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Der 9. November - Reichspogromnacht. In unserer alten Heimatstraße hatte ich an diesem Tag eine feste Aufgabe: Ich putzte den Stolperstein vor unserem Haus. Mal halfen mir Nachbarn beim Putzen, mal stellte jemand eine Kerze auf. Ein kleines und schönes Ritual.
Als wir 1997 in die Wohnung einzogen lag noch kein Stein vor der Tür. Das Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig existierte zwar schon zwei Jahre, doch in Hamburg begannen die ersten Verlegungen erst 2002. Unser Haus, ein Nachkriegsbau, lag direkt am Grindelviertel, dem einstigen jüdischen Zentrum der Hansestadt. Als unsere Söhne klein waren, "stolperten" wir oft über die kleinen goldenen Vierecke auf unserem Weg in den Kindergarten. Wir entzifferten die Namen und wir Eltern versuchten den Kindern zu erklären, was geschehen war.
2006 begann mein Mann mit einer Recherche zu unserer Adresse. Auch wenn der Altbau nicht mehr stand, so waren die Grundstücksgrenzen noch die gleichen. Im Hintergarten gab es einen Absatz im Rasen. Bis dahin, das erzählte uns eine ältere Nachbarin, die den Krieg erlebt hatte, erstreckte sich der damals riesige Altbau. Wer hatte hier vor dem Morden der Nazis gelebt? Hatte es jüdische Menschen im Haus gegeben, die von hier aus deportiert worden sind? Mein Mann kontaktierte die Hamburger Stolperstein Organisation. Er verbrachte Stunden im Staatsarchiv mit dem Abgleich von Steuer- und Meldelisten und konnte so recherchieren, wer unter dieser Adresse damals gewohnt hat. Irgendwann kam er nach Hause mit einem Namen: Selly Baruch. Wir sammelten Geld bei unseren Nachbarn ein und dann hatten wir einen Termin, an dem wir uns alle vor dem Haus versammelten und zusahen, wie Selly Baruchs Name in Gold im Fußweg verlegt wurde.
Mittlerweile gibt es einen zweiten Stein vor dem Haus und ich kann auf der Hamburger Projektseite nachlesen, warum und wie Selly Baruch in der Parkallee 7 lebte: Sie war vor den Nazis schon 1933 aus ihrer Heimatstadt Bad Segeberg geflohen, hatte in diesem Haus eine Sieben-Zimmer-Wohnung angemietet und Pensionsgäste aufgenommen. Erlaubt waren ihr schon da nur jüdische Gäste. 1944 wurde sie in Auschwitz ermordet.
In der Hafencity, wo ich jetzt wohne, habe ich bis jetzt keine Stolpersteine gefunden. Da wo heute die vielen großen Mehrfamilienhäuser stehen, gab es vor dem Krieg vor allem Schuppen und Werkshallen, Hafengebiet eben. Doch direkt vor unserer heutigen Haustür lag bis Kriegsende der Hannoversche Bahnhof. Von hier aus wurden Menschen wie Selly Baruch in den Tod geschickt. Ein Teil der ehemaligen Gleise ist, integriert in einen kleinen Park, zur Gedenkstätte geworden. Auf großen Tafeln finden sich alle Namen der von hier aus Verschleppten.
Ich werde heute dorthin gehen, Selly Baruchs Namen suchen und eine Rose hinterlegen. Und wann immer ich kann, werde ich öffentlich gegen Antisemitismus protestieren. Nicht nur an diesem Gedenktag. Es ist ein so hilfloses Gefühl. 85 Jahre sind vergangen. Und jüdische Menschen haben wieder Angst aus dem Haus zu gehen!
Stolpern und nachdenken
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Hallo Frau Heintze, vielen Dank für den kleinen gedanklichen Stolperstein … auch im kleinen kann jeder was tun … danke.