Amor mal anders
Kampfansage an den Kitsch
Der Liebesgott der Malerin Sally von Kügelgen ist im Voodoo-Modus. Da bekommt das Wort "Herzschmerz" eine intensive Bedeutung
Amor
"Amor, einen Pfeil in ein Herz stechend" von Sally von Kügelgen
Kunstpalast, LVR-ZMB/Joshua Esters/Artothek
Pierre Jarawan
15.12.2025

Dieses Bild ist eine Kampf­ansage an den Kitsch! Wenn es um den Liebesgott Amor geht, wird es in der Kunstgeschichte schnell mal etwas schnulzig und die Werke mutieren zu gemalten Versionen von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten". Doch bei der Künstlerin Sally von ­Kügelgen ist das anders, ihr Amor schießt nicht mit der ­Liebe um sich.

Nein, auf ihrem Gemälde stochert er mit einem Pfeil in einem echten fleischigen Herz herum, als wäre es Voodoo. Wenn man dieses Bild sieht, bekommt das Wort "Herzschmerz" noch mal eine intensivere Be­deutung. Um Amor herum liegt außerdem ein zer­rupfter Blumenstrauß, was es als Werbemotiv für den Blumenhandel eher ungeeignet macht.

In der antiken Mytho­logie wird Amor gar nicht so romantisch beschrieben, wie wir ihn uns heute oft vorstellen. Er verschießt ­seine Pfeile ohne Rücksicht, ob dabei Beziehungen in die Brüche gehen, und treibt mit der mächtigen Liebe gern sein Unwesen. Dargestellt wird er hingegen häufig als lockiges Engelchen – jung, unverdorben, unschuldig.

Pierre Jarawan

Jakob Schwerdtfeger

Jakob Schwerdtfeger, Jahrgang 1988, ist Kunsthistoriker und Comedian. 2023 erschien sein Buch "Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist Kunst" (dtv). Er tritt in vielen Museen auf und lebt in Frankfurt am Main.

Das Gemälde "Amor, einen Pfeil in ein Herz stechend" ist einzigartig und bildet auch im Schaffen der deutschbaltischen Malerin Sally von Kügelgen eine Ausnahme. Ansonsten malte sie eher klassische Porträts und religiöse Szenen. Ihr Amorgemälde entstand um 1890 und befindet sich seit 2018 im Düsseldorfer Kunstpalast

Kurz nach dem Ankauf musste das Museum restauratorisch tätig werden, weil die Signatur aus unerklärlichen Gründen übermalt worden war. Unten links auf dem Bild liegt nämlich ein kleiner Zettel, auf dem die Künstlerin ihre Unterschrift geschickt platziert hat, als wäre es eine Art Post-it-Notiz.

In Düsseldorf wurde das Gemälde zuletzt großartig präsentiert – auf einer elegant verzierten Tapete, die in heftigem Kontrast zu dem recht brutalen Bild steht. Dieses ist voraussichtlich ab April 2026 wieder in der Dauerausstellung zu sehen.

Ein Sinnbild für enttäuschte Gefühle

Der Kunst­palast arbeitet gern mit Irritationen, so ­wurde dort vor kurzem der sogenannte Grumpy ­Guide ins ­Leben gerufen. Das sind Führungen von einem Performancekünstler, bei denen das ­Publikum angeschnauzt und unfreundlich behandelt wird, wie es sonst in manch "urigen" Gaststätten der Fall ist.

Endlich erhält die Pöbelei Einzug in die heiligen ­Hallen der Kunst, und die Leute ­lieben es. Der ­Grumpy ­Guide ist ein ­großer Erfolg und ein heißer Anwärter auf den Traumjob des Jahres 2025.

Apropos grumpy, auch Amor wird in der Kunst manchmal schlecht gelaunt dargestellt. Aus dem Umkreis des italienischen Barockmalers Guido Reni gibt es ein Werk, das den Gott der Liebe zeigt, wie er seinen Bogen frustriert über dem Knie zerbricht. Es ist ein Sinnbild für enttäuschte Gefühle.

Ein anderes ungewöhnliches Werk stammt von dem deutschen Jugendstilkünstler Franz von Stuck, das "Amor imperator" als knuffigen König zeigt, ein kleiner Junge mit Krone, Pfeil und Bogen, gehüllt in einen Umhang, der an ein umgewickeltes Bettlaken erinnert. Sally von Kügelgen reiht sich also ein in eine kleine Tradition von skurril gemalten Liebesgöttern – passend zum Fest der Liebe.

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