Tantra-Sex
Wie eine Yoga-Sekte junge Frauen manipuliert
Was als spirituelle Sinnsuche begann, wurde für viele Frauen zum Albtraum: Die Journalistin Katja Paysen-Petersen zeigt, wie die Yogasekte Atman junge Frauen in ihren Bann zog
Hände auf dem Gesäß einer Frau, die auf einer Yogamatte übt
David Fuentes Prieto / Getty Images
undefinedDaniela Hillbricht
11.11.2025
8Min

Die Journalistinnen Katja Paysen-Petersen und Christiane Hawranek haben vor kurzem das Buch "Toxic Tantra - Machtmissbrauch und Manipulation im Yoga" veröffentlicht. Es zeigt die Gefahr einer sektenähnlichen Yogabewegung auf, die sich "Atman" nennt und zu deren Dachverband Yogaschulen in 29 Ländern der Welt gehören. Laut der Evangelischen Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen kommt die Bewegung auf 40.000 Mitglieder und ist auch in Deutschland aktiv.

Das Buch, das neben Gesprächen mit Betroffenen auch auf investigativer Recherche beruht, enthüllt die Machenschaften der internationalen sektenähnlichen Yogabewegung Atman: Junge Frauen wurden systematisch manipuliert, gebrainwashed und dem alten Guru Gregorian Bivolaru zu stundenlangen Tantra-Sex-Ritualen zugeführt. Katja Eifler sprach mit einer der Autorinnen.

chrismon: Wie sind Sie auf die Yogabewegung Atman aufmerksam geworden?

Katja Paysen-Petersen: Wir machen für den Bayerischen Rundfunk eine Podcast-Reihe, die sich in jeder Staffel um eine bestimmte sektenhafte Gruppierung dreht. Eine Hörerin sprach uns an und erzählte von ihren Erlebnissen in einer Yogaschule in München. Dort wurde sie von ihrem Yogalehrer angeworben, den Guru der Yogabewegung Atman in Frankreich zu treffen, und sie hatte da auch Sex mit ihm, den sie im Nachhinein als Missbrauch empfindet. Das war bei ihr über zehn Jahre her.

Wir dachten: War das ein Einzelfall, oder finden wir weitere Betroffene? Passiert so etwas auch heute noch? Im Rahmen unserer Recherche ergab sich der Kontakt zu einer Frau, die in Finnland lebte und ebenfalls betroffen war. Sie beschrieb uns das Ausmaß der Gruppierung: Jetzt gerade, meinte sie, lebten Hunderte von Frauen in einer Art sexuellen Sklaverei.

Nach dem ersten Podcast zum Thema bekamen wir viele Zuschriften, vor allem von Frauen, die selbst in der Bewegung waren. Eine davon ist Protagonistin in unserem Buch. Sie war zehn Jahre lang an der Deutschen Akademie für traditionelles Yoga in Berlin und hat Dinge berichtet, die dem Ganzen noch mal eine Krone aufsetzen.

Im Buch erzählen zwei weitere Frauen und ein Mann, alle Aussteiger, ihre Geschichte. Die Recherche zeigt Sexarbeit auf. Und die Rolle der Männer in dieser Yogabewegung wird beleuchtet. Wir blicken hinter die Mechanismen der Manipulation: Wie kommt es dazu, dass du wirklich am Ende Dinge tust, wo du dir denkst: Mein Gott, das kann mir doch nicht passieren. Aber es passiert doch.

Katja Paysen-Petersen arbeitet als Journalistin fürs Storyteam des BayerischenRundfunks.Sie ist Reporterin, Autorin Podcast-Host und arbeitet als dramaturgische Beraterin.Julia Knoblauch

Katja Paysen-Petersen

Katja Paysen-Petersen arbeitet als Journalistin fürs Storyteam des Bayerischen Rundfunks. Sie ist Reporterin, Autorin Podcast-Host und arbeitet als dramaturgische Beraterin.

Warum haben Sie sich entschlossen, auch investigativ tätig zu werden?

Weil die Presse vorher so gut wie gar nicht dazu berichtet hatte in Deutschland. Das liegt unter anderem daran, dass die Yogabewegung Atman schnell mit Klage droht. Man braucht viel Zeit für die Recherche, Belege, mehrere Quellen, um wirklich wasserdicht zu sein.

Sie konnten immer mehr ehemalige Mitglieder gewinnen, mit Ihnen zu sprechen. Wie ist das gelungen?

Vertrauen ist wichtig. Wir haben uns viel Zeit genommen und stundenlange Gespräche geführt. Einige wollten zunächst, dass die Informationen unter uns bleiben. Wir waren sehr offen in Bezug auf unser Konzept. Allen war klar, dass wir keine Sex-Story erzählen, sondern aufklären wollen über die Gefahr dieser Bewegung.

"Ihr Bauchgefühl sagte ganz klar: Nein"

Katja Paysen-Petersen

Eine der Protagonistinnen mit geändertem Namen ist Lilly. Bei ihr gibt es Momente, in denen sie tatsächlich noch selbst in der Lage ist zu reflektieren, dass das, was sie tut, irgendwie sehr seltsam ist. Und zwar als sie erstmals ein Bikinifoto von sich an den Guru Gregorian Bivolaru schicken soll. Sie weiß, dass sie das eigentlich nicht will, und macht es dann trotzdem. Können wir als Außenstehende diese Art der Manipulation überhaupt nachvollziehen?

Das ist wirklich schwierig. Gerade Männer schrieben uns nach der Veröffentlichung des Podcasts: "Hättet ihr euer Hirn halt angeschaltet! So naiv kann man doch gar nicht sein." Aber genau so läuft die Manipulation ab: Du kommst erst da rein und denkst, das ist eine ganz normale harmlose, vielleicht auch eine coole, hippe Yogaschule. Und die Leute sind so nett und auf deiner Wellenlänge. Lilly wurde quasi mit Liebe überschüttet. Ein erster Schritt der Manipulation.

Die Grenzen werden dann nach und nach immer weiter überschritten. Als Lillys Periode ausblieb und sie deswegen verzweifelt war, bat sie ihre Yogalehrerin um Rat, und die meinte: Schreib doch mal unserem spirituellen Lehrer. Er ist sehr weise und kann dir sicher helfen. Du müsstest ihm nur ein Foto von dir im Bikini oder in Unterwäsche schicken, dann kann er deine Aura lesen – und gesundheitliche Probleme feststellen. Ihr Bauchgefühl sagte ganz klar: Nein. Aber später hat sie es trotzdem gemacht, weil es in der Schule anscheinend völlig normal war. Tantra und Yoga gehen ja oft ein bisschen über die eigenen Grenzen.

Ein Mann definiert sich in dieser Yogabewegung unter anderem durch die Größe seines Geschlechtsorgans. Was passiert mit den Männern in der Bewegung?

Die jungen Männer treffen in der Yogaschule auf einen Überschuss an jungen, meistens attraktiven Frauen. Und diesen Frauen wird nach Lehre der Yogabewegung Atman beigebracht, dass es gut ist, mit mehreren Partnern "Liebe zu machen". Für viele Männer war das ein echtes Paradies. Aber auch sie wurden zu Betroffenen, weil sie für die Yogaschule "Karma Yoga" eine Form von freiwilliger Arbeit betreiben.

Unser Protagonist im Buch sollte 40 Stunden ehrenamtlich arbeiten, um im Ashram der Schule in Berlin leben zu können. Das sei gut für sein Karma, hieß es. Und letztendlich wird den Männern ein Männerbild vermittelt, wie es der Guru Grieg lebt, Gregorian Bivolaru. Obwohl der aktuell in Haft ist, scheint es mir deshalb wahrscheinlich, dass schon bald ein neuer "Grieg" erwacht, der die Yogasekte Atman weiterführt.

Lesetipp: Woran erkenne ich eine Sekte?

Sie schreiben von stundenlangen tantrischen Sexritualen, die viele Betroffene im Nachhinein als Sex ohne echten Konsens empfinden und als Ausbeutung durch Sexarbeit vor der Kamera. Versuchen Mitglieder, da wieder rauszukommen? Und agiert diese "Sekte" besonders gut im Geheimen?

Es gibt sehr viele Leute, die versuchen auszusteigen. Wir haben mit über 40 Frauen und Männern gesprochen, die den Ausstieg geschafft haben. Vielen fiel das schwer, weil ihnen eingetrichtert wurde, dass die Medien oder die ganze Außenwelt als satanische Kräfte wirken, die ihnen nur etwas Böses wollen. Dann zu sagen, ich gehe zu den "Bösen", ist nicht leicht.

Azrael, unser Protagonist, war teilweise immer noch in dieser Geisteshaltung gefangen. Er hat uns erst mal ausgeräuchert, als wir ihm begegnet sind, vielleicht auch, um negative Energien zu vertreiben. Diese Yogasekte agiert nicht im Geheimen: Es gibt Schulen in Berlin, in München, in Freiburg, die sind nach wie vor offen, und sie haben nach wie vor Leute, die hingehen.

"Jeder ist irgendwo verwundbar"

Katja Paysen-Petersen

Yogakurse sind der Einstieg in diese Bewegung, aber Yoga ist doch gesund und macht Freude?

Yoga ist super. Es ist ein guter Sport und eine ansprechende Lebensphilosophie. Wir haben aber viele Menschen getroffen, die sagten, sie seien ähnlich manipuliert worden, eben nicht nur in dieser Yogasekte, sondern zum Beispiel von ihrem Yogalehrer.

Diese Szene bietet ein Einfallstor für Manipulation und Missbrauch, weil es um Nähe geht. Wenn dich jemand in der Haltung korrigiert, berührt er dich und die Grenzen zerfließen. Es ist ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Oft kommt auch noch Esoterik dazu. Ich war auch in einem VHS-Kurs, das tat gut, aber die Lehrerin war esoterisch angehaucht. Dagegen spricht ja erst mal nichts, aber manchmal geht es dann zu weit. Und zu sehen, wo ist die Grenze, wo ist der Kipppunkt, das ist nicht so einfach.

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Spricht die Bewegung also eine bestimmte Menschengruppe an, typische Opfer?

Das ist ein großer Irrglaube. Zu Beginn meiner Recherche in Sektenmilieus hatte ich auch dieses Vorurteil: Die da reingeraten sind, sind klassische "Opfer" oder naiv. Aber nach den Gesprächen mit Betroffenen und auch aus dem, was Sektenexperten immer wieder erzählen, weiß ich: Es kann wirklich jeden von uns treffen.

Jeder ist irgendwo verwundbar. Man ist gerade einsam, auf Sinnsuche oder will erfolgreicher und glücklicher sein. Wir haben Eigenschaften, die uns anfällig machen, und es gibt Dinge, die ziehen uns an. Manche, die Tantra machen, wollen schlicht erfüllenden Sex.

Die Leute, mit denen wir geredet haben, waren sehr gebildete Menschen. Bezeichnend war auch, dass wir mit einer Journalistin gesprochen haben, die auch undercover recherchiert hat und trotz ihres Wissens selbst irgendwann in einer Sex-Sekte gelandet ist.

"Es ging mir nahe, diese jungen Frauen zu sehen, die ihr Leben noch vor sich haben"

Katja Paysen-Petersen

Gab es einen Moment, in dem Sie bei Ihrer investigativen Recherche an die eigenen Grenzen gestoßen sind?

Ja, wir waren mal zu dritt in einem Stripclub in Rumänien und haben checken wollen, ob dort Leute aus der Yogabewegung Atman arbeiten. Und ich dachte die ganze Zeit: Oje, wir fliegen auf, und was passiert dann? Da waren nicht nur Frauen, sondern auch große, muskelbepackte Männer.

Und es ging mir nahe, diese jungen Frauen zu sehen, die ihr Leben noch vor sich haben, aber diesen Dreck mitmachen, weil sie dahin manipuliert werden. Auch Lilly aus unserem Buch wirkte immer total rational, ruhig, auch wenn sie über intime Details sprach. Sie muss es abgespalten haben, weil es ein Trauma war. Und dann gab es den Moment, in dem sie erzählte, wie sie ihren Freund angelogen hat. Sie fing an zu weinen. Das ging uns nahe.

Sie wurden schon nach Ihrem Podcast angefeindet. Ich frage mich, was folgt aufs Buch?

Ja, da bin ich auch gespannt. Uns wurde schon vorgeworfen, wir seien toxische Journalisten und betrieben eine Schmierenkampagne, unsere Protagonisten bekämen große Summen an Geld, um mit uns zu sprechen.

Lesen Sie hier: Ist Yoga eine Religion?

Ihr Buch hat auch ein extrem ausführliches Glossar, das Begriffe erklärt. Warum war Ihnen das wichtig?

Gerade in der Yogaszene gibt es zahlreiche Begriffe, von denen viele nicht die Bedeutung kennen. Wir wollen Aufklärungsarbeit leisten. Wir erläutern nicht nur Begriffe wie Gaslighting oder Love Bombing, sondern wir geben auch Red Flags, also Warnhinweise, aber auch Green Flags: Woran erkenne ich eine gute Yogaschule?

Der Guru sitzt aktuell in Haft, es gab Fahndungserfolge. Wie erklären Sie sich, dass diese Bewegung immer noch weitermachen kann?

In Deutschland ist Manipulation kein eigener Straftatbestand. Das macht es schwierig, Beschuldigte auf juristischem Wege zu verfolgen, denn die Frauen, mit denen wir gesprochen haben, sagen ja selber von sich, sie hätten jeden Schritt freiwillig getan. Sie haben immer zugestimmt, vor dem Treffen mit dem Guru ihr Handy und ihren Ausweis abzugeben.

Und sie haben zugestimmt, mit ihm Sex zu haben. Aber sie sagen halt auch, es war eigentlich nicht freiwillig, es war erzwungen, weil sie dahin manipuliert wurden. In Frankreich ist das ein eigener Straftatbestand, und das erhöht die Chance, dass Beschuldigten dort ein Prozess gemacht wird.

Zuerst erschienen auf evangelisch.de, redaktionell bearbeitet von chrismon

Infobox

Christiane Hawranek und Katja Payson-Petersen:
Toxic Tantra – Machtmissbrauch und Manipulation im Yoga
Econ Verlag, 336 Seiten, 19,99 Euro

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