In der ersten Folge der Serie stellt sich Pia vor. Lesen Sie hier.
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Ich quäle mir ein gesundes Frühstück rein, ziehe meine ‚Fuck Cancer‘ Socken und den Pulli mit der Aufschrift ‚NÖ‘ an. Meine Rüstung, die mir meine Freundinnen vor meinem Chemomarathon geschenkt haben.
Heute findet die 15. von insgesamt 16 Chemositzungen statt. Innerlich und äußerlich gestärkt betrete ich das Krankenhaus. Der Chemoraum ist mit acht Sesseln und einer Bar bestückt, an der es Wasser, Tee, Kaffee und Kekse gibt. Mittlerweile zieren Nikoläuse und Schlitten, Lichterketten und Engel die Fensterbänke und versuchen, der Umgebung etwas mehr Glanz zu verleihen, was nur in Maßen gelingt.
Pia Pritzel
Ich fläze mich in einen roten Wellness-Chemo-Sessel, werde von einer Schwester über meinen Port an den Tropf angeschlossen und die Medikamente laufen in meine Vene. By the way: Ein Port ist ein kleines, unter der Haut implantiertes System, das einen dauerhaften Zugang zu einer Vene ermöglicht. (Zitat Google).
Um der Nebenwirkung Polyneuropartie (Nervenschäden in Händen und Füße) vorzubeugen und die Chemosession noch etwas gemütlicher zu gestalten, trage ich Kühlhandschuhe und Kühlschuhe. Durch die Kälte ziehen sich die Adern zusammen und so soll erreicht werden, dass die Medikamente die Extremitäten nur in gemilderter Form erreichen.
Im Chemoraum kennt man sich. Manche haben Kuscheltiere zur Unterstützung dabei. Manche hören Musik. Manche schlafen. Wir bauen uns gegenseitig auf, machen uns Mut: ‚Nur noch vier Mal Chemo. Das wird!‘ Eine Erkrankte verteilt kleine Kärtchen auf denen ‚Sonne für die Taschenhose‘ steht. Wir sind alle erschöpft. Wissen, dass ein Marathon hinter und vor uns liegt. Doch hier und jetzt verbinden wir uns. Das Gemeinschaftsgefühl lässt uns leichter fühlen - für den Moment.
Nach Beendigung der Chemo klettere ich benommen aus dem Sessel. Und die restliche Woche wird sich wieder vollkommen nach den Nebenwirkungen meiner lebensrettenden Therapie richten: Schaffe ich es montags zum Töpfern? Werde ich diese Woche genug Konzentration haben, um arbeiten zu können? Muss mein Kind von der Kita abholen lassen oder reicht meine Kraft? Jeder Tag anders.
Fast ein halbes Jahr saß ich regelmäßig donnerstags auf dem roten Sessel im Krankenhaus. Mitte Dezember wird meine letzte Therapie sein. Und dann? So wie das Weihnachtsfest mit Erwartungen und Hoffnungen aufgeladen ist, so ist es auch das Ende der Chemo.
Wann werden die Nebenwirkungen, die maßlose Erschöpfung und die Matschbirne, nachlassen? Werden sie überhaupt jemals ganz weggehen? Werde ich bald wieder Sport machen können? Wird das Ende der Chemo auch eine Stabilisierung meiner mentalen Gesundheit mit sich bringen?
Doch so wie man die Stimmung an der gedeckten Weihnachtstafel nicht steuern kann, wie offenbleibt, ob allen das Essen schmeckt, die Geschenke gefallen und sich ein Gefühl von Weihnachtszauber einstellt, so wenig kann ich voraussehen, was nach der letzten Chemo mit mir geschehen wird. Am Ende ist es die Hoffnung auf einen schönen Jahresabschluss, der beides vereint. Und diese Hoffnung gebe ich nicht auf.



