Der österreichische Autor, Lehrer und Journalist Niki Glattauer entschied sich für einen assistierten Suizid – und wollte damit auch eine öffentliche Debatte über würdevolles Sterben anstoßen
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Assistierter Suizid
Welche Würde beim Sterben?
Der Autor Niki Glattauer kündigte seinen assistierten Suizid in einem Interview an, er wünschte sich mehr Aufmerksamkeit für "würdiges Sterben". Doch wir sollten nicht übersehen, welche Rolle die Palliativmedizin dabei spielen kann. Ein Kommentar
Tim Wegner
11.09.2025
5Min

Ein wichtiger Hinweis vorab: Der folgende Text handelt von einem Menschen, der Suizid begangen hat. Falls Sie selbst Suizidgedanken haben, nehmen Sie bitte Hilfe in Anspruch. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar unter 0800-1110111 und 0800-1110222.

Am 4. September ist Niki Glattauer, ein in Österreich bekannter Journalist, Lehrer und Schriftsteller, mit 66 Jahren gestorben. Er beging assistierten Suizid. Eine Ärztin und eine Krankenschwester, die für die "Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende" arbeiten, stellten ein tödlich wirkendes Mittel bereit; Angehörige waren bei ihm, als er starb.

Er hatte seinen Tod in einem Interview öffentlich angekündigt, "ich möchte die Menschen darüber informieren, dass man auch in Österreich selbstbestimmt sterben kann, wenn man unheilbar krank ist", sagte er. So bekomme das Thema würdiges Sterben mehr Aufmerksamkeit. Glattauer wirkt in dem Interview gefasst, gelöst, mitunter heiter. Er hinterlässt Sohn und Tochter, 16 und 22 Jahre. Beide hätten seine Entscheidung mitgetragen, erzählte Glattauer.

Eigentlich verbietet es sich, in einem Kommentar über die persönlichen Motive von Niki Glattauer zu urteilen, zumal, wenn man ihm nie persönlich begegnet ist. Doch er wollte ja genau dies: eine Debatte. Glattauer litt unter Gallengangkrebs. Manche Erkrankte sterben binnen Monaten. Wenn es gelingt, den gesamten Krebs herauszuoperieren, leben bis zu 40 Prozent der Betroffenen fünf Jahre nach dem Eingriff noch.

Überwiegt die Angst vor einem Leben als Kranker?

Offenkundig hatte er Angst vor einem qualvollen Tod, das ist absolut nachvollziehbar. Im Interview erzählte er: "Meine Tante ist an Krebs gestorben und hat sehr gelitten. Meine Großmutter ist an Krebs gestorben. Meine Ex-Frau ist Krankenschwester auf der Geriatrie und dadurch tagtäglich mit Leuten konfrontiert, die gefühlt ein halbes Leben lang sterben, weil sie nicht zu Tode kommen wollen oder können. Aber ich wollte nie so sterben."

Leseempfehlung: Er hat einen Hirntumor, unheilbar. Wie ist das, wenn alles, was man erlebt, das letzte Mal sein könnte?

Glattauers Tod hat auch in Deutschland eine Debatte erneut befeuert, die seit 2020 immer wieder aufflammt. Damals urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: "Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen (...) und umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen." Seitdem ist es die Aufgabe des Bundestages, einen rechtlichen Rahmen zu setzen, der dem Urteil gerecht wird.

Der Bundestag könnte beispielsweise ins Gesetz schreiben, dass sich Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen, zuvor beraten lassen müssen. So hat es Österreich geregelt. Doch bisher hat sich dafür keine Mehrheit gefunden. Glattauer forderte in seinem letzten Interview eine Debatte über den assistierten Suizid ein. Die Überschrift über dem Interview im österreichischen Magazin "Falter" lautet: "Ich will in Würde sterben." In diesem Gespräch beschreibt Glattauer, was er nicht als würdevoll empfindet: Man hätte ihn noch operieren können, hätte aber vieles "wegschneiden" müssen. "Dann kann ich nicht mehr essen, wie ich will, nicht mehr trinken, wie ich will, nicht mehr leben, wie ich will. Bewegen kann ich mich seit einem Jahr schon nicht mehr, wie ich will. So will ich nicht leben." Zudem sei er herzkrank und müsse an der Hüfte operiert werden.

"Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, möchten nicht sterben – aber sie wollen so, wie sie leben, nicht mehr weiterleben"

In einem katholischen Krankenhaus habe man ihn gebeten durchzuhalten. Das habe er nicht gewollt. Am österreichischen Gesundheitssystem übte er scharfe Kritik: "Wir haben Krankenschwestern, die wir schlecht bezahlen, und daher kriegen wir auch keine. Und jetzt liegst du also dort, hast keine Familie, die sich im Spital um dich kümmert, kriegst nicht das Essen, das dir schmeckt, sondern wirst dreimal am Tag von einer Krankenschwester besucht, von der du spürst, die hat keine Zeit für dich." Sei das ein würdiges Sterben?, fragte er rhetorisch.

In der Suizidprävention gibt es diesen wichtigen Grundsatz: Menschen, die sich das Leben nehmen wollen, möchten nicht sterben – aber sie wollen so, wie sie leben, nicht mehr weiterleben. Man kann den Entschluss von Niki Glattauer auch so interpretieren: In einer Gesellschaft, die etwas gegen Einsamkeit unternimmt und in der das Gesundheitssystem nicht auf Effizienz und Kostenersparnis getrimmt ist, hätte er vielleicht weiterleben mögen. Das ist ein trauriger Gedanke, den man aber nicht einfach beiseiteschieben sollte.

Schwierig am Fall Niki Glattauer finde ich, dass er fast schon als Werbung für den assistierten Suizid verstanden werden kann. Nach Nikis Tod sagte dessen Bruder Daniel Glattauer, ein auch hierzulande bekannter Schriftsteller, in österreichischen Medien: "Wir haben im Kreis der Familie einen schönen letzten Abend miteinander verbracht. Wir haben Karten gespielt, gegessen, getrunken, gelacht und geweint. Am Donnerstagvormittag ist er daheim friedlich, entspannt, ohne Ängste und ohne Schmerzen vor unseren Augen eingeschlafen. Seine letzten Worte waren: 'Schön. Wow!'"

Beim Suizid gibt es kein Zurück

Wenn es um assistierten Suizid geht, liest oder hört man allerdings wenig darüber, dass es dabei auch zu Problemen kommen kann, die für alle Beteiligten hoch belastend sind. Und nein, Niki Glattauer ist nicht "eingeschlafen". Er ist gestorben, nun ist er tot und einen Weg gegangen, von dem es kein Zurück mehr gibt. Derart geplant aus dem Leben zu gehen, selbst den Termin des eigenen Todes festzulegen – das bereitet mir ein anhaltendes Störgefühl. Wie mögen Freunde und Angehörige empfinden? Auf Menschen, die an Depressionen leiden, kann Glattauers Weg wie ein Weg der Erlösung wirken. Dabei kann man depressiv erkrankten Menschen gut helfen. Deshalb sollten wir alles daran setzen, psychische Probleme früh zu erkennen und flächendeckend Anlaufstellen zu schaffen.

Niki Glattauer hatte Angst vor Schmerzen und Qualen. Das ist verständlich, aber seine Schilderungen lassen schnell vergessen, welch große Fortschritte die Palliativmedizin gemacht hat. Die Versorgung am Lebensende ist mittlerweile so gut, dass niemand mehr qualvoll ersticken oder unerträgliche Schmerzen leiden muss. In Letzte-Hilfe-Kursen können Menschen überall in Deutschland lernen, ihren Liebsten bis zum Ende beizustehen. In Hospizen kümmern sich Menschen um Sterbende und versuchen, ihnen bis zum Schluss Lebensqualität zu bieten.

Niki Glattauer hat uns die wichtige Debatte hinterlassen, was Würde in unserer hochmodernen Welt bedeutet. Und wie man würdevoll sterben kann – auch ohne den assistierten Suizid.

Infobox

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Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar: 0800-1110111 und 0800-1110222, alternativ auch per Chat nach kurzer Anmeldung. Für Kinder und Jugendliche gibt es die "Nummer gegen Kummer" 116111, für Eltern 0800-1110550. Das muslimische Seelsorgetelefon "MuTeS" ist unter 030-443509821 erreichbar. Speziell an Männer richtet sich die Website www.maenner-staerken.de. Weitere Informationen und spezialisierte Beratungsstellen finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

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