Museum Folkwang Essen Außenaufnahmen vom Eingang
Hier geht's rein, ins Museum Folkwang Essen
Giorgio Pastore
Bildung
Museum immer für alle
Dank einer Spende in der Höhe von einer Million Euro ist im Museum Folkwang in Essen der Eintritt seit 2015 frei. Ist das eine Chance für sozial schwächere Schichten oder eine Gefahr für die Wertschätzung von Museen? Der stellvertretende Direktor Dr. Hans-Jürgen Lechtreck berichtet
Tim Wegner
23.01.2018
4Min

Herr Lechtreck, warum sollte der Eintritt in Museen frei sein?

Dr. Hans-Jürgen Lechtreck: Museen gehören zu den letzten Räumen, in denen Bildung bedingungslos und wertfrei angeboten wird, sie sollten leicht zugänglich sein. Im Ruhrgebiet haben durch den wirtschaftlichen Strukturwandel zahlreiche Menschen nicht viel Geld zur Verfügung. Sie müssen genau überlegen, wofür sie es ausgeben. Wir haben aber auch gemerkt, dass viele Erstbesucher sich durch den freien Eintritt leichter entscheiden, zu kommen, als wenn sie abwägen müssen, ob ihnen die Ausstellung das Geld wert ist.

Was hat der freie Eintritt dem Museum Folkwang gebracht?

Schon im ersten Jahr, 2015, haben sich die Besucherzahlen für die Dauerausstellung mehr als verdoppelt. Besonders Jüngere kommen, bei ihnen liegt der Anstieg bei über 80 Prozent. Wir stellen fest, dass sich das Nutzungsverhalten verändert hat: Besucher treffen sich mit Freunden im Museum, um sich für eine halbe Stunde gemeinsam eine Abteilung oder ein Ausstellungsstück anzusehen und danach ziehen sie zusammen weiter. Manche fügen die Besuche in ihren Alltag ein und kommen regelmäßig, um sich ein bestimmtes Gemälde anzusehen. Die Nutzung des Museums ist selbstverständlicher und niedrigschwelliger geworden.

Privat

Dr. Hans-Jürgen Lechtreck

Dr. Hans-Jürgen Lechtreck, 53 Jahre, hat Kunstgeschichte studiert und ist ab Januar 2018 geschäftsführender Direktor des Museum Folkwang in Essen. Seit Juni 2015 ist dort der Eintritt in die Dauerausstellung dank einer großzügigen Spende frei. Dr. Lechtreck hat das dazugehörige Konzept mitentwickelt.

War das die Grundüberlegung, als Sie das Projekt erstmals eingeführt haben?

Genau das war unser Wunsch. Anfangs war die Idee, einen festen Tag im Monat kostenlos zu öffnen. Dafür haben wir verschiedene lokale Unternehmen als Paten für jeweils einen Tag gewinnen können. Sehr bald hat sich die Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung gemeldet und die Trägerschaft für fünf Jahre übernommen. Unsere Dauerausstellung ist frei. Sonderausstellungen kosten weiterhin Eintritt.

Kritiker sagen, vom freien Eintritt profitieren nur die, die sich auch einen Eintrittspreis leisten können – und sowieso ins Museum gehen.

Es gibt auch die Kritik, dass ein Museum in der Wahrnehmung an Wert verliert, wenn es nichts kostet. Das haben wir nicht beobachtet. Im Gegenteil: Wir merken, dass Erstbesucher eher auch für die Sonderausstellungen wiederkommen und dafür dann gerne Eintritt zahlen. Dass auch der Druck weg ist, jetzt etwas "weggucken" zu müssen, also viel Zeit auf einmal für das Museum aufbringen zu müssen, weil man ja dafür bezahlt hat. Die Besucher schauen sich pro Besuch weniger Kunstwerke an, setzen sich aber viel intensiver damit auseinander. Tatsächlich haben wir aber auch beobachtet, dass durch den kostenlosen Eintritt vor allem mehr jüngere Besucher kommen und ältere, gebildete. Bei sozial schwächeren oder bildungsferneren Schichten ist die Veränderung noch nicht so deutlich zu spüren. Aber das ist etwas, das wir ja gerade auch wollen. Der Schlüssel liegt also nicht allein im freien Eintritt.

Was tun Sie dafür, um diese Menschen auch zu erreichen?

Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass nicht nur unsere traditionellen Kommunikationswege – wie Programmhefte und Flyer – von den Menschen genutzt werden. Wir arbeiten in den letzten Jahren daher verstärkt mit neuen Strategien, vor allem mit Sozialen Medien. Darüber hinaus bieten wir Führungen kostenlos und nicht mehr nur in den europäischen Sprachen Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch an, sondern auch auf Arabisch und Türkisch und in leichter Sprache oder in Gebärdensprache.

Viele Länder haben versucht, den freien Eintritt für Museen wie in England zu etablieren, aber nirgends hat dieser sich durchgesetzt. Woran liegt das?

Darauf habe ich keine Antwort. Die Lokalpolitik sieht und schätzt den Nutzen und Wert unseres Konzepts. Klar ist, dass eine Stiftung das nicht auf Dauer tragen kann. Wir machen uns Gedanken, wie es nach diesen fünf Jahren weitergehen kann. Man kann nicht generalisierend sagen, wie dementsprechende Alternativkonzepte aussehen müssten, weil man nicht weiß, inwieweit die Eintrittsgelder in anderen Ländern dazu beitragen, dass Museen sich finanziell tragen. Aber ich weiß, dass auch andere Museen in Deutschland mindestens an einzelnen Tagen freien Eintritt anbieten und dafür werben. Die Frage ist aktuell und wird viel diskutiert.

Wie könnte eine Lösung für Deutschland aussehen?

Kultur und Bildung sind in Deutschland Ländersache. Das wird also in jedem Bundesland diskutiert werden müssen. Eine dauerhafte Lösung wird nur in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand möglich sein, und dann durchaus auch gemeinsam mit Sponsoren. Die Ausgaben für Kultur fallen unter die freiwilligen Leistungen der Städte und Gemeinden. Und für verschuldete Kommunen ist der Sparzwang besonders hoch, freier Eintritt hieße für sie, darüber hinaus noch auf Einnahmen zu verzichten. Solange die Frage lokal behandelt wird, auf kommunaler Ebene, liegt genau da das Problem.

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