Streuobstwiesen
Das bedrohte Apfel-Paradies
Die Streuobstwiese ist das artenreichste Biotop nördlich der Alpen. Warum diese Kulturlandschaft zunehmend unter Druck gerät und was Schafe damit zu tun haben, weiß Jörg Stier
Eine Streuobstwiese in Hohenrode
Eine Streuobstwiese in Hohenrode
Kathy Büscher/flickr
Tim Wegner
Aktualisiert am 26.09.2024
3Min

Wie ist die Streuobstwiese entstanden?

Jörg Stier: Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren überall die Weinberge zerstört, die Brunnen vergiftet, die Landschaft ein Trümmerfeld. Das war der Anlass für die Herrschenden, sich die Obstgärten in England, Frankreich und Spanien zum Vorbild zu nehmen. Bis dahin war Obstbau in der Regel Weinbau. Vielerorts war es sogar verboten, Apfelbäume außerhalb von Klostergärten zu pflanzen. Die Namen mancher Apfelsorten wie "Pfaffenapfel" oder "Bischofsmütze" erinnern noch daran.

Woher kommt der Name "Streuobstwiese"?

Stier: Anders als bei einer Plantage, wo die Bäume alle in Reih und Glied stehen, sind sie auf der Streuobstwiese "verstreut". Apfelbäume gehören zu den Rosengewächsen. Und bei denen ist der Nachbau auf demselben Flecken Erde unmöglich. Wenn ein alter Baum stirbt, muss man den neuen Baum ein Stück daneben pflanzen. Über die Jahrzehnte tanzen die Bäume so nach und nach alle aus der Reihe.

Sie bezeichnen Streuobstwiesen als ein ­Generationenprojekt. Warum?

Stier: Auf Streuobstwiesen stehen große, hohe "hochstämmige" Bäume. Die braucht es, weil die Streuobstwiese schon immer mehreren Zwecken diente: Unter den Bäumen wuchsen Kräuter, auch das Vieh graste dort, besonders Schafe. Und die sollten ja nicht die Früchte ernten, bevor die Menschen das tun konnten. Diese Bäume aber brauchen nun mal ihre Zeit, bis sie groß werden und voll tragen. Sie werden zwischen 80 und 110 Jahre alt. Wir ernten also von den Bäumen, die unsere Großeltern gepflanzt haben.

Warum gibt es auf Streuobstwiesen eigentlich keine Monokulturen, sondern immer viele Apfelsorten?

Stier: Das liegt vor allem an der Bestäubung: Bäume einer Apfelsorte benötigen immer die Pollen einer anderen Sorte, sie können sich nicht selbst befruchten. Auf Obstplantagen wird es deswegen von Hand oder maschinell gemacht. Auf der Streuobstwiese funktioniert das mit Insekten, wenn sie eine ent­sprechende Vielfalt vorfinden. Früher gab es auf unseren Streuobstwiesen rund 2000 Apfel­sorten. ­Diese Sortenvielfalt ist der Grund, warum aus diesen Früchten ein guter Apfelsaft oder ­Apfelwein entsteht: Der unterschiedliche ­Gehalt an Säure, Fruchtzucker, Gerbstoffen ergibt in der Mischung ein ausgewogenes und ausgeprägtes Aroma.

Die Land- und Obstwirtschaft hat sich aber nun mal gewandelt. Warum brauchen wir noch Streuobstwiesen?

Stier: Weil es auf der Streuobstwiese keinen Abfall gibt, nur Ernte: Die Äpfel, die zusätzlich dort wachsenden Früchte und Beeren, das Heu und auch das Holz – alles wird verwertet. Früher verhinderten die Schafherden auf den Streuobstwiesen, dass Büsche wuchsen. Während der Keltersaison holte der Schäfer den Trester an der Apfelpresse ab und verteilte ihn wieder auf der Wiese. Den fraßen dann wieder die Schafe. Das war ein echter Kreislauf.

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