Dirk von Nayhauß
"Wir brauchen Geld zum Leben, aber wir sollten nicht für Geld leben"
Sie hatte mindestens 30 Mal Malaria, reist an etwa 300 Tagen im Jahr durch die Welt und ist froh, dass sie die Gegenwart der spirituellen Kraft nicht verneint: die Wissenschaftlerin Jane Goodall.
Dirk von Nayhauß
19.04.2013

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich irgendwo draußen in der Natur bin. Wenn ich mit einem Hund am Strand entlangwandere, auf Klippen oder durch den Wald – ich will dann keine Zivilisation sehen. Manchmal muss ich mir etwas vormachen, denn vielleicht ist eine Straße nah, aber ich will sie wenigstens nicht sehen. Ich fühle dann ­einen Frieden in mir, bin weit weg von dem fürchterlichen Rattenrennen des modernen Lebens. Ich bekomme Abstand zu den Zerstörungen, die der Mensch in der Natur anrichtet, und fühle mich mit ihr verbunden. 

Was kann der Mensch von Schimpansen lernen?

Ich habe beobachtet, wie Schimpansen mit ihren Jungen herumtollen, und als ich selbst Mutter wurde, wollte ich diese Freude auch mit meinem Sohn empfinden. Schimpansen führen uns auch vor Augen, wie prägend die ersten Erfahrungen eines Kindes sind, wie enorm wichtig eine gute Mutter ist. Am Verhalten der Jungtiere kann man sehen, ob sie eine gute oder weniger gute Mutter haben. Eine gute ist liebevoll und verspielt. Sie ist tolerant, kann aber auch für Disziplin sorgen. Sie beschützt und unterstützt ihr Junges, ist aber nicht übermäßig beschützend.

An welchen Gott glauben Sie?

An keinen speziellen, aber ich spüre etwas, das transzendent ist. Ich fühle das sehr stark, wenn ich draußen in der Natur bin: diese gegenseitige Verbindung, diese Lebenskraft. Ich weiß nicht, ­warum Menschen die Gegenwart dieser spirituellen Kraft oft so heftig verneinen wollen. Ich bin froh, dass ich sie nicht verneine. Und der Glaube hilft in schwierigen Zeiten. Wenn du daran glaubst, dass dieses Leben nicht die einzige Chance ist, die wir bekommen, ist es leichter, manches hinzunehmen. Wir brauchen Hilfe, um durch dieses Leben zu kommen.

Hat das Leben einen Sinn?

Ich will den Menschen Hoffnung geben. Deswegen reise ich 300 Tage im Jahr durch die Welt. Eigentlich verrückt, aber ich habe viel Energie. Wir haben die Weisheit verloren, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Verbindung zwischen unserem allzu klugen Gehirn und dem Herzen ist getrennt. Der Intellekt des Menschen hat sich in den vergangenen Jahrtausenden geradezu explosiv entwickelt. Doch das intelligenteste Wesen, das je den Planeten bevölkert hat, zerstört nun sein einziges Zuhause. Immer geht es nur ums Geld. Klüger wäre es zu fragen, wie eine heutige Entscheidung das Leben meiner Kinder, Enkel und Großenkel beeinträchtigen könnte.

Muss man den Tod fürchten?

Ich hatte mindestens 30-mal Malaria, einmal vermutlich auch Denguefieber, und da war ich zum Teil nahe dran zu sterben. Ich hatte aber keine Angst. Ich glaube, dass der Tod ein großes Abenteuer ist. Ich will nicht sterben, aber ich bin total neugierig. Wir wissen ja nicht, was kommt! Ich habe das Gefühl, dass der Tod nicht das Ende ist, dass es irgendwie weitergeht. Als mein zweiter Ehemann starb, hatte ich eines Nachts ein sehr merkwürdiges ­Erlebnis. Es war, als wäre Derek im selben Raum, und er erzählte mir lauter sehr positive Dinge. Ich dachte, ich müsse ­das aufschreiben, doch dann hörte ich ein lautes, stürmisches Rauschen und alles um mich herum wurde schwarz. Es fühlte sich an wie der Tod. Noch immer dachte ich: Ich muss das aufschreiben – es gelang mir nicht. Aber es blieb ein Gefühl des Friedens, der Ruhe. Seitdem kann ich seinen Verlust viel besser annehmen.

Sind Schimpansen dem Menschen wirklich so ähnlich?

Ja, sie sind uns sehr ähnlich, für mich sind Schimpansen eigentlich keine Tiere. Sie sind einander zugewandt, sie halten sich an den Händen; sie können aber auch brutal sein und sogar Art­genossen töten. In dem Film „Schimpansen“ kann man die gute, altruistische Seite sehr schön beobachten, wenn Freddy den ­kleinen Oskar adoptiert. Das alte Männchen trägt Oskar auf ­seinem Rücken herum, knackt Nüsse für ihn und teilt nachts sein Nest mit ihm. Schimpansen können Empathie zeigen, ich bin mir sicher, dass Freddy Mitgefühl für Oskar empfindet.

Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?

Ich habe einen unerfüllbaren Traum, aber ich träume gerne von dem Unmöglichen. Ich will eine kritische Masse von Kindern, die verstehen, dass wir Geld zum Leben brauchen, aber nicht für Geld leben sollten.

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Das herkömmliche Gottesbild ist überholt. Es gibt keinen allmächtigen Gott. Sondern in der Natur gibt es ewig verborgene Dinge. Wenn es Reformen in der Kirche gibt, kann der Niedergang der Kirche aufgehalten werden. Mehr dazu auf meinem Blog (bitte auf meinen Nick klicken).

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Geld ist heute Religion und Ontologie. Es ist kaum vorstellbar, in welchem Maße das Bedürfnis nach immer mehr Geld unser gesamtes Leben durchdringt. Auch Jane Goodall sitzt in diesem Strudel, wenn sie zum Beispiel das ganze Jahr in der Welt herumreist. Übrigens ist es problematisch, „von Tieren zu lernen“. Denn lernen können wir nur nach Maßgabe der Begriffe, die wir schon haben. Und so mancher „lernt“ von den Tieren nicht nur den liebevollen Umgang des Muttertieres mit seinen Jungen, sondern auch den Mechanismus von Fressen und Gefressenwerden oder das Prinzip „Der Stärkere setzt sich durch“. Statt unsere Prinzipien selektiv-biologistisch dem Tier- und Pflanzenreich abzuschauen, sollten wir sie besser im menschlichen Geist suchen und von dort aus argumentativ Fleisch werden lassen.