chrismon: Ihr Buch heißt: "Mensch. Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten". Warum lieben Sie die Menschen?
Michel Friedman: Wenn ich dem Menschen nicht mehr vertraue, vertraue ich mir selbst nicht. Ein Mensch, der sich selbst nicht vertraut, wird zynisch, betrachtet alles mit Ablehnung. Es kostet so viel Kraft, daraus wieder Zuneigung zu machen. Wer dem Leben nicht traut, muss sich die Frage stellen: Was ist das für ein Leben? Meine Menschenliebe hat aber auch etwas mit Erfahrung zu tun: Ich habe Oskar Schindler erlebt, der meine Eltern und viele andere vor der Schoah gerettet hat. Es gibt mich nur deswegen. Es gibt auch heute Hunderttausende, Millionen Menschen, die sich engagieren. Von den Stolpersteinen bis zu Hilfsangeboten für geflüchtete Menschen. Kann ich solche Menschen ignorieren? Natürlich nicht. Sie geben mir und uns Kraft.
Aber vertrauen ist ja noch mal was anderes als lieben?
Es bleibt mir nichts anderes übrig. Ich habe nur den Menschen. Natürlich kann ich Tiere lieben und die Natur, aber am Ende habe ich nur den Menschen, und ich bin ein Teil dieser Menschheit. Und ich bin nun fast 70 und immer wieder überrascht worden von Menschen, denen ich begegnet bin. Wenn wir die Idee der Liebe aus dem romantischen Kontext herausnehmen, wenn wir sie auch aus dem theologischen herausnehmen, dann fällt unser gesamtes Zusammenleben darauf zurück. In diesem Sinne liebe ich Menschen.
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