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Wann hat er zum ersten Mal bemerkt, dass seine Mutter zu viel trinkt? Schon als kleines Kind habe es Situationen gegeben, "da schaute sie immer so komisch und ich wusste: Jetzt geht es wieder los", sagt Stephan Kosch.
Als er zehn war, war ihm längst klar, worum es geht: Alkohol, zu viel Alkohol: "Ich habe immer wieder leere Flaschen hinter dem Sofa gefunden." Einmal hat er den Schnaps in einer Flasche ausgekippt und durch Spülmittel ersetzt: "Doch dann hatte ich ein schlechtes Gewissen und habe es sofort gebeichtet." Die Mutter reagierte mit Schweigen, dann mit einer Wuttirade: Das bisschen Alkohol sei ihr einziger Trost; wehe, wenn der Sohn sich noch einmal vergreifen würde ...
Wenn Stephan Kosch, Jahrgang 1968, heute von seiner Kindheit erzählt, kommen immer noch dunkle Gefühle hoch. Es waren viele Jahre Therapie nötig, bis er sich selbst und anderen gegenüber eingestehen konnte, dass seine Mutter schwer alkoholkrank war und damit seine Kindheit geprägt hat. Heute spricht er offen darüber. Seit einigen Jahren verantwortet der Journalist die Öffentlichkeitsarbeit der Hilfsorganisation Nacoa. Das Kürzel steht für "National Association for Children of Addicts" (Nationale Organisation für Kinder suchtkranker Menschen). 1983 hat sich die Organisation in den USA gegründet, Nacoa Deutschland ist seit 21 Jahren aktiv. Ihre Hauptaufgabe ist, lokale Vereine zu vernetzen.
Schätzungen gehen davon aus, dass jedes fünfte Kind in Deutschland betroffen ist. Die Dunkelziffer ist groß. Oft leiden die Kinder still, wollen die Eltern, ihre Familie nicht bloßstellen. Auch bei Stephan Kosch war das so. Und leider hat ihn nie jemand auf das Thema angesprochen - obwohl der Hausarzt und die Lehrerin Bescheid wussten, sagt er. Erst als er in einer evangelischen Jugendgruppe mitmachte, kam die alles erlösende Frage: "Sag mal, was stimmt eigentlich bei deiner Mutter nicht?" Aber da war Stephan Kosch schon in der Pubertät.
Wenn die Kinder allein gelassen werden, können die Folgen dramatisch sein. Gut ein Drittel von ihnen wird selbst süchtig; ein weiteres Drittel entwickelt eine andere psychische Störung. Lediglich ein Drittel schafft den Weg in ein stabiles Erwachsenenleben - so wie Stepahn Kosch.
"Du bist nicht allein", "Du bist nicht schuld", das sind die beiden wichtigsten Botschaften für Kinder aus suchtkranken Familien. In Berlin gehen Katharina und Marianne von Nacoa in die Kitas und bringen die Stoffhandpuppe "Fluffi" mit. Sie spielen mit den Kindern, werben um Vertrauen, damit sie sich öffnen können, organisieren Fortbildungen. Sucht, ob Alkohol oder andere Drogen, kommt übrigens in allen sozialen Schichten vor.
Stephan Kosch hat "Glück" gehabt, wie er heute sagt. Anders als seine drei älteren Geschwister, die an den Folgen einer eigenen Sucht gestorben sind. Sie alle drei, so weiß er, hätten ein anderes Leben leben können.
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