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Die gesamte Absurdität von Zoos wurde mir kürzlich im Tierpark Berlin schlagartig bewusst. Ich stand vor dem Eisbärengehege, in dem die Tiere träge auf grauen Eisschollen aus Beton lagen, als hätten sie sich beim All-inklusive-Buffet überfressen. Neben mir stand eine Frau und hatte ihren Hund auf dem Arm. Der Dackel trug allen Ernstes eine Hundejacke von Gucci. Mir schoss durch den Kopf: "Haben wir Menschen eigentlich noch alle Latten am Zaun? Betonbären und Luxusdackel? Wie weit haben wir uns von der Natur entfremdet?" Die Künstlerin Candida Höfer hatte diesen Gedanken offensichtlich schon deutlich früher. Ihre Fotoserie "Zoologische Gärten" entstand in den 1990er Jahren. Dafür besuchte sie Zoos in unterschiedlichen Ländern und fotografierte alle möglichen Tiergehege.
Teilweise sind Höfers Fotos sehr skurril. Da gehen Pinguine gemeinsam in Richtung Fütterung und sehen dabei aus wie eine Horde Geschäftsleute, die sich morgens in die U-Bahn drängen. Auf einer anderen Aufnahme steht eine Giraffe in ihrem Gehege und frisst. An die Wand ist eine Savanne gemalt, als würde sich die Giraffe für unsere peinliche Pinselei interessieren. Aber am meisten fasziniert mich das Foto mit dem Tiger im Washingtoner Zoo. Ich besitze den Bildband dieser Fotoserie und habe dieses Werk Dutzende Male angestarrt.
Ich frage mich oft, warum ich dieses Foto so sehr mag. Aber ich habe auch einen einfarbig grauen Desktop-Hintergrund, offenbar gefällt mir Tristesse und das Foto strotzt nur so davon. Der Tiger hält sich am Rand des Wasserbassins fest, als hätte er gerade sein Seepferdchen gemacht. Um ihn herum ist hauptsächlich Beton und spärliche Vegetation. Dieses wilde, agile Tier – eingesperrt in graue Lebensfeindlichkeit. Seine Lage ist völlig aussichtslos. Das Foto kommt so subtil daher und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Das Gehege des Tigers könnte auch ein heruntergekommenes Stadtviertel sein oder die Wand in einem Hipsterloft mit Sichtbeton. Und genau das wird in Candida Höfers Fotoserie deutlich: Zoos sind in der Architektur häufig Städten nachempfunden. Tiere tapsen dort durch die Gegend, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit, sie steigen Stufen empor oder watscheln auf Fliesen entlang. Es ist Höfers große Stärke, Orte und ihre Wirkung einzufangen. Die Künstlerin ist bekannt für ihre Fotoserien von Bibliotheken, Konzerthäusern, Cafés und Museen. Nie ist dort ein Mensch zu sehen und doch ist das menschliche Handeln immer präsent – so auch in den Zooaufnahmen.
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Candida Höfer ist eine Meisterin des Dokumentierens, kühl und exakt. Das ist typisch für die sogenannte Becher-Schule, aus der Höfer stammt. Ab den 1970er Jahren prägten Bernd und Hilla Becher die deutsche Fotografie maßgeblich. Sie machten Architekturaufnahmen in Schwarz-Weiß und bedienten sich dabei der sachlichen Ästhetik von Journalismus und Naturwissenschaft. Die Fotos sind dermaßen nüchtern, als hätte ein Sachbearbeiter im öffentlichen Dienst seine kreative Ader entdeckt. Dieser Einfluss ist bei Candida Höfer deutlich zu sehen, denn sie studierte bei Bernd Becher an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Höfer hat den besonderen Blick, in Beiläufigkeiten tiefere Ebenen zu erkennen. Ihre Serie "Zoologische Gärten" ist kein touristisches Geknipse, es sind Fotos, die berühren und Fragen aufwerfen: Haben wir die bekannte Bibelstelle "Macht euch die Erde untertan" zu wörtlich genommen? Wie verbessern wir unser Verhältnis zur Natur? Und müssen Hunde wirklich Gucci tragen?
Jakob Schwerdtfeger ist Kunsthistoriker und Comedian. Alle Auftritte unter www.jakob-schwerdtfeger.com