chrismon: Niger 2010, Mali 2012, Ägypten 2013, Burkina Faso 2014 – Afrika ist der Kontinent der gewaltsamen Regierungsstürze. Warum?
Antonia Witt: Es hat natürlich nicht den einen Grund. In vielen Fällen gab es vorher breite gesellschaftliche Bewegungen, die sich gegen die amtierenden Regierungen richteten, aber keinen Erfolg hatten. Dann machen sich meist militärische Kräfte die gesellschaftliche Unzufriedenheit zu eigen.
Antonia Witt
Sie forschten für Ihre Doktorarbeit zur „Anti-Putsch-Norm“ der AU. Was ist das?
Die Norm wurde in der Lomé-Deklaration von 2000 formuliert: In der AU sollen nur Regierungen anerkannt werden, die verfassungsmäßig an die Macht gekommen sind und nicht etwa über Wahlbetrug oder einen Putsch die staatliche Kontrolle erlangten.
Das ist erst mal eine Absichtserklärung. Warum ist diese Norm so wichtig?
Weil die afrikanische Staatengemeinschaft damit an die Stelle eines Hüters demokratischer Ordnungen tritt und selbst auf die Einhaltung demokratischer Richtlinien pocht. Dabei sind die Staaten der AU nicht gerade als Vorreiter in Sachen Demokratie bekannt. Es erscheint zunächst verwunderlich, dass ausgerechnet sie so eine Norm formulieren.
Und funktioniert die Norm?
Die AU hat tatsächlich bisher in allen Fällen – 15 seit dem Jahr 2000 – reagiert, den Putsch verurteilt und die Wiederherstellung verfassungsgemäßer Ordnung gefordert. Durch erfolgreiche Vermittlungen konnten so etwa nach den Putschen in Madagaskar und Niger Übergangsregierungen eingesetzt und Neuwahlen organisiert werden. Übrigens legt die Staatengemeinschaft in den meisten Fällen Wert darauf, dass weggeputschte Präsidenten nicht einfach wieder ins Amt gehievt werden. Um langfristig Putsche zu vermeiden, soll nicht bloß die alte Ordnung wiederhergestellt werden, die ja meist selbst unter einem Legitimitätsdefizit litt.
Also stärkt diese Charta die Demokratie in afrikanischen Ländern?
Bedingt. Es ist gut, dass diese Norm überhaupt eine Debatte darüber anstößt, welche Wege an die Macht legitim sind. Das Verurteilen von Putschversuchen sowie eine ordnende Präsenz von afrikanischen Akteuren in den betroffenen Ländern, das gab es vorher nicht. Auch Sanktionen erweisen sich als hilfreich: Reiseverbote für Putschisten, ausländische Konten einfrieren.
Und was muss sich verbessern?
Drängende Fragen werden zu oft in die Zukunft verschoben. Der AU geht es primär darum, eine durch Wahlen legitimierte Regierung zu haben, mit der sie wieder kooperieren kann. Die Menschen vor Ort wollen aber oft etwas anderes, etwa die politische Teilhabe neu definieren, Fragen der Ressourcenverteilung innerhalb einer Gesellschaft klären. Manchmal geht es auch um Versöhnung. Das erfordert komplexere Lösungen als jene, die die AU bisher anbietet.