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Saint-François-Xavier-Kirche, Île de Fadiouth, Senegal, Sonntag, 9.30 Uhr: Zunächst geht es über eine 550 Meter lange Holzbrücke, dann noch mal etwa 200 Meter über kleine, mit Muscheln bedeckte Pfade, bis die Eglise Saint-François-Xavier von Fadiouth endlich erreicht ist. Den Gottesdienst von Pfarrer René Mbagnick Ngom kann man nur über diesen eher ungewöhnlichen Weg erreichen. Der 39-Jährige ist Prediger auf der senegalesischen Insel Fadiouth.
Diese liegt etwa 114 Kilometer südlich von Senegals Hauptstadt Dakar und ist eine von drei Muschelinseln: Millionen kleiner und großer Muschelhälften in strahlendem Weiß bedecken die gesamte Insel, so dass es beim Gang zur Kirche bei jedem Schritt knirscht.
Die Musik schallt an diesem Morgen bereits pünktlich um 9.30 Uhr durch die engen Gassen. Alles auf Fadiouth wirkt entschleunigt, tiefenentspannt und herzlich. Autos sind hier verboten. Lediglich der Krankenwagen hat eine Sondergenehmigung und darf über die schmale Holzbrücke bis zur Insel fahren.
Sieben Jahre sei er bereits hier, erzählt René Mbagnick Ngom. Doch die kleine Insel hört nicht auf, den jungen Pfarrer zu faszinieren. Fadiouth ist besonders. Nicht nur, weil sich überall Muscheln finden – auf den Straßen, in den Mauern verbaut, als Dekoration und als Nahrungsmittel. Auch die religiöse Zusammensetzung ist einzigartig. Mit rund 90 Prozent Katholiken ist die Insel eine christliche Enklave in dem westafrikanischen Land, dessen Bevölkerung ansonsten zu knapp 95 Prozent muslimisch ist.
Besonders stolz sind die Insulanerinnen und Insulaner auf ihre religiöse Harmonie. "Wir feiern hier alle Feste gemeinsam. Ob Ostern oder Tabaski, ob Christ oder Muslim", erklärt Kirchgängerin Florence Dioh. Die religiöse Toleranz gehe so weit, dass es auf Fadiouth nicht unüblich sei, Familienangehörige verschiedener Glaubensrichtungen zu haben. "Der Glaube ist Herzenssache", stimmt ihr Bruder André Dioh mit ein. "Es kommt vor, dass zwei Brüder einen unterschiedlichen Glauben wählen – und das ist für alle in Ordnung", erzählt André Dioh. Besonders gut lasse sich das Mit- und Nebeneinander auf dem Friedhof sehen.
Afrikaweit gilt Senegal als das Land mit dem höchsten Baguettekonsum
Über eine zweite kleine Holzbrücke geht es auf eine weitere Insel. Auch die Friedhofsinsel ist über und über mit Muscheln bedeckt. Steinerne Kreuze weisen auf die Gräber hin, in denen Christen begraben liegen, Blechschilder zeigen die muslimischen Gräber an. Auch hier verlaufen die Grenzen fließend, erzählen Florence und André Dioh und verweisen auf die verschiedenen Familienmitglieder, die jeweils christlich oder muslimisch begraben wurden.
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Die Geschwister Dioh besuchen an diesem Morgen beide den Gottesdienst in der Saint-François-Xavier-Kirche. Während der Predigt hält Florence Dioh die Augen geschlossen und hört andächtig zu, singt bei den Kirchenliedern in ihrer Lokalsprache Serer mit. Dann aber fällt ihr das Baguette in ihrer Handtasche auf: Es ist das Frühstück für ihren sechsjährigen Sohn, das im morgendlichen Trubel unbeachtet in der Tasche liegen geblieben ist.
Afrikaweit gilt Senegal als das Land mit dem höchsten Baguettekonsum. Vermutlich ein Überbleibsel der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Das mit Schokoladencreme beschmierte Brot und die heiße Milch am Morgen sind auch heute noch Bestandteil der senegalesischen Küche.
Schnell bekreuzigt sie sich, fällt am Ausgang der Kirche in einen tiefen Knicks und huscht über die muschelbedeckten Pfade über die Insel auf der Suche nach ihrem Sohn. "Weit kann er nicht sein", sagt sie. Auf der Insel kennt jeder jeden. Sie grüßt links und rechts, fragt einige Passanten und hat ihn bald gefunden: in der Nähe der Inselmoschee.
Ohne Scheu, dass sie Christin ist, zieht sie sich respektvoll die Schuhe aus und betritt die Moschee. Der Plausch mit den muslimischen Freundinnen gehört dazu. Während in weiten Teilen der Sahelzone religiöse Spannungen zunehmen, ist der Senegal bekannt für seine ausgeprägte Toleranz. Vor allem auf der Muschelinsel Fadiouth, so scheint es, gehen Kirche und Moschee Hand in Hand.