Brandmauer-Debatte
Sollte man der CDU das C absprechen?
Ein "Brandbrief" der Kirchen zur Migrationspolitik hat eine Debatte über die Christlichkeit der Unionsparteien ausgelöst. Kann man Personen oder Parteien einfach so die Christlichkeit aberkennen?
Ein Kreuz in alle Richtungen schwebt über den Delegierten - Wahlparteitag der CDU in Berlin am 3.2.2025
Ein Kreuz schwebte über den Delegierten beim Wahlparteitag der CDU Anfang Februar in Berlin
Mike Schmidt / picture alliance / SZ Photo
Lena Uphoff
11.02.2025
4Min

Ende Januar schrieben die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz durch ihre Berliner Bevollmächtigten eine E-Mail an alle Bundestagsabgeordneten, außer an die der AfD. Die Mail enthielt eine Stellungnahme zum "Zustrombegrenzungsgesetz", das die Unionsparteien auf den Weg bringen wollten. In der Stellungnahme ordneten die Kirchen die geplanten Änderungen juristisch ein.

Brisanter als die Stellungnahme war allerdings das Begleitschreiben, das in den Medien bald "Brandbrief" hieß. Darin schrieben die Bevollmächtigten, dass sie zutiefst befremdet seien, dass alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten durch das Vorgehen diffamiert würden und dass sie befürchten, dass durch die Abstimmung über das Gesetz "die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt". Es wurde deutlich, dass sich das Schreiben gegen die CDU/CSU richtet - auch wenn das nicht wortwörtlich so formuliert wurde. Denn die Unionsparteien hatten die Abstimmung, um die es ging, initiiert.

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Damit schafften es die Bevollmächtigten der beiden Kirchen in alle Nachrichten. Die Tagesschau zeigte Olaf Scholz, als er bei der Bundestagsdebatte sagte: "Die katholische und die evangelische Kirche haben gestern in einem 'Brandbrief' eindringlich vor ihren Vorschlägen gewarnt, Herr Merz." Mehr Aufmerksamkeit für die Kirchen geht eigentlich nicht. Mehr den Anschein einer parteipolitischen Einmischung zu erwecken, allerdings auch nicht. Vermutlich war das nicht die Absicht des Schreibens, das muss man den Kirchen zugutehalten. Denn es war nicht zur Veröffentlichung gedacht. Dass ein solches Schreiben, ein solcher "Brandbrief" durchgestochen wird, hätten sich die Bevollmächtigten aber denken können.

Der Brief hat einen gravierenden Nebeneffekt. Er treibt die Entfremdung zwischen den Kirchen und den Unionsparteien voran. Diese Entfremdung geht mitunter so weit, dass das "C" im Parteinamen infrage gestellt wird. Der Journalist Heribert Prantl zum Beispiel kommentierte in der "Süddeutschen Zeitung", der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Friedrich Merz verwandle das "C" in ein "K", was für konservativ stehe. Pfarrer Jörg Niesner trat medienwirksam auf Instagram nach 25 Jahren aus der CDU aus, und kirchliche und säkulare Medien berichteten darüber. Auch anderswo wurde in den sozialen Medien viel über das "C" in CDU und CSU diskutiert.

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Dieses C steht bekanntlich für "christlich" - und das seien die Unionsparteien nicht mehr, so der Vorwurf. Denn die von Friedrich Merz angestoßene härtere Migrationspolitik sei nicht christlich, das Vorgehen der Merz-CDU habe nichts mit "christlichen Werten" zu tun. Aber diese Forderung sagt mehr über das Selbstverständnis derjenigen aus, die sie aufstellen, als über die Christlichkeit der Unionsparteien.

Denn ob sich jemand als christlich versteht, hängt weder davon ab, ob andere Christen damit einverstanden sind. Noch davon, wie gut er oder sie sich mit der Kirche stellt. Christlich ist in diesem Fall eine Selbstbezeichnung, die besagt: Ich oder wir verstehen uns als Christen oder zumindest dem christlichen Denken nahe. Die Vorstellung, dass diese Selbstbezeichnung falsch sein könnte, ist entweder naiv oder aber autoritär.

Denn wie könnte eine Selbstbezeichnung falsch sein? Doch nur, wenn man von einem wahren, über alle Zeiten beständigen Wesen des Christentums ausgeht. Was aber soll das sein? Die derzeit eher linke, progressive Einstellung vieler kirchlicher Stellungnahmen? Wohl kaum. Denn solche Stellungnahmen sind immer zeitabhängig. Selbst wenn man dem Inhalt dieser Stellungnahmen zustimmt, sollte man anerkennen, dass sich dadurch nicht die Christlichkeit an sich bestimmen lässt.

Heißt das nun, das Wesen des Christentums sei beliebig? Nein, aber es ist immer umstritten und dynamisch. Darüber, was christlich bedeutet, muss gestritten und immer wieder neu gerungen werden, keine Frage. Und so war es in der Geschichte des Christentums auch immer. Wir sollten heute so weit sein, dass wir das ohne autoritären Gestus tun - ohne anderen ihr Christsein abzusprechen. Ehrlicher ist es doch, anderen Personen immer und immer wieder zu erklären, was man selbst unter einer christlichen Denk- und Lebensweise versteht, und sie davon zu überzeugen versuchen.

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Wenn man den "Brandbrief" der Kirchen wohlwollend auslegt, kann man ihn durchaus so verstehen, dass er an die Christlichkeit der Abgeordneten appelliert. Bei aller Schärfe der Formulierungen spricht dieser Brief niemandem das Christsein ab. Der Verfasser und die Verfasserin haben aber wohl nicht erkannt, dass man ihn durch die deutliche Adressierung an die Unionsparteien auch anders verstehen kann. Dass sie das nicht berücksichtigt haben, war zumindest fahrlässig.

Irritierender als diese Fahrlässigkeit ist die Scheinheiligkeit mancher, die nun fordern, die Unionsparteien sollten ihr "C" ablegen. Denn oft hört man genau von ihnen Bekenntnisse zur Diversität. Vielfalt sei nicht nur willkommen, sondern sogar grundlegend für das Zusammenleben, mache es erst aus. Und dem ist absolut zuzustimmen! Nur bedeutet Vielfalt dann eben auch vielfältige Richtungen. Dass man Christen und Christinnen, die Anhänger der AfD sind, von dieser Vielfalt ausschließt, lässt sich mit der in Teilen rechtsextrem-verfassungsfeindlichen Gesinnung der AfD gerade noch so begründen. Aber nicht, dass es jetzt auch gegen konservative Christen in der CDU und CSU geht.

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