"Für mich ist mein Leben so, wie es jetzt ist, schön", sagt Andreas Nöser, 43
Sebastian Arlt
Paranoide Schizophrenie
Er wollte sich umbringen
Als Andreas 29 Jahre alt war, brach seine Schizophrenie aus. Er wollte nicht mehr leben. Heute ist er froh, dass der Suizidversuch misslang
Privat
Sebastian Arlt
31.10.2024
3Min

Andreas Nöser (Jahrgang 1981):

Ich war 29, als meine paranoide Schizophrenie zum ersten Mal auftrat. Zu der Zeit studierte ich Landschaftsarchitektur, ein schöner Studiengang. Dann gab es plötzlich schwere Einschnitte in meinem Leben. Ich hatte meine Wohnung gekündigt, weil ich sicher war, im Studentenheim ein Zimmer zu bekommen. Das hat aber nicht geklappt, plötzlich war ich obdachlos. Ich schlief mal bei Freunden und Bekannten, mal in Obdachlosenunterkünften. Außerdem war die langjährige Beziehung zu meiner Freundin in die Brüche gegangen. Das hätte ich nie für möglich gehalten.

Da bekam ich zum ersten Mal Verfolgungsängste und hörte diese bedrohlichen inneren Stimmen. Ich hauste bei einer Freundin auf dem Dachboden. Und dann bin ich nachts runter in die Küche, hab mir ein Messer geschnappt, bin wieder rauf und hab versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Es funktionierte nicht. Zum Glück, sonst wäre ich nicht mehr am Leben. Als mich die Freundin brüllen hörte, rief sie einen Krankenwagen. In der Klinik wurde ich zusammengeflickt und dann in die Psychiatrie gebracht.

Aber es dauerte rund sechs schlimme Jahre, bis 2016, ­ bis ich mir eingestehen konnte, dass ich auf Dauer krank und auf Hilfe angewiesen sein werde. Erst dann war ich bereit, mich auf eine Behandlung wirklich einzulassen und zum Beispiel meine Medikamente nicht immer ­wieder abzusetzen.

Am Anfang war da nur Ausweglosigkeit. In akuten Phasen hatte ich Halluzinationen, dachte, dass da jemand hinter mir her ist. Dann sang ich, sagte das Vaterunser auf, um den Geist in Bewegung zu halten, damit die bösen Mächte keine Gewalt über mich bekommen können.

Manche Freunde hatten Angst vor mir

Meine Eltern wussten am Anfang nicht mit meiner Krankheit umzugehen. Aber dann habe ich bei ihnen rund sechs Jahre gelebt. Ich bin immer wieder rein in die Psychiatrie und dann zurück zu ihnen. Wir sind uns sehr nahegekommen, reden seitdem, statt wie früher so viel zu streiten. Meine Oma allerdings hatte noch uralte Vorstellungen, in Filmen sind die Schizophrenen ja fast immer die Bösen. Sie hat den Kontakt zu mir damals abgebrochen.

Wie viele frühere Freunde auch, manche hatten richtig Angst vor mir. Ich habe viel Kaltherzigkeit erlebt. Ge­blieben ist mir nur der Daniel, den ich bei einem Schülerjob kennengelernt hatte. Er hat ein großes Herz, er hat an unsere Freundschaft geglaubt. Er war immer für mich da, zum Beispiel zum Reden. Jetzt freut er sich sehr, dass ich wieder lachen kann und zurück ins Leben gefunden habe.

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Ich war schon lange nicht mehr in der Psychiatrie, ich bekomme auf Dauer Medikamente und Therapien und habe meine Krankheit ganz gut im Griff. Die Tabletten dämpfen mich und ich habe etwas mehr als 15 Kilo zugenommen, aber auch das kann ich inzwischen akzeptieren. Ich habe einen gesetzlichen Betreuer und lebe inzwischen in Augsburg in einer "besonderen Wohnform", früher hieß es Heim für psychisch Kranke.

Ich bin zum ersten Mal wo angekommen

Lange dachte ich, ich schaffe es zurück an die Fachhochschule, das ist jetzt kein Ziel mehr. Ich arbeite als Gärtner in einem Beschäftigungs- und Trainingszentrum für ­psychisch Kranke. Zum ersten Mal, seit die Schizophrenie ausgebrochen ist, fühle ich, dass ich wo ange­kommen bin. Ich hab mein eigenes Zimmer und kann ziemlich frei ­leben, abends auch mal weggehen oder ein paar Tage ­meine Eltern oder Freunde besuchen. Im ­Sommer sind viele von uns eine Woche durch das Allgäu gewandert, das hat uns noch mehr zusammengeschweißt.

In all der Zeit ist mein Glaube gewachsen. Egal, wie schlecht es mir ging, ich habe Gottesdienste besucht und seelische Fürsorge in Anspruch genommen. Das ist heute ein Teil von mir, dass Gott einem gerade in dunkelsten Zeiten Halt und Hoffnung geben kann. Ich bin heute dankbarer für Dinge, die ich früher als normal angesehen habe.

Für mich ist mein Leben so, wie es ist, schön, und ich versuche, jeden Tag das Beste daraus zu machen. Meine Familie und Freunde, das ist für mich ein glückliches ­Leben. Irgendwann habe ich es sogar geschafft, meiner Oma einen Brief zu schreiben, ihr meine Krankheit zu erklären, sie war doch immer so wichtig für mich. Jetzt haben wir wieder Kontakt, auch das macht mich froh.

Protokoll: Beate Blaha

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