chrismon: Sie arbeiten an einem Computerprogramm, das Menschen bei Katastrophen warnen soll. Wie gehen Sie da vor?
Willi Wendt: Wir wollten erst einmal wissen, wie sich Warnungen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen verbreiten. Weil man das schlecht im echten Leben testen kann, haben wir ein Simulationsprogramm mit fiktiven Charakteren entwickelt. Es gibt zum Beispiel Kinder und Erwachsene, Hörende und Gehörlose. Man wählt eine Katastrophenregion aus und gibt Daten dazu ein – wie viele Leute ein Handy haben, ob so eine Katastrophe schon einmal passiert ist, wie stark der Bevölkerungszusammenhalt ist und so weiter. Entsprechend stattet das Programm die Charaktere mit Reaktionseigenschaften aus. Wenn man die Warnung an sie versendet, sieht man, über welche Kanäle sich die Meldung wie schnell verbreitet.
Woher weiß man denn, wie stark der Zusammenhalt in einer Region ist?
Sozialwissenschaftler erforschen seit langem Verhalten bei Katastrophen. Zum Beispiel nimmt man an, dass Dorfbewohner eher Nachbarn warnen würden. Die Beurteilung bleibt schwierig, aber das Programm hilft, Zusammenhänge besser zu verstehen.
Verbreiten sich Warnungen denn so unterschiedlich schnell?
Aus Kostengründen gibt es in Deutschland kein flächendeckendes Sirenennetz mehr, das die Menschen bei Katastrophen aufschreckt, so dass sie vielleicht den Fernseher einschalten. Aber wenn ich weiß, dass um 20 Uhr sowieso viele Leute fernsehen, könnte man mit Bildschirmwarnungen viel erreichen. In anderen Regionen oder zu anderen Uhrzeiten verbreitet sich die Meldung schneller per SMS. Oder ich merke, dass ich Polizisten in ein Dorf schicken muss, weil dort wenig ankommt.
Kann man mit dem Programm auch Meldungen an echte Menschen schicken?
Im Test funktioniert das schon, sogar grenzüberschreitend: Die Warnung erscheint automatisch in der Landessprache, angepasst an die vorhandenen Warnkanäle. Ob Regierungen das Programm später nutzen, ist aber unklar. Katastrophenschutz ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich geregelt.
Haben Sie schon Katastrophen erlebt?
Ich war 2002 wenige Stunden vor dem Hochwasser noch zu Besuch bei meiner Großmutter in Dresden. Die Flut hat mich schockiert, deshalb beschäftige ich mich mit Krisen.
###mehr-extern### Was soll Ihr Programm „Alert4All“ in den nächsten zehn Jahren erreichen?
Das Programm kann Kommunikationsmuster aus Internetseiten herausfiltern, die zum Beispiel Angst vor Hochwasser ausdrücken. Es wäre super, wenn man allen, die das äußern, direkt und gesammelt Anweisungen schicken könnte. Außerdem wäre es wichtig, unser Programm auch für Entwicklungsländer nutzbar zu machen. Wenn man nur Geld für zwei erdbebensichere Sendemasten hat, muss man wissen, wo sie wichtig sind.