Mathias Markl hatte einen Traum. Er wollte seinen eigenen Apfel züchten. Keine Massenware für den Supermarkt, sondern einen Apfel, der lange hält und besonders lecker schmeckt. Als Tierzuchtwart in Weilheim am Bodensee hat er regelmäßig die Bauernhöfe der Umgebung besucht. Dabei kam ihm immer wieder eine alte Sorte unter: der Rote Eiserapfel. Ein 500 Jahre alter, robuster und lagerfähiger Bauernapfel, aber wenig aromatisch. Also kreuzte er ihn mit seiner Lieblingssorte, dem Roten Berlepsch, einer besonders saftigen, würzigen und Vitamin-C-reichen Sorte. Mit dem Pinsel bestäubte Markl die Apfelblüten, packte sie in engmaschiges Netz ein, damit keine fremden Pollen die Züchtung verunreinigen konnten und pflanzte die Kerne in seinem Garten aus.
Klingt leicht, war es aber nicht. Einmal fielen beinahe alle Äpfel dem späten Frost im Mai zum Opfer. Nur einer überlebte. Es gelingt ihm, den Apfel wieder zu vermehren. Aber 2003 warf ein Sturm fast alle seiner 500 Bäume um. Ein paar Äpfel seiner Zucht überstanden das Unwetter. Markl lagerte sie ein und stellte fest, dass sie Ende Februar noch haltbar waren. "Das war das Schlüsselereignis, das Ergebnis anerkennen zu lassen", sagte Markl. Er war am Ziel: ein mittelgroßer, rotwangiger Apfel mit festem Fruchtfleisch und süß-säuerlichem Geschmack war geboren. Als Name entschied sich Markl für ein Kofferwort aus Berlepsch und Eiser: Berleis.
Privatzüchter haben kaum Chancen
Das Bundessortenamt registrierte die neue Sorte nach vierjähriger Prüfung am 2. Dezember 2008 unter der Kennnummer 282. Jetzt brauchte Markl nur noch eine Baumschule, die den Berleis anbauen und auf den Markt bringen würde. Die meisten Baumschulen lehnten ab. Normalerweise werden neue Züchtungen von Instituten wie dem Julius-Kühn-Institut in Dresden-Pillnitz angeboten. Privatzüchter haben kaum Chancen. Doch dann stieß Markl auf die Baumschule von Robert Werner im oberfränkischen Poxdorf.
Markl wollte mitreden können, was mit seinem Apfel geschieht. Robert Werner, der die Baumschule mit seiner Tochter Eva-Maria führt, und Mathias Markl wurden sich einig. "Er wollte, dass die Geschichte hinter dem Apfel gewürdigt wird", sagt Eva-Maria Werner, während sie an einem Sommertag die Baumreihen entlang geht und die veredelten Bäume prüft.
Wenn ein Kunde heute ein Bäumchen mit Äpfeln der Sorte Berleis im Gartencenter kauft, haben Vater und Tochter Werner bereits mehrere hundert Mal Hand angelegt: Sie haben den Baum aufgeschult (die Unterlage gepflanzt), veredelt (einen Zweig der Sorte auf die Unterlage aufgepfropft), gestäbt (an einen Stab gebunden), ausgeputzt (wilde Triebe abgeschnitten), die Krone gezogen (Äste gekürzt oder herausgeschnitten), gerodet (vom Feld geholt), sortiert und eingetopft. "Wir ziehen jeden Baum einzeln groß", sagt Werner. Die Baumschule ist ein Familienbetrieb – eine sogenannte Produktionsbaumschule für Kern- und Steinobst. Das heißt, sie vermehren und kultivieren bereits gezüchtetes Obst. Anschließend verkaufen sie nicht an Endkunden, sondern an Fachgartencenter und andere Baumschulen.
Ohne seine Leidenschaft wäre der Apfel nie entstanden
Etwa 80 Apfelsorten hat Familie Werner im Sortiment. Sie wachsen an 7500 bis 8000 Bäumen. Der Berleis ist ein Verkaufsschlager. Von der Ernte, Mitte Oktober, lässt er sich bis Mai ohne zusätzliche Konservierung im Keller aufbewahren. "Er ist widerstandsfähig gegen Schorf, Mehltau sowie Zweig- und Fruchtmonilia", sagt Werner, Pilzkrankheiten, gegen die man viele andere Apfelsorten intensiv spritzen muss. Die Obstbaumschule Werner war lange Zeit der einzige Lizenznehmer in Deutschland. Niemand sonst durfte den Berleis züchten, erst kürzlich kam ein Betrieb in Baden-Württemberg dazu.
Als echter "Bayernapfel" findet er gerade regional sehr viele Abnehmer. "Der Berleis ist nicht einfach nur eine Nummer aus einer Züchtungsanstalt, die ein Etikett bekommen hat", erklärt Werner. "Mit diesen Sorten hätte ein Institut nie gezüchtet, weil sie nicht so marktfähig sind wie andere. Der Berleis wäre nie entstanden, wenn Herr Markl das nicht aus Interesse und Leidenschaft gemacht hätte." Menschen mögen solche Geschichten.
Markl kam noch mit Ende 80 vom Bodensee nach Franken gefahren, um auf Gartenmessen und Dorffesten über seinen Apfel zu sprechen. Bei der 700-Jahr-Feier von Poxdorf im Juni 2015 übernahm die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm die Patenschaft für den Apfel. Markl war an diesem Tag sehr stolz und gerührt, erzählt Eva-Maria Werner. Im Februar 2017 ist Mathias Markl im Alter von 89 Jahren gestorben. Sein Traum aber wächst weiter.
Zucht
Äpfel- und Birnensorten können nicht regulär über Kerne vermehrt werden. Sobald ein Apfelkern wild wächst, entsteht genetisch ein neuer Apfel. Er gilt dann nicht mehr als sortenecht. Für die Zucht einer neuen Apfelsorte benötigt der Züchter eine Vater- und eine Muttersorte. Anschließend werden die Blüten der Muttersorte mit den Pollen der Vatersorte per Pinsel bestäubt. Die Blüten werden frühzeitig in engmaschiges Netz gepackt, damit keine fremden Pollen an die Blüte gelangen. Aus der Blüte wächst ein Apfel, dessen Kerne eingepflanzt werden. Nach einigen Jahren wächst am neuen Baum ein neuer Apfel. Weist dieser Apfel die gewünschten Merkmale auf (Geschmack, Aussehen, Robustheit, Lagerfähigkeit), kann der Züchter entscheiden, ob es sich lohnt, die Zucht fortzusetzen – per Veredelung.
Veredelung
Veredelung bezeichnet die künstliche Vermehrung von Obstsorten. Bei dieser Methode wird ein Zweig (Edelreißer) oder eine Knospe (Edelauge) der gewünschten Sorte auf den Stamm einer anderen Sorte (Unterlage) aufgepropft. Ein Zweig der Unterlage wird angeschnitten, der Edelreißer anschließend eingesetzt und mit einem Schnellverschluss verbunden. Wenn der Edelreißer anwächst, platzt der Verschluss auf und der Baum trägt nach einer Weile die veredelte Sorte. Nachwachsende Triebe der Unterlage müssen abgeschnitten werden, damit kein Wildapfel wächst. So können an einem Baum gleichzeitig verschiedene Obstsorten wachsen.
Sortenvielfalt
im Supermarkt erhalte ich zehn Apfelsorten, die ich fast alle problemlos
unterscheiden kann. Zehn Apfelsorten sind nicht genug? Wann und wo in
der Guten-alten-Apfelsorten-Zeit konnte man jemals soviele Sorten direkt
nebeneinander erwerben? Ich halte den Wunsch, wenn nicht gar den
Anspruch, nach mehr für dekadent. Von einer Streuobstwiese mit
verschiedenen Sorten, werden jede Menge Mischlinge geerntet.
Sortenvielfalt? Zehn verschiedene Birnen-, Bananen-, Brokkoli- oder
Kohlrabisorten findet man in keinem Geschäft. Ich verstehe das schon
traditionelle Bedauern vor dem Apfelstand nicht.
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können