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"Mein Herz ist klein, kann niemand hinein, außer du, mein liebes Jesulein." So hat meine Oma mit mir gebetet, als ich ein kleines Kind war. Sie hat mich im katholischen Glauben erzogen, was bei uns bedeutete, lieb zu sein – zu anderen Menschen, zu Tieren und zur Natur und irgendwie auch zu sich selbst.
Es bedeutete, ab und zu in die Kirche zu gehen, sich dort respektvoll zu verhalten, den Rosenkranz zu beten, die Gräber der Verstorbenen zu pflegen und zu verstehen, dass Gott in der Natur ist, die uns umgibt, die einem Kraft gibt und der man manchmal schutzlos ausgeliefert ist. Und das bedeutete, Bräuche zu lernen und zu pflegen, die sehr weit weg sind von der Bibel, aber umso verbundener mit dem alltäglichen Leben in unserer bäuerlich geprägten Heimat.
Noch heute räuchere ich in Wien meine Wohnung aus in den Rauhnächten, begehe jeden Raum in Andacht, genieße den Duft von Weihrauch und spreche laut Wünsche für das kommende Jahr aus: Gesundheit und Liebe für alle, die hier wohnen und zu Gast sind; ich erbitte Schutz vor Feuer, Wasser und Trauer.
Für meine Oma war ihr Glaube wichtig, und es war ihr auch wichtig, diesen Glauben an uns weiterzugeben. Trotzdem war es für sie, die konservativere der beiden Omas, erstaunlich okay, als ich mit 18 Jahren aus der Kirche austrat, weil ich mit der Institution einfach nichts anfangen kann. Ich glaube, die praktischen und charakterlichen Aspekte des Glaubens waren für sie doch weitaus maßgeblicher als die schriftliche Zugehörigkeit zu einem Verein. Auch das mit dem Beten hörte auf.
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