Rechtsextreme und Religion
Woran glaubt Björn Höcke?
Der AfD-Politiker verachtet die Kirchen. Doch das Wahlprogramm der Thüringer AfD beschwört den "Geist des Christentums". Was steckt dahinter? Interview mit dem Höcke-Biografen Frederik Schindler
Der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke bei einem TV-Interview während des AFD-Parteitages 2024 in Essen
Der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke bei einem TV-Interview während des AFD-Parteitages 2024 in Essen
Rafael Heygster/laif
Lena Uphoff
15.10.2025
7Min

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Björn Höckes Vater Religionslehrer war. Welche Rolle spielte die Religion in seiner Kindheit und Jugend?

Frederik Schindler: Höckes Mutter ist katholisch, sein Vater war evangelisch. Zu Hause wurde bei den Mahlzeiten gebetet. Ihm wurde der Glauben an ein Leben nach dem Tod und die christliche Idee der Erlösung nähergebracht. Höcke ist getauft und wurde im Alter von 14 Jahren im Jahr 1986 in Anhausen im Westerwald konfirmiert.

Konnten Sie mit dem damaligen Pfarrer über Höcke sprechen?

Der Pfarrer, der Björn Höcke konfirmiert hat, ist 2023 verstorben. Seinem Nachfolger erzählte er, Höcke sei ein normaler Konfirmand gewesen, ein freundlicher und eloquenter Jugendlicher. Umso mehr war der Pfarrer erschrocken, was aus ihm geworden ist.

Dieses Muster scheint sich zu wiederholen. Sie berichten im Buch davon, dass viele Schüler des späteren Lehrers Höcke Ähnliches erzählen …

Ja. Er war sowohl bei Mitschülern als auch bei Kollegen beliebt. Er wurde mehrmals als Vertrauenslehrer gewählt und hat sich dafür auch gegen Konkurrenz durchgesetzt. In vielen Abiturzeitungen finden sich positive Sätze über ihn. Er hat sich zwar auch damals schon politisch rechts geäußert, aber er war den Schülern gegenüber offen und galt als guter Gesprächspartner. Und er hat sich auch bei privaten und psychischen Problemen der Jugendlichen eingesetzt.

Elias Keilhauer

Frederik Schindler

Frederik Schindler ist Journalist und berichtet seit 2018 über die AfD. Seit der Bundestagswahl 2021 ist er als Redakteur im Ressort Innenpolitik für die AfD-Berichterstattung der "Welt" und "Welt am Sonntag" verantwortlich.

Wie denkt Björn Höcke heute über das Christentum?

In dem Gesprächsband "Nie zweimal in denselben Fluss" aus dem Jahr 2018 erzählt Höcke, dass ihm das Christliche, das ihm vermittelt wurde, letztlich fremd geblieben sei. Es habe in den Geschichten der Bibel zu viel Wüste und zu wenig Wald gegeben. In Vorbereitung auf die Konfirmation habe er sich dann noch einmal bemüht, dem Christentum nahezukommen. Aber es sei ihm nicht gelungen.

Würden Sie Höcke als Atheisten sehen?

Laut Selbstaussage ist Höcke das nicht. Er sagt, er glaube, dass es eine unerklärliche göttliche Macht gebe, dass er das Christentum auch für Nächstenliebe, Demut und Gnade schätze und der christliche Glaube Trost spenden könne.

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Nächstenliebe, Demut und Gnade? Das hört sich nicht nach Höcke an …

Das sind Begriffe, die überhaupt nicht zu seiner völkischen, nationalistischen und geschichtsrevisionistischen Ideologie passen. Die ist sehr stark mit Ausgrenzung von anderen verbunden. Wenn ich seine Schriften analysiere, dann sehe ich: Er wünscht sich eine ethnisch möglichst homogene völkische Gemeinschaft. Da gelten Nächstenliebe, Demut und Gnade höchstens für ethnisch Deutsche.

Woran glaubt Höcke dann?

Es gibt ein Gespräch mit dem AfD-Politiker Maximilian Krah, in dem die beiden über Gott sprechen. Krah fragt ziemlich konkret, ob Höcke an Gott glaube. Höcke antwortet, er sei im Studium seiner Glaubensgewissheit verlustig gegangen, weil er sich intensiv mit Philosophie beschäftigt habe. Letztlich sei er bei einer Art Deismus gelandet – also der Vorstellung, Gott habe die Welt geschaffen, sie dann aber sich selbst überlassen. Er begründet das auch damit, dass ein Gott ja für eine gerechtere Welt sorgen müsste, also mit der Theodizeefrage. Und er sagt: Einer der Schwachpunkte des Christentums sei, dass die Toleranz letztlich zur Selbstaufgabe führen könne.

Was meint er damit genau?

Die beiden reden im Gespräch dann über den vermeintlichen "Schuldkult" der Deutschen. Mit dem Begriff aus der extremen Rechten wird eine aufgeklärte Auseinandersetzung der Deutschen mit der Verbrechensgeschichte ihrer Vorfahren in der Zeit des Nationalsozialismus verächtlich gemacht.

Redet er manchmal über germanische Religion?

Er hat seinen vier Kindern Namen aus der nordischen und germanischen Mythologie gegeben. Der Kult um den germanischen Helden Arminius und der Mythos, die Germanen seien die "Vorfahren der Deutschen", spielen bei ihm eine wichtige Rolle. Das knüpft an Nationalsozialisten an, die Arminius zum "Urahnen des deutschen Volkes" stilisierten. Gegenüber seinen Lehrerkollegen begründete Höcke seine Nähe zur Natur gelegentlich auch mit germanischen Mythen. In der Schule fiel er zudem immer wieder mit einem Thorshammer auf, den er als Anhänger um den Hals trug. Der sogenannte Mjöllnir wurde in der völkischen Szene des 19. Jahrhunderts getragen und gilt seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene als Symbol der völkischen Verbundenheit – wird aber auch auf unpolitischen Mittelaltermärkten angeboten.

Er hat also christliche und germanisch-heidnische Einflüsse in seinem Denken?

Er sagt konkret, es brauche einen Glauben, "der das Heilige aus dem Christentum und den Heldenmut aus dem Heidentum vereint".

Was sagt er zu den Kirchen?

Für ihn haben die Amtskirchen in Deutschland versagt, denn sie schafften es nicht mehr, in Krisenzeiten inneren Halt zu geben. Die Kirchen seien in einem "schlimmen Zustand", schreibt er in seinem Buch. Der Klerus habe "seine Glaubensautorität verloren und sich vom Volk immer mehr entfremdet", die Pfarrer würden dem Volk "teilweise sogar regelrecht feindselig gegenüberstehen".

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Und wie sieht es im Wahlprogramm der thüringischen AfD in Bezug auf die Kirchen aus?

Dort ist der Bezug zum Christentum deutlich positiv. Dieses habe die europäische Kultur "zutiefst geprägt". Das angebliche "Freiheitsdenken" der AfD sei vom "Geist des Christentums durchdrungen".

Frederik Schindler: Höcke. Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht. Herder, 272 Seiten, 22 Euro.

Wie steht Höcke eigentlich zum Judentum?

Seine Reden enthalten immer wieder antisemitische Stereotype. Immer wieder lehnt er sich an NS-Vokabular an, etwa wenn er von "Politikflöhen", "Heuschrecken" und "Kraken" spricht – oder von "Volksverderbern", "1000 Jahren Deutschland", der "Tat-Elite", "Umvolkung", "Gleichschaltung" und dem "entarteten Finanzkapitalismus". Dem jüdisch-ungarischen Finanzinvestor George Soros schreibt er einen "völkerauflösenden und perversen Geist" zu. Den jüdischen Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, stellt er als Puppenspieler und Strippenzieher dar. Höckes völkischer Antikapitalismus, in dem er eine unlogische moralische Trennung zwischen Real- und Finanzkapital vornimmt, ist ebenfalls strukturell antisemitisch.

Was sagt er zum Thema Israel?

In Bezug auf den Gaza-Krieg fordert Höcke die AfD zur Neutralität auf. Man müsse "keine Lösungen für Konflikte in fernen Ländern liefern", da man nicht in außenpolitischer Verantwortung sei. Es gelte "Deutschland zuerst". Im Juni sprach Höcke im Thüringer Landtag über den israelischen Angriff auf das iranische Nuklearwaffenprogramm. "Die Selbstverständlichkeit, mit der Israel zu den Waffen greift, ist abgesichert durch eine exzellente Lobbyarbeit in den militärisch entscheidenden Ländern, allen voran den USA", sagte er damals. "Manchmal ist jede Seite die falsche." Eine deutsche Position sei es, "die Souveränität Deutschlands zurückzugewinnen". Man dürfe "geschichtspolitisch nicht mehr erpressbar sein". Höcke bediente damit das Narrativ, Israel instrumentalisiere die Erinnerung an die Shoah, um Deutschland in eine "moralische Geiselhaft" zu nehmen.

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Wie steht Höcke zum Islam?

Das zentrale Feindbild der Neuen Rechten ist nicht der Islam, sondern der Liberalismus – also eine vermeintliche westliche Dekadenz, die die Gesellschaft zersetzt habe. Dieses Weltbild fußt auf einem völkischen Ethnopluralismus. Gegen islamisch begründete und islamisch legitimierte Gewalt- und Unterdrückungsverhältnisse hat Höcke also nichts einzuwenden, solange diese nicht in Deutschland stattfinden. Er fordert einen "Ausstieg aus der internationalen ‚Anti-Islam-Koalition‘". Auch bezüglich islamistischer Symbole wie der Vollverschleierung in Deutschland spricht Höcke nicht etwa von Frauenrechtsverletzungen. Es sei der "falsche Weg, diesen Frauen ihre kleidungsmäßigen Gepflogenheiten auszutreiben, sondern man sollte darüber nachdenken, die Zahl der hier lebenden Muslime zu verringern", schreibt er in seinem Buch. Das würde die "jeweiligen kulturellen Eigenarten achten".

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Das bedeutet, es kann für ihn eigentlich keine deutschen Muslime geben?

Höcke sagt einerseits, er könne sich mit einer "ganzen Zahl von äußerst sympathischen, freundlichen und gesitteten Muslimen" ein langfristiges Zusammenleben vorstellen. Andererseits wird aus zahlreichen seiner Reden deutlich, dass selbst viele deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund nicht zu seinem Volk dazugehören. Etwa die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz – 1967 in Hamburg geboren und seit 1989 Deutsche – habe "in unserem Land nichts verloren", sagt er.

Wie steht Höcke zur Gewalt als Mittel der Politik?

In Bezug auf eine Massenabschiebung von Migranten sagt er voraus, die "neue politische Führung" – der er natürlich selbst angehören will – werde "schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen". Bei dem "großangelegten Remigrationsprojekt" werde man um eine Politik der "wohltemperierten Grausamkeit" nicht herumkommen. "Das heißt, dass sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden." Höcke deutet zudem an, dass nicht nur Migranten von seinem "Remigrationsprojekt" betroffen sein würden. Er kündigt einen "möglichen Aderlass" an: Man werde "leider ein paar Volksteile verlieren, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen", schreibt er.

Wie verhält er sich zu Trump?

Höcke ist Antiamerikaner. Er sieht die USA als Kernland eines angeblichen "Regenbogenimperiums", Russland hingegen als "natürlichen Partner". Wenn er sich zwischen "globalistischem Westen" und dem "traditionellen Osten" entscheiden müsste, wähle er den Osten, sagte er in einer Rede im Jahr 2022. In Trump sieht er allerdings in einigen Punkten einen Bündnispartner, unter anderen beim Thema Meinungsfreiheit. Es sei noch unklar, ob Trump sich "gegen den ‚Deep State‘ durchsetzen kann und auch wirklich will", raunte Höcke nach Trumps Wahl in verschwörungsideologischem Ton. Im Raum stehe allerdings die Chance einer "weltpolitischen Zäsur". Trump werde "noch einmal ordentlich aufräumen".

Wie gefährlich ist Höcke Ihrer Meinung nach?

Höcke ist kein Opportunist, sondern ein Überzeugungstäter. Seine politischen Überzeugungen sind eine Gefahr für die Demokratie, für Minderheiten und politische Gegner – auch wenn es ihm von Thüringen aus sicherlich erst mal nicht gelingen dürfte, das gesamte politische System der Bundesrepublik zu stürzen. Aber er hat bereits jetzt Macht, nicht zuletzt durch seinen Einfluss innerhalb der immer stärker werdenden AfD.

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