Eine Kindheit in den 60er Jahren
Tim Wegner
23.11.2020

Oh ja, den Kindern der 1960er Jahre war oft langweilig! Aber immer nur kurz. Denn es gab derart viele Verbote. Also ebenso viele Übertretungs-Abenteuer. Eigentlich konnte man alles immerzu nur falsch machen. Dazu diese launischen Erwachsenen, die allerlei mit sich herumtrugen und darum höchst rätselhaft sich verhielten. Geheimnisse allüberall.

Man muss selbst gar nicht in den 60ern aufgewachsen sein, um Freude an diesem Buch von Sabine Peters zu haben. Denn die Autorin, die auch schon mal mit dem Evangelischen Buchpreis ausgezeichnet worden ist, macht einem letztlich vor, wie man sich erinnern kann an das eigene Kindsein, das Lebensgefühl damals, die Aufregungen. Schon diese Autofahrten. Die Besuche bei Verwandten. Oder wie oft man sich vorstellte, jemand könne einen jetzt sehen - der angeschwärmte Deutschlehrer etwa könnte rein zufällig zusteigen -, also guckte man die ganze Zugfahrt über ernst, würdig und sehr innerlich.

Meisterhaft beschreibt Sabine Peters das bürgerliche Familienleben in den 60er Jahren, zugleich ist ihr Buch überaus poetisch. Manchmal auch einfach böse. Der Vater sagt: "Merkt euch das für den Rest des Lebens. Die Töchter nickten für den Rest des Lebens."

Wer jetzt Ende 50, Anfang 60 ist, kennt natürlich einige Details aus eigener Anschauung: dass die Kinder in der Lesefibel Hans, Suse, Rolf hießen, dass Hosen mit Bordüren verlängert wurden, dass in den Kachelkellern von Burgen und Schlössern strickende Klofrauen saßen, dass man sich sehr gern aus der Wohnung schlich und draußen geradezu verdünnisierte, also verschwand; dass man beim Gummitwist "Kommando Hüfte" rief, Schmuck aus Silberdraht bastelte und dass viele Familien im Advent zu Bastel-Manufakturen wurden.

Nicht zuletzt: dass man andere Kinder mit dem "Brennnesselgriff" quälen konnte. Aber der wird heute wohl immer noch so heißen.

 

Produktinfo

Sabine Peters: "Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt". Roman, Wallstein Verlag 2020, 184 Seiten, 20 Euro

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