Reinhold Messner
Dirk von Nayhauß
"Durch das Klettern bin ich aus der moralischen Enge herausgestiegen"
Der Mensch ist zu schwach, um die Alpen kaputt machen zu können, sagt Reinhold Messner. Doch es gibt ein Aber
Dirk von Nayhauß
19.07.2016

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich auf Widerstände treffe. Ich habe das große Glück, dass ich anfangs immer gebremst werde, wenn ich versuche, mich auszudrücken. Weil es sehr viel Mühe kostet, gegen diese Windmühlen anzurennen, macht es mir natürlich besonders Freude, die Sachen trotzdem weiterzubringen.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Sich das Spielerische zu bewahren. Meine vierzehnjährige Tochter und ich, wir sind kürzlich einen sehr schwierigen Klettersteig gegangen. Ich hätte mich gar nicht getraut, das alleine zu machen. Mein Sohn ist ein sehr guter Kletterer, er ist mitgegangen, um im Notfall mit dem Seil zu sichern. Die Kleine fand das aber lustig, dort hochzugehen – viel lustiger als ich, der ich ja ein halber Profi bin. Wenn man älter wird, dann werden die Fehler leider auch mehr, wir verlieren diese spielerische, lockere Art.

Haben Sie eine Vorstellung von Gott?

Ich habe nichts dagegen, dass die Leute glauben und ihre Götter ernst nehmen. Doch alle Götter, die wir kennen, sind von menschlicher Fantasie produziert. Der Mensch hat keine Sinne, das Göttliche zu greifen – deswegen sagt Hölderlin „das Göttliche“ und nicht „Gott“. Bin ich draußen in der Wildnis, in einer groß­artigen Natur, habe ich natürlich ein Empfinden für das Er­habene. Es ist ja ein Teil der Faszination der Berge, dass sie in ihrer Dimension für uns Menschen unendlich sind.

Hat das Leben einen Sinn?

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A priori hat es keinen Sinn, es ist absurd. Sinn kann man nicht kaufen, wir geben Sinn, indem wir uns mit einer Sache intensiv beschäftigen. Bin ich ganz bei der Sache, bin ich mit jeder Faser, jedem Molekül in meinem Gehirn Sinn. Ich frage nicht mehr nach dem Sinn. Solange sich jemand fragt, ob das, was er gerade tut, Sinn ergibt, ist er völlig außerhalb meiner Lebensform. Mir geht es nicht darum, irgendwelche Rekorde oder Gipfel zu erreichen, ich will Ideen umsetzen, Träume realisieren. Ganz in diese Ideen hineinsteigen, selber diese Idee werden, den Rest völlig ausschalten, vergessen ist meine Kunst. Was ich ein gelingendes Leben nenne und andere vielleicht als Glück empfinden, passiert dann.

Muss man den Tod fürchten?

Ich hatte Erlebnisse, bei denen ich dem Tod nahe war. Meine ­Erfahrung sagt, dass er im letzten Augenblick ein Sich-in-den-Tod-fallen-Lassen ist. Der Tod rückt heute natürlich näher, aber es beunruhigt mich nicht. Einer meiner besten Freunde ist gerade gestorben. Er wusste schon lange, dass es zu Ende geht. Er ist in großem Frieden verstorben.

Macht der Mensch die Alpen kaputt?

Nein, der Mensch kann die Alpen nicht kaputt machen. Dafür ist er zu schwach. Man muss endlich verstehen, dass der Mensch seit der letzten Eiszeit die Alpen gestaltet hat, die Kulturlandschaft. Heute leben dort etwa 16 Millionen Menschen, sie müssen alle ein Auskommen finden. Für sehr viele von uns ist der Tourismus ­lebenswichtig. Es braucht auch Infrastrukturen: Vernünftigerweise werden Bahnen gebaut, Straßen, Holzwege. Ist es ein Unter­schied, ob ich eine Schneise in den Wald schlage, weil ich Holz verkaufen will oder um Skifahrer runterfahren zu lassen? Auch die Schneekanone ist kein Verbrechen, weil wir inzwischen festgestellt haben, dass der Boden dort, wo beschneit wird, lebendiger bleibt. Aber es sollte nur so hoch gebaut werden, wie die Bauern früher die Alpen genutzt haben. Nicht höher als 2200, maximal 2400 Meter. Es muss eine Grenze geben. Die Naturlandschaft ­darüber, jenseits dieser Grenze sollten wir genauso belassen, wie sie war und wie die Natur sie verändert.  

Was hat Sie stark gemacht?

Ich bin nicht stark, sondern habe mentale Kraft. Ich bin ein zerbrechlicher Mensch. Auch an anderen interessiert mich ihre Begrenztheit und nicht ihre „siegfriedhafte“ Stärke. Ich bin in einem versteckten Dolomitental aufgewachsen. Ein paar Bauern haben dort mit dem Pfarrer und dem Bürgermeister entschieden, wie die Leute zu leben hatten. Durch das Klettern bin ich aus dieser moralischen Enge herausgestiegen. Wäre ich ohne diese Widerstände groß geworden, wäre ich vermutlich ein anderer. Ihnen verdanke ich einen wesentlichen Teil meines „Erfolges“ – den ich in Anführungszeichen stelle. Ob wir auf die Berge heraufsteigen oder nicht, es bringt der Menschheit wenig, uns persönlich aber viel.

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Während Sie heute, wiederum, der selben Kirche als moralischer Aufhänger dienen. Der Kreis schließt sich. Natürlich haben sich die Bedingungen geändert, doch das Prinzip ist geblieben.
"Ob wir auf die Berge heraufsteigen oder nicht, es bringt der Menschheit wenig, uns persönlich aber viel. "
Jeder Mensch dichtet sich seine Wahrheit, so wie sie ihm eben passt, zurecht.

Danke , Herr Messner für Ihre offenen Worte.
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Mir persönlich gefällt ein solch egoistisches Lebenskonzept nicht, und in keinster Weise empfinde ich es als motivierend.