Kinderbuch
"Fliegen ist der maximale Akt der Freiheit"
In Torben Kuhlmanns Buch über die Flugpionierin Amelia Earhart ist eine Wühlmaus die Heldin. Was Mäuse Menschen voraushaben, erzählt der Illustrator im Interview
"Fliegen ist der maximale Akt der Freiheit"
Eine Wühlmaus umrundet im Flugzeug die Erde - das neue Abenteuerbuch von Torben Kuhlmann: "Earhart"
Torben Kuhlmann/ NordSüd-Verlag
Rui Camilo
Torben Kuhlmann/NordSüd-Verlag
12.01.2025
6Min

chrismon: Herr Kuhlmann, zehn Jahre nach "Lindbergh" ist jetzt "Earhart", Ihr zweites Luftfahrtpionier-Mäuseabenteuer, erschienen. Was fasziniert Sie so am Fliegen?

Torben Kuhlmann: Der Pioniergedanke des Fliegens fasziniert mich. Also mit Erfindungsreichtum und einem gewissen Ehrgeiz etwas zusammenzubas­teln, das es möglich macht, sich in die Lüfte aufzuschwingen. Fliegen ist der maximale Akt der Freiheit. Etwas, das man sich kaum vorstellen kann, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

Torben Kuhlmann/NordSüd-Verlag

Torben Kuhlmann

Torben Kuhlmann, geboren 1982, ist Illustrator und Kinderbuchautor. 2014 erschien "Lindbergh – Die Geschichte einer fliegenden Maus", Kuhlmanns erstes Buch, das zu einer Reihe führte - mit einer Wühlmaus aus als Heldin. Ganz frisch erschienen "Earhart: Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt" (NordSüd Verlag, 128 Seiten, 24 Euro, ab 6 Jahren).

Haben Sie schon einmal ein direk­tes Fluggefühl erlebt, vielleicht in einem Segelflieger oder Paraglider?

Nein, das steht noch aus – so über den Wolken zu schweben, stelle ich mir unglaublich toll und frei vor.

Die titelgebende Amelia Earhart ist auf dem Cover Ihres neuen Buches zu ­sehen, aber die Geschichte der Flugpionierin steht nicht im Mittelpunkt. Was erzählen Sie ­stattdessen?

Das ist das Prinzip meiner Mäuseabenteuer und ihrer Titel. Bereits "Lindbergh" erzählt nicht von Charles Lindbergh, sondern vom ersten Atlantikflug einer Maus. In "Earhart" wird eine kleine Wühlmaus durch die Ent­deckung einer Briefmarke aus Uganda aus ihrer Welt unter dem Garten in eine größere Welt eingeladen. Als sie dann noch heraus­findet, dass es schon einmal eine fliegende Maus gab, sind ihrer Sehnsucht und Er­findungsgabe keine Grenzen mehr gesetzt.

Was tut sie?

Nach dem Besuch der Flugschau jener ­fliegenden Maus beschließt die Wühlmaus, die Welt zu umrunden. Amelia Earhart ist ja auch in jungen Jahren durch eine Flugschau inspiriert worden, Pilotin zu werden. Am ­Ende der Geschichte erlaube ich mir dann, die Geschichten der beiden Pionierinnen – Wühl­maus und Mensch – zu verknüpfen.

Warum versuchen die Artgenossen, die neugierige Wühlmaus am Fliegen zu hindern?

Sie meinen, Wühlmäuse seien zum Wühlen bestimmt, nicht zum Fliegen. Es wird ja auch heute oft nicht gern gesehen, wenn man vermeintlich aus der Art schlägt. Amelia Earhart war nicht nur die erste Frau, die 1932 den Atlantik überquerte, sondern auch Frauenrechtlerin. Ihre Geschichte wird im Anhang meines Buches erzählt. Aber ich wollte den Gegenwind, den sie als Flugpionierin und Frau erfahren hat, nicht eins zu eins in die Mäusewelt übertragen. Sondern eine Situation schaffen, die jeder sofort als absurd entlarven – und dann vielleicht sogar eigene festgefahrene Vorstellungen hinterfragen und sich Begeisterung und Mut erhalten kann.

Eine Menschenfrau trifft die Maus auf ihrer Reise

Warum fliegt Ihre Wühlmaus eine rote ­Lockheed Vega wie Earhart, ist aber nicht dezidiert weiblich?

Oh, es ist eher umgekehrt. Ich deute an, dass das berühmte Design der Lockheed Vega und die rote Farbe auf den Entwürfen ­einer Wühlmaus basieren. Die Wühlmaus ist weiblich –Erfinderin und Pilotin nenne ich sie im Text –, aber das Frausein ist nicht der Grund für ihren schweren Stand, sondern die gesellschaftliche Konvention der wühlenden Mehrheit. In der Gleichberechtigungsfrage scheinen die Mäuse schon weiter zu sein als die Menschen.

"In der Gleichberechtigungsfrage scheinen die Mäuse schon weiter zu sein als die Menschen"

Torben Kuhlmann

Amelia Earhart gilt als verschollen. Warum überlebt Ihre Maus den Taifun, in den sie gerät?

Meine Geschichte spielt mit dem Verschwinden. Aus Sicht der Wühlmäuse ist die Maus tatsächlich nicht mehr da. Sie hat aber einfach entschieden, nicht zu ihnen zurückzukehren, weil der Garten nicht mehr ihre Welt sein konnte. Und wer weiß . . . Amelia ­Earharts Flugzeugwrack wurde bis heute nicht ­gefunden. Ihr endgültiges Schicksal ist unbekannt. Mir war es wichtig, mit dem ­Finale der Wühlmausgeschichte eine Interpreta­tionsmöglichkeit zu schaffen. Auch Earharts Abenteuer ging nie offiziell zu Ende.

In Ihren Mausabenteuern stimmen die ­Größenverhältnisse perspektivisch – im Vergleich zu den Menschen sind die Mäuse winzig klein. Warum halten Sie sich da an die Realität?

Für mich liegt bei fantastischen ­Geschichten ein besonderer Reiz darin, den Realitätsgrad hochzuhalten. Wenn die Welt, die ich ­schildere, so realistisch wie möglich ist, wird die fantastische Geschichte umso glaubhafter. Außerdem können sich Kinder vielleicht recht gut mit dem Blick der Kleinen auf eine große Welt identifizieren.

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Auch Ihre Tiere sind immer realistisch gezeichnet.

Stimmt. Ich versuche aber, ihnen kleine Charaktereigenschaften und eine Persönlichkeit zu verpassen. Maus, Waschbär und Löwe im jetzigen Band sind dezent vermenschlicht.

Mit "Lindbergh" als Diplomarbeit hat Ihre ­Illustratorenlaufbahn vor zehn Jahren begonnen. Warum haben Sie das Buch Ihrem Vater gewidmet?

Mein Vater arbeitete als Steuerberater, also in einem sehr sicheren und klassischen Berufsfeld. Dennoch hat er stets meine künstlerischen Ambitionen gefördert und mich darin bestärkt, ein kreatives Studium zu beginnen. Die Diplomarbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg als Abschlusspunkt meiner Ausbildung zum Illustrator hat er 2012 noch miterleben können, das Erscheinen des Buches 2014 leider nicht mehr.

"Die Mäuseabenteuer sind ein Plä­doyer für die Wissenschaft."

Torben Kuhlmann

Hätten Sie je gedacht, dass Sie von Kinderbüchern leben können?

Nein, ich habe während des Studiums schon in einer Werbeagentur gearbeitet. Aber ­"Lindbergh" war dann ein so großer und für mich unerwarteter Erfolg, dass ich mich ziemlich bald selbstständig machen konnte. Mittlerweile kommen die Mäuseabenteuer auf über 30 Sprachen und ich kann mich fast ausschließlich mit dem Schreiben und ­Illustrieren von Büchern beschäftigen.

Was haben Sie als Kind am liebsten gemacht?

Ich bin in einer Kleinstadt in Niedersachsen aufgewachsen und konnte ganze Nachmittage auf dem Rad verbringen. Am schönsten war es, draußen unterwegs zu sein. Ich habe überall gespielt, am Bach, im Wald, und ­habe kleine Baumhäuser gebaut. Gebastelt habe ich auch im Hinterhof bei meinen Eltern. Auf meinen Fahrradtouren habe ich Schrott eingesammelt. Alte Autoreifen, mal eine ­Radkappe. Mit zerlegten alten Fahrrädern entstanden ­Gerätschaften, die in meiner Fantasie dann zu his­torischen Dampfmaschinen wurden.

Torben Kuhlmann: Earhart ‒ Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt. ­NordSüd-Verlag. 128 Seiten, 24 Euro.

Nach "Lindbergh", "Armstrong", "Einstein" und "Edison" feiert die Mausreihe mit ­"Earhart" ihr zehnjähriges Jubiläum. Was wollen Sie vermitteln?

Forschergeist, Pioniergeist. Begeisterung für Technik. Die Mäuseabenteuer sind ein Plä­doyer für die Wissenschaft. Alle meine Mäuse lernen, lesen Bücher und besuchen vielleicht sogar die Universität. Wo immer es Wissen zu erwerben gibt, sind sie die Ersten, die dahin wollen. "Earhart" füllt übrigens nebenbei die erzählerische Lücke zwischen "Lindbergh" und dem zweiten Band "Armstrong" und erklärt, warum in der zweiten ­Mäusegeschichte ein verstecktes Mäusemuseum unter dem Smithsonian in Washington D. C. existiert.

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Aber bringt Forschergeist die Menschheit wirklich weiter?

Wie die Wühlmaus in meiner Geschichte schon sagt: Nach Wissen zu streben, kann unmöglich eine Dummheit sein. Ich finde die Errungenschaften der letzten Jahrhunderte unglaublich. Wir haben in einem langen Prozess die Erde aus dem Zentrum des Sonnensys­tems gestoßen und das Universum erforscht, Maschinen erfunden, das Fliegen gelernt, sind zum Mond gereist und haben mit der Quantentheorie ­eine Welt noch jenseits der Atome entdeckt. Das sind nur ein paar Beispiele. All das dank eines unermüdlichen Forschergeists, der allgemeines Dogma hinterfragte. Die Wissenschaft ist neutral. Der Missbrauch der Errungen­schaften geschieht durch Menschen mit ­finsteren ­Motiven oder zweifelhafter Moral. Aber ohne Begeisterung für neue Entdeckungen wäre keine Entwicklung möglich. Das Schöne ist, dass Kindern dieser Forschergeist von Natur aus innewohnt. Es sind eher Erwachsene, die irgendwann aufhören, sich Fragen zu stellen.

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