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Es gibt zwei Weisen, wie Institutionen auf Umbrüche reagieren. Entweder versuchen sie, die Kontrolle zu behalten. Dann schließen sie sich nach außen ab, ziehen sich auf sich selbst zurück, verteidigen ihre Macht. Oder sie suchen nach Partnern, mit denen sie ihre Verantwortung teilen. Dann öffnen sie sich, gehen auf andere zu, teilen ihre Verfügungsmacht. Die erste Weise ist die institutionell Üblichere. Die zweite löst keineswegs alle Probleme, aber sie zeigt einen Weg, auf dem manches gelingen kann und neue Erfahrungen möglich sind.
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Damit zu den Kirchengebäuden im Land. Der Umbruch, in dem sich die Kirchen befinden, hat auch eine architektonische Seite: Was soll aus all den Kirchen, Gemeinde- und Pfarrhäusern werden, die in vermeintlich besseren Zeiten errichtet wurden? Viele Kirchengemeinden, Kirchenkreise und Landeskirchen versuchen, der institutionellen Versuchung zu widerstehen, auf das Schwinden ihrer Macht mit umso erbitterterem Festhalten zu reagieren. Sie haben Kirchengebäude abgegeben, umgebaut, mit neuen Partnern einer erweiterten Nutzung zugeführt. Dabei ist viel in Bewegung geraten. Neue Möglichkeiten wurden ausprobiert. Aber, das muss man ehrlich sagen, es gab auch bittere Verluste.
Viel ist schon geschehen, noch mehr Veränderung wird kommen. Es lohnt sich, sich hierüber zu informieren und mit anderen zu diskutieren. Es gibt einen großen Gesprächsbedarf – in der Kirche und weit darüber hinaus. Denn die Zukunft der Kirchengebäude geht die ganze Gesellschaft an. Auf drei Gesprächsangebote möchte ich hier hinweisen.
1.
Mein hessischer Kollege Markus Zink hat Anfang dieses Jahres das sehr anregende Praxisbuch "Kirche kann mehr. Kirchenräume weiter denken, nutzen, gestalten" veröffentlicht. Es will Menschen Mut machen, denen ihre Kirchbauten am Herzen liegen, die aber vor schweren Entscheidungen stehen. Zink stellt Beispiele von gelungenen Kirchenumnutzungen vor, die überraschen, irritieren und inspirieren. Er zeigt, mit welcher Intensität sich Menschen in der Kirche darum bemühen, ihre architektonischen Schätze zu bewahren, indem sie diese für ihr Gemeinwesen neu zugänglich machen. Allerdings kann er auch zeigen, welche negativen Lernerfahrungen bisher gemacht wurden: Allzu oft hat man versäumt, interessierte Menschen vor Ort angemessen zu beteiligen und hat zu schnell und zu teuer umgebaut.
2.
Vom 11. bis zum 13. September wird in Berlin der 31. Evangelische Kirchbautag stattfinden. Er soll ein Ort sein, an dem sich Fachleute und Engagierte aus den unterschiedlichsten Bereichen über "Wirklichkeiten und Wege" austauschen. Dieses Mal wurde er inhaltlich besonders intensiv vorbereitet. Drei ökumenisch besetzte Gruppen haben kurze Perspektivpapiere geschrieben, die keine kirchenamtlichen Thesen oder gar Vorgaben enthalten, wohl aber notwendige Diskussionen anstoßen wollen. Das erste Papier schafft die Grundlage dafür und fragt nach Bedarfen und Realitäten. Das zweite fragt nach Nutzungspartnerschaften, die Kirchengemeinden entlasten und das Bewusstsein für die öffentliche Bedeutung von Kirchräumen wecken können. Die Hoffnung ist – das ist das Thema des dritten Papiers –, dass mehr und neue Teilhabe möglich wird: "Die erweiterte Nutzung jenseits der sakralen Funktion kann neue Räume (,Vierte Orte’) erschließen, die zu Begegnung und Erfahrung einladen."
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3.
Gemeinsam mit Klaus-Martin Bresgott und Stefan Rhein habe ich gerade das Lese- und Arbeitsbuch "Leben statt Leere. Überlegungen und Anregungen zum Umgang mit unseren Kirchen" herausgegeben. Es richtet sich an Fachleute, Engagierte, Neu-Interessierte und bietet grundsätzliche Orientierungen, praktische Hilfestellungen, innovative Inspirationen, theologische Vertiefungen. Autorinnen und Autoren aus den unterschiedlichsten Disziplinen haben mitgearbeitet. So divers ihre Perspektiven sind, alle eint der Wunsch, Kirchen nicht bloß als "Baulasten" anzusehen (was sie natürlich häufig auch sind), sondern ihren Wert für die christlichen Gemeinden sowie für ihre jeweilige Umwelt neu vorzustellen. Dass daraus ein ziemlich buntes Buch geworden ist, liegt an den vielen Fotos von Ralf Klöden, der mit Klaus-Martin Bresgott eine Unzahl von um- und neugenutzten Kirchen in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz besucht hat.
Ein Beitrag hat mich besonders angesprochen. Denn er widmet sich der Frage, wie wir über diesen Umbruch sprechen. Geschrieben hat ihn die Praktische Theologin Kerstin Menzel, die bei der DFG-Forschungsgruppe Sarkalraumtransformation (Transara), mitarbeitet. Sie stört sich an der Rhetorik des Niedergangs, der sich viele in den Medien, aber auch in den Kirchen bedienen. Immer gehe es nur um "aufgeben, abgeben, reduzieren". Das sei natürlich nicht falsch, aber viel zu einseitig. Nun will Menzel die gegenwärtige Kirchenkrise nicht propagandistisch als Chance verkaufen. Doch wer nur vom Niedergang spricht, befördert ihn damit auch. Wer dagegen Probleme lösen will, muss zeigen, dass es hier um höchst Wertvolles geht. Kirchenräume enthalten für Menzel ein vielfältiges "Mehr": Sie sind "mehr als nur Gottesdiensträume", "mehr als Gebäude der Mitglieder", "mehr als bloße Immobilien".
Diesen kulturellen, historischen und sozialen Mehr-Wert gelte es herauszustellen. Dann könne man mit neuen Partner darüber nachdenken, wie Kirchengebäude so erhalten bleiben, dass diese Mehr-Werte in ihnen eine dauerhafte Heimat bekommen. Natürlich gibt man damit kirchliche Macht und Kontrolle ab und begibt sich in neue, manchmal anstrengende Aushandlungen. Aber das würde sich lohnen. Denn: "Wir wissen, dass unsere Gesellschaft öffentliche und offene Räume braucht. Die Kirchengebäude, gerade in ihrer Bedeutung als Identitäts-, Geschichts-, Entschleunigungs- und Transzendenzräume könnten dafür zukünftig mehr genutzt werden. Dafür wollen wir Raum geben und das Potential der Räume mit anderen gesellschaftlichen Akteur*innen neu entdecken."
P.S.: Im Juli erscheint auch noch ein sehr umfangreiches Heft der von mir mitherausgegebenen Zeitschrift "Kunst und Kirche" zum Thema.