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Was ist das für ein Vertrauen, das du da hast? – So lautet eine Frage in der jüdischen Bibel, dem Alten Testament der Christenheit. Ein feindlicher Feldherr stellt sie an den König und an die Bewohner einer belagerten Stadt. Die wollen sich nicht ergeben, obwohl doch ihre Lage für sie vollkommen aussichtslos ist. Dennoch hoffen sie unbeirrt auf Rettung (2. Buch der Könige 18,19).
Aus dieser Vertrauensfrage stammt auch das Motto des Deutschen Evangelischen Kirchentags, der im Juni 2019 in Dortmund stattfindet: "Was für ein Vertrauen." In diesem Motto bleibt bewusst offen, ob es eine Frage ist oder ein staunender Ausruf oder eine verwunderte Feststellung. Ein Satzzeichen am Schluss fehlt. Was für antike Städte gilt, ist für offene Gesellschaften nicht so viel anders. Auch hier brauchen Menschen Vertrauen. Die Quellen und Kräfte des Vertrauens werden allerdings zunehmend fraglich. Ein Zeichen dafür: politische Denunziationsportale im Internet. Auch manche Bewertungsportale, zum Beispiel für Ärzte oder Firmen, lassen vermuten, dass hier jemand eine Rechnung offen hat.
Annette Kurschus
Es ist eine merkwürdige Sache mit dem Vertrauen. Einerseits ist es eine Selbstverständlichkeit. Ohne Vertrauen könnte ich keinen Fuß vor die Tür setzen. Ich käme über keinen Zebrastreifen, könnte in keinen Zug steigen und auch keinen Tee trinken, den ich nicht selbst gepflanzt, gepflückt und gekocht hätte. Mit jedem Schritt, jedem Atemzug, jedem Bissen und jedem Schluck vertraue ich. Und immer wieder wird es belohnt.
Vertrauen ist ein empfindliches Pflänzchen. Erschreckend schnell droht es zu verdorren. Das gilt zwischen einzelnen Menschen, aber auch politisch, ökologisch, ökonomisch. Das wissen wir spätestens seit den Banken- und Finanzkrisen der 2000er Jahre. Ihr könnt Vertrauen haben – diese Aufforderung erwies sich als Werbeslogan in einer dreisten Lügenmaschine. Mit einem Mal ging einer ganzen Weltwirtschaft die harte Währung Vertrauen aus.
Vertreter, Journalisten und Politiker stehen in der Vertrauensskala weit unten
Regelmäßig informieren Umfragen darüber, welchen Berufsgruppen die Menschen am meisten vertrauen. Ganz oben auf der Liste rangieren jedes Mal die Feuerwehrleute. Dicht gefolgt von Sanitätern, Pflegern und Ärztinnen, Lokführern und Piloten. Pfarrerinnen und Pfarrer stehen etwas besser als mittelmäßig da. Immerhin. Ziemlich weit hinten kommen dann Versicherungsvertreter und Medienleute. Weit abgeschlagen: die Politikerinnen und Politiker. Mir fällt auf, dass Vertrauen anscheinend dort besonders hoch ist, wo man sich besonders abhängig fühlt. Das ist eine gute Nachricht. Denn wenn’s brennt oder der Blinddarm bricht, muss ich mich ganz und gar auf andere verlassen und kann selbst gar nichts tun. Und dann funktioniert es auch mit dem Vertrauen.
Diese Liste macht mich dennoch nachdenklich. Denn das Kleingedruckte in Versicherungsverträgen lesen, mich in den Medien gründlich über das Weltgeschehen informieren, mitdenken, nachfragen – all das könnte ich durchaus selbst. Es ist aber deutlich anstrengender, als die vertrauten Klischees über die üblichen Verdächtigen zu bestätigen, Klischees wie: "Die denken eh nur an ihre Vorteile" und "Die belügen uns sowieso". Ist das tiefe Misstrauen an dieser Stelle Folge der eigenen Bequemlichkeit?
Wo Menschen Wahrheit und Recht beugen, wo sie Macht missbrauchen und Schutzbefohlene ausnutzen, sind höchste Wachsamkeit und deutliche Kritik angebracht. Dazu gehören allerdings auch der Respekt vor anderen und die Bereitschaft zu eigener Verantwortung. Nur wo im Respekt voreinander Vertrauen gepflegt und gemeinsam erkämpft wird, kann es wachsen und gedeihen.