Illustration: Sandra Beer
Mit meinen Steuern will ich keine Klimakiller und keine Menschenrechtsverletzer unterstützen, sagt die SPD-Politikerin Lale Akgün
11.06.2014

Früh am Morgen: Deutschland macht sich fertig für den Tag. Ein schickes oder lässiges Outfit, je nachdem, was der Tag so bringen wird. Ein kurzes Frühstück, wenigstens ­eine Tasse Kaffee oder ein Glas Orangensaft, ein Blick auf das Handy oder Tablet, wie das Wetter heute noch werden soll.

Wissen Sie, wo all diese Produkte herkommen? Wer hat sie unter welchen Be­dingungen hergestellt und dazu beige­tragen, dass Sie heute Ihren Kaffee, Ihren O-Saft trinken, Ihre Lieblingshose anziehen, Ihr Handy oder Tablet nutzen können? Bei all diesen Produkten ist es mehr als wahrscheinlich, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen – oft Kinder – ausgebeutet oder die Umweltstandards nicht eingehalten wurden.

Geltende Normen hinsichtlich Arbeitnehmerrechten, Umwelt- und Kinderschutz werden zwar in Europa größtenteils als Selbstverständlichkeit wahrgenommen; sie sind dies aber keinesfalls in zahlreichen Ländern der Welt, die über den Abbau von Rohstoffen und Naturgütern sowie über die Produktion und Weiterverarbeitung an der Herstellung unserer Konsumgüter beteiligt sind.

Wie Sie privat konsumieren, ist Ihrem Geldbeutel und Ihrem Gewissen überlassen. Doch wie sieht es bei Kommunen und Behörden bei der öffentlichen Hand aus? Sie kaufen mit Ihren Steuergeldern ein, selbstverständlich nach Recht und Ordnung. Und es geht dabei nicht allein um Büromaterial: Jenseits der klassischen Verwaltung beschafft die öffentliche Hand vom Schnuller fürs Kinderheim über das Skalpell im Krankenhaus bis zum Polizeihelikopter eigentlich alles, was Sie sich vorstellen können.

Und sie ist eine große Bauherrin: Sie baut Häuser, Autobahnen, Brücken. An jedem der durchschnittlich 220 Arbeitstage im Jahr kaufen Kommunen, Behörden, Hochschulen, Krankenhäuser, Kitas sowie andere öffentliche Einrichtungen mit über 30 000 Vergabestellen deutschlandweit für rund 1,6 Milliarden Euro ein. Im Jahr sind dies circa 360 Milliarden Euro. Die Euro­päische Union rechnet für Deutschland sogar mit einem Wert von 480 Milliarden Euro pro Jahr.

Nach welchen Regeln soll die öffentliche Hand ihren Bedarf decken? Bis vor einigen Jahren gestaltete sich dies noch einfach: den Wettbewerb fördern, Korruption verhindern und das günstigste Angebot nehmen – auch wenn billige Produkte nicht immer die qualitativ besten sind.

Über die Preisfrage schoben sich immer mehr ethische Aspekte in den Vorder­grund: Kann es eine Stadt akzeptieren, dass Kinder in indischen Steinbrüchen die Pflastersteine für den Marktplatz abgebaut haben? Sollten Polizei und Feuerwehr mit Uniformen ausgestattet sein, die unter ­menschenverachtenden und lebensgefährlichen Bedingungen hergestellt wurden? Berichte über die eingestürzte Nähfabrik im Rana Plaza (Bangladesch) und über die Verhältnisse beim langjährigen taiwanesischen Apple-Zulieferer Foxconn Electronics haben solche Missstände öffentlich gemacht. Darf also ein Industrieland wie Deutschland oder eines seiner Bundesländer gerade dort einkaufen, wenn sich seine VertreterInnen in öffentlichen Debatten gegen solche Missstände aussprechen und hierzu internationale Abkommen unterzeichnet haben?


"Die öffentliche Hand hat die Verantwortung, auf die Einhaltung der Menschenrechte zu bestehen."


Schon vor einigen Jahren haben unsere europäischen Nachbarn begonnen umzusteuern. Die Europäische Union berücksichtigt zunehmend ökologische und soziale Kriterien in ihrer Gesetzgebung. Auch die meisten Bundesländer haben in den vergangenen Jahren ihre Vergabegesetze entsprechend reformiert. So zählen Nordrhein-Westfalen und Bremen zu den ambitionierteren Ländern, wenn es um Nachhaltigkeitsaspekte wie die Einhaltung arbeitsrechtlicher Normen geht.

Die öffentliche Hand kann mit ihrer Kaufkraft weltweit Einfluss auf den Markt und damit auf Arbeits- und Produktionsbedingungen nehmen. Ihre Fürsorge macht aber an den Stadt- oder Landesgrenzen ­halt, sobald bei Waren-, Bau- und Dienst­leis­tungen dem Preis mehr Gewicht als den Menschenrechten eingeräumt wird.

Als Privatperson wie auch als Institution liegt es in unserer Verantwortung, ob wir beim Kauf von Waren auf die Herstellungsbedingungen achten und diese hinter­fragen. Für die öffentliche Hand gilt dies umso mehr: Wer Menschenrechte achten und Solidarität leben will und dies von ­seinen Bürgerinnen und Bürgern erwartet, muss einen solchen Wandel vorleben.

Kein Staat oder Bundesland darf tolerieren, dass für die Erfüllung seiner Aufgaben und zum Zwecke des Gemeinwohls seiner Bürger Menschen anderer Länder ausgebeutet, verletzt oder missbraucht werden. Auch sie haben das universelle Recht auf menschenwürdige und freiheitliche Lebensverhältnisse. Die öffentliche Hand hat daher die moralische Verantwortung, bei ihrem Einkauf auf die Einhaltung der Menschenrechte zu bestehen.

Dafür müssen aber auch die Bürger aktiv werden: Fragen Sie bei den politischen Vertretungen Ihrer Stadt nach oder machen Sie Ihr direktes Umfeld darauf aufmerksam! Wenn Sie im Kindergarten darauf aufmerksam machen, dass das Spielzeug möglicherweise mittels Kinderarbeit hergestellt wurde, sensibilisieren Sie die Kindergärtnerin, die es wiederum an Vorgesetzte und Verantwortliche heranträgt.

Zu wissen, wofür Ihre Stadt Ihre Steuergelder ausgibt, wie Ihre Stadt ausschreibt und was dafür getan wird, um nachhaltig zu beschaffen: Das bereits ist ein wichtiger Beitrag, um die Menschenrechte beim Einkauf zu wahren.

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