Gebt Macht ab!
Die katholische Kirche macht sich auf einen "synodalen Weg". Sind Bischöfe und Pfarrer bereit, Macht abzugeben? Das ist entscheidend - auch in der evangelischen Kirche.
Tim Wegner
29.01.2020

Martin Luther schärfte den Christen ein: Niemand ist besser oder heiliger als andere, auch die Pfarrer und Bischöfe sind es nicht. Deshalb gibt es in der evangelischen Kirche zwar verschiedene Ämter und Funktionen, aber in den Gemeinden und Kirchenparlamenten entscheiden alle gemeinsam über den Weg der Kirche, ringen um ethische und theologische Positionen und darum, was mit welchem Geld finanziert wird.

Viele Katholiken in Deutschland beneiden die evangelischen Geschwister um die Mitspracherechte und haben nun auch in der katholischen Kirche einen "synodalen Weg" angestoßen: Zwei Jahre lang wollen 230 Bischöfe und Laien Antworten finden auf die drängenden Fragen, wie es weitergehen soll mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, mit der Sexualmoral, mit der zölibatären Lebensform der Priester und welche Rolle die Frauen künftig in der Kirche einnehmen. Dass sich alle Bischöfe auf den Weg gemacht haben, ist ein wichtiger Schritt. Denn am Ende wird entscheidend sein, ob die Kleriker bereit sind, Macht an die Laien abzugeben.

Doch ob auch alle Bischöfe den zweijährigen Weg mitmachen werden, ist nach der Auftaktversammlung Ende Januar fraglich. Denn schon in den ersten beiden Tagen zeigte sich, wie schwer es manchen Klerikern fällt, von ihrem herausgehobenen Status abzusehen. Während es viele Laien gerade gut fanden, dass beim Gottesdienst alle Delegierten gemeinsam in den Frankfurter Dom einzogen und bei den Debatten die Bischöfe das gleiche Rederecht hatten wie alle anderen auch, ging das dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki schon viel zu weit. Das habe nichts mit der hierarchischen Verfasstheit der katholischen Kirche zu tun, grimmte er ins Mikro des Kölner Dom-Radios. In Frankfurt sei eingetreten, was er befürchtet habe: "dass eine Art protestantisches Kirchenparlament implentiert wird".

Tim Wegner

Claudia Keller

Claudia Keller ist Chefredakteurin von chrismon. Davor war sie viele Jahre Redakteurin beim "Tagesspiegel" in Berlin.

Die evangelische Kirche hat zwar ihre Parlamente, doch auch hier hängt viel davon ab, ob Bischöfe, Kirchenämter, Pfarrerinnen und Pfarrer wirklich bereit sind, die Macht mit den ehrenamtlichen Kirchenvorständen und Synodalen zu teilen. Nicht wenige Kirchenvorstände werfen frustriert das Handtuch, weil Kirchengesetze, Bestimmungen aus dem Kirchenamt und Bauvorschriften ihnen keine Entscheidungsfreiheit und schon gar keinen Raum für Kreativität lassen. Oder sie merken, dass das Wort des Bischofs, Pastors oder Theologieprofessors eben doch mehr wiegt als das des "einfachen" Christen.

Viele Gläubige machen sich aber auch erst gar nicht die Mühe, mitzudiskutieren und selbst in die Bibel zu schauen, wie es Luther gefordert hat, sondern lassen sich aus Bequemlichkeit und Desinteresse einlullen von dem, was ihnen die Berufstheologen vorsetzen. Alle Seiten müssen sich verändern, wenn mehr Menschen mitbestimmen sollen. Und Kirchengesetze sind nicht für die Ewigkeit in Stein gemeißelt. Wo vielleicht öfter mal gestritten und auf gute Argumente eingegangen wird, da sind die Gemeinden lebendig und wagen auch mal was. Gremien zum Abnicken können sich die Kirchen - die evangelische wie die katholische - , die so dringend wie noch nie auf die Mitarbeit der Ehrenamtlichen angewiesen sind, auch gar nicht mehr leisten. 

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