welt größer und gleichzeitig führen sie auf uns zu. Nach dem Studium habe ich begonnen, meinen ersten Roman schreiben. Ich habe sieben Jahre dafür gebraucht.

Was bedeutet Ihnen die Mehrsprachigkeit?

Wolff: Ich lese gerne Geschichten von Menschen, die das Land gewechselt haben, den Kulturraum, die Sprache. Es ist ein Bewusstsein dafür vorhanden, dass eine andere Sprache für denselben Vorgang ein anderes Wort, ein anderes Bild hat. In meinem Roman "So tun, als ob es regnet" denkt eine Figur darüber nach: Was macht der Wind eigentlich? Geht er, weht er, bläst er, schlägt er? Im Englischen, im Rumänischen, im Deutschen und Siebenbürgischen gibt es immer ein anderes Bild. Sprache ist ein deutender Zugang zur Welt, eine unendliche Annäherung an das, was wir Wirklichkeit nennen. Und Wirklichkeit ist immer groß und widersprüchlich.

"Trau dem nicht, was erzählt wird"

Herr Varatharaja, Sie sagen, Sie möchten keine Geschichten erzählen. Warum nicht?

Varatharajah: Ich habe lange an die Geschichten geglaubt, die wir für unser Leben halten. Dann hörte ich, wie meine Mutter mit ihrer Schwester in Dänemark telefoniert und in einem Nebensatz alles revidiert, was sie mir zuvor über unser Leben in Sri Lanka erzählt hatte. Vielleicht war es Verdrängung, Verleugnung, Verneinen, Vergessen.

Was ist dann Ihr Impuls zu schreiben?

Varatharajah: Im Johannesevangelium heißt es: "Du wirst deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst." An den Ort zu gehen, an den ich nicht hingehen will, wo mich nichts tröstet, nichts erwartet, wo mir keine Geschichte erlaubt, heute Nacht zwei Stunden ruhig zu schlafen. Ich will ohne Geschichten erzählen.

Lesen Sie dazu: 500 Jahre Lutherbibel: Wie Martin Luther einst nach frischen, unverbrauchten Wortbildern suchte, so müssen wir das heute auch tun

Rumänische Märchen beginnen mit "Es war einmal und ist doch nie geschehen", schreiben Sie, Frau Wolff.

Wolff: Daran musste ich auch gerade denken. Dieses lustvolle, spielerische "Trau dem nicht, was erzählt wird" ­haben deutsche Märchen gar nicht. Ich möchte Leserinnen und Leser tief in eine Geschichte hineinführen, mit ­Figuren, die einem wie in Fleisch und Blut entgegentreten, dass man meint, man wohnte unter ihnen in dieser ­fremden Welt, im Banat, in Siebenbürgen, in einem ­anderen Jahrhundert. Und dann am Schluss, mit einem kleinen Augenzwinkern, heißt es: Hör zu, du hast einen Roman gelesen und durchlebt, eine erfundene Welt.

Varatharajah: Wenn man aus einer Fluchtgeschichte wie unserer kommt, dann können wir nicht so erzählen wie weiße, bürgerliche Schriftsteller*innen es tun. Wir müssen andere Formen finden, die Sprache, die Grammatik, die Wörter aufbrechen. Klassische Formen des Erzählens interessieren mich nicht. Ich will einen Text, der von Anfang bis Ende im gleichen Ton geschrieben ist, wie die katholische Liturgie, ohne Spannungsaufbau, ohne Höhepunkt. Die Spannung muss in den Wörtern liegen. Ein Freund, auch ein Tamile, hat vor einigen Jahren seinen ersten ­Roman in den USA veröffentlicht. Er beginnt mit einer Amputa­tionsszene in Sri Lanka, im Krieg. Als ich ihn gefragt habe, warum er mit dieser Szene seinen Text eröffnet, meinte er: "In Amerika geben die Lektor*innen, die Agent*innen jedem Text fünf Minuten. Wenn du sie dann nicht hast, legen sie das Manuskript weg." Ich bin nicht interessiert an einer kommodifizierten Literatur. Wenn ich die Wahl habe zwischen einem starken und einem schwachen Satz, entscheide ich mich aus Solidarität für den schwachen.

Wolff: Kommen deine ersten Sätze zu dir, suchst du sie?

Varatharajah: Ich habe 2016 beschlossen, diesen Roman zu schreiben. Dreieinhalb Jahre gab es nur diesen einen Satz: "Das ist eine Liebesgeschichte." Ich warte immer auf diesen Augenblick, auf einen Satz, von dem ich nicht mehr sagen kann, dass er aus mir, dass er aus meinem Mund und durch meine Hände kam. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Prophetie und literarischem Schreiben. Man wird zum Organ, zum Instrument von einer ­Stimme, die nicht mehr unsere Stimme ist. Die von irgendwo ­anders herkommt. Jede ästhetische Erfahrung ist für mich immer auch eine religiöse.

"Was ist eine gebogene Minute?"

Wie unterscheidet sich literarisches Schreiben vom Übersetzen, wie Luther es tat?

Wolff: Unterscheidet es sich? Die holländische Über­setzerin meines Buches "Die Unschärfe der Welt" hat mich kontaktiert. Das war sehr spannend. Sie ist eine Fährfrau, die von einem Sprachufer zum anderen übersetzt. Sie muss eigene Bilder finden und kommt meinem Schöpfungsprozess nahe. Das Holländische kennt keine Unglücksraben. Die Übersetzerin fragte, ob das ein Pechvogel sei. Doch die Bedeutungen decken sich nicht. – Ich spiele in einem Kapitel auch mit Romantiteln: "Der Mann ohne Leidenschaften", "Hundert Jahre Zweisamkeit". Sie musste für das Holländische ganz neue Titel schaffen. Mir wurde klar, wie nah sie in ihrer Arbeit am Erfinden, Schreiben, Suchen ist.

Varatharajah: Luther sagt, er orientiere sich an der Mutter im Hause, den Kindern auf der Gasse. Wir nutzen Redewendungen, die er geprägt hat: "Im Schweiße meines ­Angesichts", "Perlen vor die Säue". Luther hat seine ­Sprache nach der Allgemeinheit ausgerichtet. Literatur aber sucht die Sprache der absoluten Einsamkeit, der Individualität, ihr Gegenteil. Mein Lektor fragt mich: "Was ist eine gebogene Minute?" Ich sage: "Wenn du durch eine ­Autoscheibe schaust, eine Minute, und das Glas die Gegenstände bricht, schaust du durch eine gebogene Minute." Literatur ist Imagination, eine andere Offenbarung, die monströse Kraft der Apokalypse: Die Ersten werden die Letzten sein. Die Dinge werden anders sein. Die Individualität des Ausdrucks ist das nicht Übersetzbare.

Was schreiben Sie auf der Wartburg?

Varatharajah: Ich wollte ein doppeltes Gedicht schreiben, über das Übersetzen des Neuen Testaments und über den historischen Ort Eisenach. Ich wollte ein Gedicht über Luther schreiben und eines, das parallel gelesen werden muss, über den NSU. In Eisenach war der letzte Überfall von Mundlos und Böhnhardt auf eine Sparkasse, hier ­haben sie sich getötet. Als das 2011 öffentlich wurde, habe ich mir einen Baseballschläger gekauft, der unter meinem Bett liegt. Wir sind nicht sicher in diesem Land.

Wolff: Was hat die Burg mit dir gemacht?

Varatharajah: Das weiß ich noch nicht. Hier sehe ich diese Masse an Himmel, die Variationen an Himmel, eine Nacht, wie wir sie in Berlin nicht kennen.

Wolff: Als ich gestern auf der Wartburg ankam, war alles in dieses überirdische Licht getaucht. Ich komme aus unglaublich turbulenten Wochen. Nach dem langen Lockdown werden viele Veranstaltungen jetzt nachgeholt. Nun muss ich meinen Koffer vier Wochen nicht mehr packen. Ich habe mir vorgenommen, die Bibel laut zu lesen: die Evangelien, die Apostelgeschichte. Jeden Morgen oder jeden Abend, ich weiß noch nicht, was eine gute Zeit dafür ist. Ich bin gespannt, wie es ist, die Bibel am Stück zu lesen und zu sehen, was bleibt. Es darf in dieser Zeit um große Themen gehen.

Infobox

Lutherbibel

Ab Dezember 1521 übersetzte Martin Luther das Neue ­Tes­ta­ment ins ­Deutsche, in elf ­Wochen. Er lebte ­damals abgeschieden auf der Wartburg.
Zwanzig Mal, bis 1545, überarbeitete der Reforma­tor die "­Lutherbibel": Bluthund, Nächsten­liebe, Herzenslust, Ebenbild, Feuertaufe, Schandfleck, Machtwort, Gewissens­biss, ­Lockvogel, Lücken­büßer, Lästermaul – seine Wortschöpfungen bleiben.

500 Jahre später feilen sie weiter an der ­deutschen Sprache: die Schriftsteller Uwe Kolbe und ­Senthuran Varatharajah und die Schriftstellerin Iris Wolff – jeweils vier Wochen von ­September bis ­November 2021 auf der Wartburg gleich ­neben Luthers ­Schreibstube: wartburg­experiment.de

Hochdeutsch

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde

Schon im "Septembertestament" von 1522, der ersten Version der "Lutherbibel", finden sich die vertrauten Verse aus der Weihnachtsgeschichte (Lukas 2):

Maria aber behielt alle die Worte und bewegte sie in ihrem Herzen

Auf alles gab Luther acht: Wahl und Rhythmus der Worte, ihre Geläufigkeit und Bildhaftigkeit. Seine Bibelübersetzung war ein Longseller, Luther prägte die deutsche Sprache.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Interesse habe ich das Doppelinterview mit Iris Wolff und Senthuran Varatharajah (Heft 12/2021 S. 24 bis 26) gelesen. Allerdings ist mir auf S. 26 bei der Antwort von Frau Wolff "Was bedeutet Ihnen die Mehrsprachigkeit" eine Ungereimtheit aufgefallen. Sie antwortet: " Im Englischen, im Rumänischen, im Deutschen und Siebenbürgischen gibt es immer ein anderes Bild." Hierzu ist anzumerken, dass es eine siebenbürgische Sprache in der Einzahl nicht gibt. Es gibt siebenbürgisch-sächsisch (vermutlich ist das hier gemeint), ungarisch, rumänisch, deutsch, romanes, armenisch etc. Alles das sind siebenbürgische Sprachen. Siehe den kürzlich erschienen Roman von Ioana Pârvulescu: "Wo die Hunde in drei Sprachen bellen." Zsolnay 2021.

Mit freundlichen Grüßen
Gustav Binder