In Hannah Lühmanns neuem Roman "Heimat" geht es um Jana. Sie ist Mutter von zwei Kindern und wieder schwanger. Gerade hat sie ihren guten Job gekündigt und sucht nun eine neue Identität zwischen Muttersein, Ehe und dem Dasein als moderne Frau. Dann lernt sie Karolin kennen, die ein perfektes Leben mit Ehemann und fünf Kindern in einem Haus im Wald zu führen scheint. Karolin ist, was man auf Social Media "Tradwife" nennt: Sie postet ihr Leben auf Instagram und wirbt für ihre traditionelle Lebensweise als Frau. Was sich anfangs harmlos liest, offenbart sich mit der Zeit als radikal und gefährlich. In Karolins Welt herrscht Fremdenfeindlichkeit, patriarchale Unterdrückung und immer wieder wird auch körperliche Gewalt angedeutet.
chrismon: Ich war beim Lesen ein bisschen erschrocken, dass ich ziemlich viel Sympathie für Karolin empfunden habe. Wollten Sie diese Art Tradwife-Leben so darstellen, dass man auch etwas Gutes daran findet?
Hannah Lühmann: In Karolin verschmelzen unterschiedliche Projektionen von mir. Zum einen die heute ja nicht mehr sehr überraschende Erkenntnis, dass Rechtssein und Intellektualität sich nicht ausschließen. Und dann natürlich unterschiedliche Social-Media-Phänomene. Die Amerikanerin Hannah Neeleman etwa, deren Farmleben über zehn Millionen Menschen auf Instagram verfolgen und die als "Königin der Tradwives" gilt. Aber auch ein paar deutsche Accounts, die deutlich kleiner sind. Vielleicht liegt das mit der Sympathie auch daran, dass die Tradwives auf ihren Accounts viele Punkte berühren, die uns heute wirklich beschäftigen. Sie haben bei aller Gruseligkeit, die das Phänomen hat, in manchen Dingen vielleicht recht.
Was meinen Sie?
Zum Beispiel ist ein wiederkehrender Punkt bei vielen Tradwives, dass der Staat will, dass die Frauen arbeiten. Das stimmt ja tatsächlich – unsere Marktwirtschaft würde sonst zusammenbrechen. Die Tradwife-Ideologie baut daraus die Idee vom bösen Staat, der die Mütter von ihren Kindern entfremden will. Das ist natürlich Unsinn. Aber es fruchtet – weil die Situation vieler arbeitender Mütter tatsächlich äußerst unangenehm ist. Die Kita-Betreuung funktioniert oft nicht. Arbeit und Familie sind oftmals nicht vereinbar. Damit ist ein zentrales Versprechen des Feminismus gescheitert. Hier müsste es ganz andere Strukturen geben.
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